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News: Auch Krähenblut ist dicker als Wasser

Beute zu finden und zu behalten, ist auch bei Krähen nicht ein- und dasselbe - größere Fundstücke müssen vielmehr oft mit harten Bandagen gegen Artgenossen verteidigt werden. Wer dabei geschont wird, bestimmt der Familienstammbaum.
Eine Krähe hackt einer anderen zwar kein Auge aus – die Vertreter der nordwestamerikanischen Art Corvus caurinus stellen dieses Sprichwort allerdings zumindest auf eine harte Probe. Nicht ganz unschuldig daran sind ihre Lebensumstände, die offenbar zu charakteristischen Verhaltensmustern der Vögel geführt haben: Anders als landläufige Feld-, Wald- und Wiesenkrähen sammelt C. caurinus ihre Beute in Küstenregionen. Recht häufig finden sich hier auch mal größere angeschwemmte Beute-Strandgüter – Fische oder Muscheln etwa. An diesen für Krähen eigentlich überdimensionierten Happen haben die Vögel dann erst einmal einige Zeit zu Knabbern. Und da Erfolg Neider schafft, ruft das große gefundene Fressen bald andere Krähen-Strandräuber auf den Plan, die dem glücklichen Finder die Beute, bevor sie verschlungen wurde, selbstsüchtig streitig machen wollen.

Zum Augen Aushacken kommt es dabei dennoch selten. Auffällig ist eher, dass die Vögel beim Beutediebstahl mal mehr und mal weniger sanfte Gewalt anwenden: Gelegentlich sind wilde Überrumplungs-Sturzangriffe zu beobachten, die dann in lautstarken, gegenseitigen Beschimpfungen und handfestem Gekabbel enden – und der wilden Flucht desjenigen, der sich im Durcheinander den Beutebrocken am schnellsten schnappt. Häufig aber nähern sich hungrige Krähen einem glücklichen Artgenossen mit fetter Beute eher vorsichtig, schüchtern und schleichend. In diesen Fällen verschenkt der Besitzer sogar nicht selten Futter-Anteile.

Verblüfft von diesen so unterschiedlich aggressiven, für C. caurinus typischen Anschleich- und Raub-Strategien machte sich das Forscherpaar Renee und James Ha von der University of Washington mit Kollegen auf die Suche nach den Ursachen. Dazu fingen die Forscher 55 Krähen in ihren Beutegründen an der nordwestamerikanischen Pazifikküste und entnahmen ihnen Blutproben. Durch DNA-Analysen dieser Proben ermittelten die Wissenschaftler dann die Verwandtschaftsverhältnisse der Krähen, kennzeichneten jedes Tier individuell und entließen es wieder in die Freiheit. Danach trieben sie, über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren Krähenverhaltensforschung in freier Wildbahn – und werteten dabei aus, welche Form des Beutediebstahls die gekennzeichneten Vögel untereinander an den Tag legten.

Wie sich zeigte, wird tatsächlich fast jede zweite Krähe mit großer Beute Opfer eines Raubüberfalls, in etwa 41 Prozent der Fälle verliert sie dabei dann auch ihr Hab und Gut. Die raubende Krähenpartei macht die Wahl ihrer Mittel allerdings eindeutig vom Verwandtschaftsgrad abhängig: an Familienmitglieder wurde sich fast immer nur devot herangeschlichen, unverwandte Krähen dagegen aggressiv attackiert – selbst, wenn sich die beiden Beutestreiter nicht fremd waren, weil sie einer gemeinsamen sozialen Gruppe angehörten. Keine Rolle für die Wahl des Verhaltens, so Renee Ha, spielten dagegen Alter, Geschlecht oder soziale Erfahrung der Krähen.

Die Krähen erkennen demnach Verwandte eindeutig und richten ihr Verhalten danach aus. Ähnliches wurde zuvor weder bei anderen Angehörigen der Rabenvögel, die oft in geordneten, komplexen Sozialstrukturen leben, noch irgend einer anderen Vogelart nachgewiesen. Dass sich die Krähen – Verwandtschaft hin oder her – brutal oder schleichend gegenseitig das letzte Hemd stehlen, ist übrigens kaum zu erwarten: Es mangelt, so die Wissenschaftler, schlicht an ausreichend Gelegenheiten für Diebe zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes. So muss auch bei Krähen ein Großteil der täglichen Kost mit Jagen und Sammeln eingebracht werden – durch ehrliche Arbeit, also.

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