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Krankheiten: Artenvielfalt schützt vor Viren

Wenn Tiere und Pflanzen verschwinden, ist das nicht nur ein Problem für den Naturschutz: Auch unsere Gesundheit kann schweren Schaden nehmen.
Aedes japonicus Stechmücke
Noch vor 20 Jahren kreisten Millionen Bengalgeier über Indiens Himmel. Als kostenlose Gesundheitspolizei entsorgten sie jede verendete Kuh schnell und restlos. Seit 1990 hat ihre Zahl jedoch dramatisch abgenommen. Von den Geiern blieben nur wenige hundert bis tausend Tiere übrig – der Rest starb am Medikament Diclofenac. Es soll Entzündungen beim Vieh heilen, verursacht aber bei den Geiern Nierenversagen, wenn sie es mit dem Aas fressen.

Dieses Massensterben alarmierte neben Naturschützern auch Wissenschaftler wie Anil Markandya von der britischen University of Bath. Denn nun fressen vor allem verwilderte Haushunde die reichlich anfallenden Kadaver. "Um etwa 5,5 Millionen nahm die Zahl der Hunde seit 1992 zu – und damit die Attacken gegen Menschen", so der Entwicklungsforscher. Viele der beißenden Hunde sind mit Tollwut infiziert. "Wir schätzen, dass wegen des Geiermangels mindestens 47 000 Personen zusätzlich an Tollwut starben", meint Markandya. "Das Problem kostete das indische Gesundheitssystem rund 16 Milliarden Euro zusätzlich. Vor allem die armen Dörfer, wo die Versorgung ohnehin schlecht ist, mussten diese Bürde tragen", fügt Joe Roman von der University of Vermont in Burlington an.

Aedes japonicus Stechmücke | Aedes japonicus gehört zu den gefürchteten Überträgern des West-Nil-Virus, das wiederum Vögel als Zwischenwirt nutzt. Je größer die Vielfalt der Vogelarten in einer Region ist, desto geringer fällt das Risiko für Menschen aus, angesteckt zu werden.
Für den Biologen bestätigt die Tollwutkrise einen Trend, den er und seine Kollegen bei einigen Seuchen beobachtet haben [1]. Je stärker Menschen in die Wildnis vordringen, den Lebensraum umgestalten oder die Tierwelt übernutzen, desto höher sind die Risiken. "Der Ausbruch neuer Krankheiten oder die Wiederkehr alter Plagen hängt oft mit dem Verlust der lokalen Artenvielfalt zusammen", sagt Studienleiterin Montira Pongsiri von der US-Umweltbehörde EPA. In den letzten Jahren sprangen zum Beispiel die Lungenkrankheit Sars, das West-Nil- oder das Hantavirus von Wildtieren auf Menschen über und verbreiteten sich oft dort besonders stark, wo die Natur verarmt war.

Zu den Nutznießern dieser Entwicklung gehört aber auch eine alte Geißel der Tropen: die Malaria. Eingriffe in den Amazonasregenwald machen offensichtlich die übertragenden Mücken zahlreicher und aggressiver, meint Roman: "Menschen in Rodungsgebieten werden 250 Mal häufiger gestochen als die Bewohner intakter Wälder – unabhängig von der Bevölkerungsdichte." Dies liege zum Teil an neuen Brutstätten für die Moskitos wie Pfützen in Reifenspuren oder Wassertonnen. Aber auch der Verlust an Fressfeinden, die vorher die Mücken in Schach gehalten hatten und mit dem Wald verschwanden, trägt dazu bei. Ein typisches Muster, so Roman: "Arten, die sich in gestörten Ökosystemen wohlfühlen, haben oft Krankheiten, die den Menschen befallen."

Vielfalt senkt Infektionsrisiko

Das gilt auch für die Reisratte – eine der Quellen für Hanta, das über den getrockneten Speichel, Kot oder Urin von Nagetieren übertragen wird. Müssen die Reisratten mit anderen Arten konkurrieren, bleibt ihre Zahl klein und das Virus selten. "Nahm die Nagervielfalt ab, folgte stets eine starke Zunahme der oft tödlichen Krankheit", sagt Joe Roman. In einem bislang einzigartigen Experiment belegten Richard Ostfeld vom Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook und seine Kollegen diesen Zusammenhang im Regenwald Panamas [2]: Sie entfernten in Testgebieten alle Nagetiere, die sie fangen konnten, und ließen nur die Reisratten laufen. Fünf Monate später hatte sich deren Bestand deutlich vergrößert. Und: Der Anteil der mit Hanta infizierten Tiere hatte sich auf 35 Prozent verdreifacht. "Das ist problematisch. Denn das Risiko für Menschen steigt natürlich mit der Zahl der infizierten Nager", warnt Ostfeld.

Betroffen sind nicht nur die Tropen, wo mangelnde Hygiene, Armut und die oft unzureichende medizinische Infrastruktur ohnehin riesige Gesundheitsprobleme verursachen. Beispiele gibt es auch in den Vereinigten Staaten – etwa die Lyme-Borreliose. Wie die in Deutschland vorkommenden Borreliosekeime gelangen ihre Erreger über Zecken auf den Menschen. Ihr eigentlicher Hauptwirt sind Weißfußmäuse, denen es seit rund 100 Jahren nutzt, dass der Mensch ihre Konkurrenten beseitigt. "Ursprünglich war die Lyme-Krankheit selten, da eine Vielzahl von Säugetieren in den Wäldern lebte: von Nagern bis zum Puma", so Roman. Die Räuber kontrollierten die Mäuse, und die Zecken hatten eine reiche Auswahl an Opfern, von denen die meisten schlechte Träger für die Bakterien waren. Erst die zunehmende Zerstückelung der Wälder und der Schwund vieler Säuger machten die Krankheit zum Problem: Mäuse, Zecken und Borrelien profitieren vom Mangel an Feinden und den zahlreichen Kontakten untereinander – einer der Hauptgründe, warum Lyme-Borreliose in den USA auf dem Vormarsch ist.

Zecke | Durch die Zerstörung und Zerstückelung der Wälder im Osten der USA starben dort viele Säugetierarten aus. Davon profitierten die Weißfußmäuse, die häufig mit Borrelien infiziert sind und diese über Zecken an Menschen weitergeben.
Deutlich kürzer ist das West-Nil-Virus im Land. Es stammt aus Afrika, wird von Mücken übertragen und verursacht grippeähnliche Symptome. 1999 wurde es zum ersten Mal in New York nachgewiesen, seitdem starben daran in den USA mehrere hundert Menschen. Bislang gibt es kein Gegenmittel, außer die Moskitos mit Insektiziden zu töten – oder eine vielfältige Vogelfauna in der Umgebung zu erhalten. "Je mehr Vogelarten in einem Gebiet vorkommen, desto geringer ist die Gefahr, dass sich Menschen mit dem West-Nil-Virus anstecken", erklärt Brian Allen von der Washington University in St. Louis. Raben, Häher oder Drosseln bilden zwar ein natürliches Reservoir des Virus, doch in den meisten Vögeln hält es sich nur sehr schlecht. "Aus Sicht des Virus sind Mückenstiche bei diesen Arten nutzlos. Wo viele Vogelarten leben, infizieren sich die Moskitos seltener – und Menschen sind weniger gefährdet", sagt Allen. Wie bei Hanta bleiben in der verarmten Natur allerdings eher die Arten zurück, in denen sich das Virus gut vermehrt.

Der Schutz der Artenvielfalt nützt daher dem menschlichen Wohlbefinden. Im afrikanischen Malawisee versuchen Forscher die Bilharziose – eine Parasiteninfektion durch Pärchenegel – besser in den Griff zu bekommen, indem sie das ökologische Gleichgewicht wiederherstellen. Die Pärchenegel benötigen Süßwasserschnecken als Zwischenwirte, bevor sie über kontaminiertes Wasser den Menschen befallen. Da viele Schnecken fressende Fische des Sees übernutzt wurden, konnten sich die Schnecken und ihr Parasit rasant vermehren. Jetzt soll sich das Verhältnis wieder umkehren – zum Nutzen aller, wie Brian Allen hofft: "Es ist ein Gewinn für beide Seiten: den Naturschutz und unsere Gesundheit."

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