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Fall "Schavan": Auf dünnem Eis

Annette Schavan will gegen die Aberkennung ihres Doktortitels klagen. Der Jurist Markus Rau erläutert, um welche rechtlichen Fragen es dabei geht - und warum Juristen der angekündigten Klage wenig Aussicht auf Erfolg einräumen.
Markus Rau

Zur Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes gehört, dass gegen behördliche Entscheidungen der Klageweg eröffnet ist. Zuständig sind dafür die Verwaltungsgerichte. In der Causa Schavan wird nun wohl das Verwaltungsgericht Düsseldorf zu prüfen haben, ob die Universität Düsseldorf der ehemaligen Bundesforschungsministerin ihren Doktorgrad zu Recht entzogen hat.

So tragisch der Fall auch sein mag: Juristisch handelt es sich nur begrenzt um Neuland. Zuletzt hatten etwa die Verwaltungsgerichte von Köln und Freiburg über ähnliche Klagen der FDP-Politiker Georgios Chatzimarkakis und Margarita Mathiopoulos sowie von Veronica Saß, der Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, zu befinden – und dabei ein Prüfprogramm abzuarbeiten, das demjenigen im Verfahren von Annette Schavan vergleichbar sein dürfte.

Zunächst geht es in aller Regel darum, ob die Entziehung des Doktorgrades in formeller Hinsicht den rechtlichen Anforderungen genügt. Das betrifft vor allem die Frage, ob die Entscheidung verfahrensfehlerfrei ergangen ist. Im Fall von Annette Schavan haben die Anwälte der ehemaligen Bundesforschungsministerin in ihrer noch am Tag der Entscheidung der Universität Düsseldorf veröffentlichten Pressemitteilung bemängelt: Die Vertraulichkeit des Verwaltungsverfahrens sei verletzt worden. Zudem sei die gebotene Sachverhaltsaufklärung unterblieben, insbesondere durch Einholung eines externen Fachgutachtens.

Sodann ist zu klären, ob der "Tatbestand" gegeben ist, der die Entziehung des Doktorgrades rechtfertigt. Dieser richtet sich nach der einschlägigen Promotionsordnung. Maßgeblich ist zumeist, ob sich der Betroffene im Promotionsverfahren einer "Täuschung" schuldig gemacht hat. Dazu hat der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer in einem Interview gegenüber "Spiegel Online" unlängst zutreffend angemerkt: "Es wird immer vom Plagiat geredet, das ist aber kein Rechtsbegriff. Der springende Punkt ist die Versicherung des Doktoranden, dass man alle Quellen benannt hat und dass Übernahmen hinreichend kenntlich sind."

Schließlich prüfen die Gerichte, ob die Universität das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Insoweit ist die gerichtliche Kontrolle allerdings eingeschränkt. Sie bezieht sich im Wesentlichen nur darauf, ob die Universität von einer richtigen, zutreffend ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen ist und alle widerstreitenden privaten und öffentlichen Belange umfangreich gewürdigt und gegeneinander abgewogen hat. Jenseits dessen obliegt es grundsätzlich der Universität, ob sie dem Interesse der Wissenschaft an der eigenen Integrität den Vorrang einräumt.

Der Prüfung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf kann und soll hier nicht vorgegriffen werden. Einzig das Gericht ist dazu berufen und in der Lage, den Fall anhand des vollständigen Aktenvorgangs und im Lichte der – noch ausstehenden – Klagebegründung abschließend zu bewerten. Nach allem, was bislang bekannt ist, dürfte sich die zurückgetretene Ministerin jedoch auf dünnem Eis bewegen. Hochschulrechtler räumen einer juristischen "Titelverteidigung" denn auch wenig Chancen ein. Und das nicht nur aus "statistischen Gründen" – weil (wenn überhaupt) kaum Fälle bekannt sind, in denen die Verwaltungsgerichte derartigen Klagen stattgegeben hätten.

Was das Verfahren angeht, so hat sich die Universität Düsseldorf vor ihrer Entscheidung durch ein Gutachten des Bonner Juraprofessors Klaus Ferdinand Gärditz versichert, dass relevante Verfahrensfehler nicht festzustellen seien. Das Gutachten legt mit beachtlichen Gründen dar, dass das Bekanntwerden von Inhalten des vorbereitenden Untersuchungsberichts in der Öffentlichkeit die Entscheidung der Universität nicht in Frage stelle. Auch sei der Einsatz externen Sachverstands nicht geboten gewesen. Andere Juristen gehen ebenfalls davon aus, dass die Sachverhaltsanalyse die zuständige Behörde vornehme – also die Universität. Letztere entscheide ja auch bei der Vergabe des Doktortitels ohne auswärtige Gutachter.

Zur Frage der Täuschung ist die Rechtsprechung bisher sehr streng: Im Fall Chatzimarkakis etwa genügte dem Verwaltungsgericht Köln bereits, dass der Kläger zahlreiche wörtliche Wiedergaben nicht durch Anführungszeichen, sondern allein durch Fußnoten gekennzeichnet und so letztlich als eigene Leistung ausgegeben habe. Die verwandte Zitierweise sei nicht ausreichend, wenn die Fremdtexte in einem derartigen Umfang so in den eigenen Text eingepasst würden, dass kein Bruch ersichtlich sei und sich der Text wie ein eigenverfasster Text lese. Im Fall Mathiopoulos stellte das Gericht klar, dass Entlehnungen auch dann hinreichend kenntlich gemacht werden müssten, wenn es sich um Textpassagen handele, in denen keine eigene Lösung oder Wertung dargestellt werde, sondern lediglich vorhandenes fremdes Wissen. Ein externes Fachgutachten holen die Gerichte hierzu in aller Regel nicht ein. Für die "innere Tatseite", den Täuschungsvorsatz, reicht es, wenn der Betroffene bei der Erstellung der Dissertation "billigend in Kauf" nahm, dass die Gutachter über die Urheberschaft der fälschlicherweise als eigener Text erscheinenden Passagen irrten. Einen solchen so genannten "bedingten Vorsatz" folgern die Gerichte schon aus der Quantität der Zitierverstöße, wenn diese nur den Schluss zulasse, dass der Betroffene entgegen der von ihm abgegebenen Versicherung fremde Passagen nicht allein aus "Schludrigkeit", sondern planmäßig als eigenständige wissenschaftliche Leistung ausgewiesen habe.

Angesichts der Vielzahl fehlender Quellennennungen, von denen im Fall von Annette Schavan die Rede ist, bleibt abzuwarten, mit welchen Argumenten sie den Täuschungsvorwurf entkräften will. Dass die Zitierregeln damals anders gewesen seien, erscheint jedenfalls eher fernliegend.

Bleibt die Frage der Ermessensausübung. Hier hätte die Universität Düsseldorf wohl durchaus anders entscheiden können. Doch musste sie es auch? Insbesondere mit Rücksicht auf den seit der Promotion verstrichenen Zeitraum von 33 Jahren? Im Fall Margarita Mathiopoulos lag die Promotion mehr als 25 Jahre zurück. Das Verwaltungsgericht Köln hielt es gleichwohl für nicht zu beanstanden, dass die Universität das "Interesse an der effektiven Durchsetzung der Regeln wissenschaftlichen Arbeitens" höher bewertet habe. Freilich muss hierbei im jeweiligen Einzelfall auch die Schwere des Verstoßes in Rechnung gestellt werden. Wie die Sache am Ende auch ausgeht: Der Vorwurf einer rein politisch motivierten Entscheidung, der gegen die Universität Düsseldorf vereinzelt erhoben wurde, erscheint in jedem Fall weit hergeholt.

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