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Forschungspolitik: Auf keinen Fall der Zweite sein

"Publish or Perish" gilt häufig als Motto im Wissenschaftleralltag. Doch schnell veröffentlichte Forschungsergebnisse erfüllen bei genauem Hinschauen nicht immer alle Kriterien guter wissenschaftlicher Qualität.
Arbeiten vom Müsli bis zum Mitternachtsimbiss: Viele junge Wissenschaftler gehen nicht mehr ohne Zahnbürste ins Labor. Robert Insall zum Beispiel campierte drei Monate lang im Labor seiner Frau Laura Machesky in der Abteilung für Molekulare Medizin des University College London. Beide wollten als erste ihre Ergebnisse veröffentlichen, bevor zwei konkurrierende Arbeitsgruppen mit der gleichen Entdeckung an die Öffentlichkeit treten würden. Der Einsatz sollte sich lohnen. Die Arbeit des Wissenschaftlerpaars Insall und Machesky erschien im Dezember 1998 in der Fachzeitschrift Current Biology, die der Konkurrenz wenige Monate später.

Unter Zell- und Molekularbiologen ist solch ein leidenschaftlicher Einsatz nicht ungewöhnlich. Das ist kein Wunder. Denn ist ein bahnbrechendes Paper erst einmal in einem guten Journal untergebracht, folgt häufig die Berufung auf eine interessante Position oder Fördergelder für weitere Forschungsarbeiten werden genehmigt. Müssen Forscher immer schneller publizieren und sensationeller arbeiten, um noch etwas aus dem Topf der knappen Geldmittel abzubekommen?

Forschung im verschlossenen Kämmerchen

Glaubt man Helen Pearson, Reporterin für die Fachzeitschrift Nature, hat sich sogar das Klima auf Kongressen wegen des starken Konkurrenzdruckes verändert. Aus Angst vor Mitstreitern würde nicht mehr offen über Methoden oder den Stand der Forschung berichtet. Wettbewerb unter Wissenschaftlern gab es schon immer, allerdings hat er sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. Eine Umfrage ergab, dass 1998 nur noch gut ein Viertel aller befragten Forscher bereit war, auch außerhalb der eigenen Arbeitsgruppe frei über die eigene Forschung zu reden, 1966 taten das noch die Hälfte der Wissenschaftler.

Besonders verschlossen im Vergleich zu Mathematikern oder Physikern sind nach diesen Befragungen heute Experimentalbiologen, nur 14 Prozent von ihnen reden offen über ihre Forschungsarbeit. Manche Wissenschaftler berichten, sie müssten Experimente abkürzen, um nicht hinter den Rivalen zurückzuliegen.

Unter solchen Vorzeichen scheinen schlechte Auswirkungen auf die Qualität der wissenschaftlichen Publikationen fast schon vorprogrammiert. "Der Druck ist größer geworden, das wirkt sich aber nicht auf die Qualität der Publikationen aus", sagt jedoch Andreas Dotzauer vom Institut für Virologie der Universität Bremen. Dotzauer glaubt wie die meisten Forscher, dass das Gutachtersystem oder "Peer-Review"-Verfahren eine ausreichende Qualitätssicherung gewährleistet: Vor der Veröffentlichung lassen die Herausgeber von Fachzeitschriften die eingereichten Arbeiten durch einen oder mehrere anonyme Fachkollegen prüfen.

Der prüfende Blick

"Ich bekomme relativ viele Manuskripte und muss meine Meinung abgeben, ob die [Arbeiten] wissenschaftlich dem Stand des Journals genügen", beschreibt Hartmut Wekerle, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried seine Aufgabe als "Editorial Board Member" des Journal of Immunology. Nach der Begutachtung entscheiden die Herausgeber, ob eine Arbeit angenommen oder abgelehnt wird oder unter der Voraussetzung, dass bestimmte Ergänzungen vorgenommen werden, noch einmal eingereicht werden kann. "Das Gutachtersystem ist das beste aller Möglichkeiten. Außer der Tatsache, dass es immer sehr viel Arbeit macht", erklärt Ingrid Grummt vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und Editorial Board Member des EMBO Journal. Die Molekularbiologin Grummt ist überzeugt davon, dass sich schnell zusammen geschusterte Arbeiten am EMBO Journal nicht unterbringen lassen.

Gerade im Zuge von aufgedeckten Fällen wissenschaftlicher Betrügereien werden aber immer wieder Zweifel an der "Qualität der Qualitätssicherung" durch begutachtende Fachkollegen geäußert. Meistens sind es nämlich nicht etwa die Gutachter, die offensichtliche Fälschereien oder Fehler aufdecken, sondern andere Fachkollegen oder Mitarbeiter aus der eigenen Gruppe. Der Rückzug einer kontroversen Veröffentlichung im anerkannten Journal Cell im Februar 2004 geschah zum Beispiel auf Initiative eines Professors, der auf die Fehler seines ehemaligen Postdoktoranden aufmerksam wurde, als er selber versuchte, die Ergebnisse zu reproduzieren. Und nachdem ein Autor einer Studie wegen Betrügereien vor Gericht steht, hat nun auch das Journal of Reproductive Medicine einen Artikel aus ihrem Online-Archiv genommen, nachdem zuvor schon aus Wissenschaftlerkreisen heftige Zweifel an den Ergebnissen geäußert worden waren.

In der Zwickmühle

Eine Schrift der Max-Planck-Gesellschaft aus dem Jahr 2001 mit dem Titel "Verantwortliches Handeln in der Wissenschaft" weist auf die Zwickmühle hin, in der sich Gutachter häufig befinden: "Es ist typisch für den Wissenschaftsbetrieb, dass der Wissenschaftler teils als Begutachteter und teils als Gutachtender tätig wird. Hierin liegt ein Spannungsverhältnis, das auch Gefahren für die gute und verantwortliche wissenschaftliche Praxis mit sich bringt." Gutachter sind einfach auch nur Menschen, die sich aus ihrer Position und ihrem sozialen Umfeld heraus eine Meinung bilden und Entscheidungen treffen. "Es gibt allerdings so eine Art Populationsdynamik, dass Europäer oft Europäern gegenüber günstiger eingestellt sind als Amerikanern und insbesondere Amerikaner das gegenüber ihresgleichen zeigen", beschreibt Hartmut Wekerle eine menschliche Schwachstelle im System.

Anfang 2003 veröffentliche die internationale "Cochrane Collaboration" unter der Leitung von Tom Jefferson eine Studie, die sich systematisch dem Thema "Peer Review" widmete. Trotz seiner breiten Anwendung und Kosten lassen sich laut der Studie kaum Beweise dafür finden, dass das Gutachtersystem die Qualität biomedizinischer Veröffentlichungen verbessert: "The practice of peer review is based on faith in its effects, rather than on facts!" Häufig kritisiert wird auch, dass das Gutachtersystem nicht bei allen Fachzeitschriften nach dem gleichen Schema abläuft. Es gibt unterschiedliche Varianten, Prozeduren und Sitten, die aber dem Außenstehenden nicht bekannt sind und daher auch keinen Qualitätsvergleich möglich machen.

Einen schlechten Einfluss auf die Qualität wissenschaftlicher Publikationen hat gewiss der harte Konkurrenzkampf zwischen Spitzenzeitschriften, wie etwa Nature und Science. "Bestimmte Journale nehmen ein Thema, weil es sehr sexy ist; um einfach die ersten zu sein, gucken sie nicht so genau hin. Mit Sicherheit geht da nicht alles mit rechten Dingen zu", sagt Ingrid Grummt. Hartmut Wekerle würde auf die Frage, ob sich der Wettbewerb unter den Top-Journals negativ auswirkt, am liebsten schnell "Nein" sagen. "Aber es gibt Situationen, wo man ganz klar sieht, da wird etwas für das Journal hingeschrieben." Besonders fatal wird es, meint Wekerle, wenn ein Manuskript zunächst abgelehnt wird, die Autoren jedoch die Möglichkeit erhalten, die Arbeit noch einmal einzureichen, wenn bestimmte Veränderungen oder Ergänzungen eingearbeitet werden. "Da könnte es, sagen wir einmal ethisch schwache Menschen geben, die nun sehr bemüht versuchen, die Auflagen der Gutachter zu erfüllen. Mancher schreibt dann eben hin, was der Reviewer so gerne sehen möchte. Das ist eine moralische Schwachstelle. Eine echte Fälschungsverführung."

Neue Medien, neue Risiken, neue Chancen

Seit mindestens 200 Jahren wird das Peer-Review-Verfahren genutzt, um die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten zu prüfen. Doch gerade in den letzten Jahren haben sich die Methoden der Wissenschaftler und auch die Publikationsformen – etwa durch das Internet – stark verändert. Zunehmende Automatisierung und die Verwendung von beispielsweise Testkits erhöhen die Geschwindigkeit, mit der Ergebnisse "ausgespuckt" werden. "Advance-online"-Publikationen und "Papers before Print" ermöglichen zwar einen schnelleren Zugang zu neuen Erkenntnissen, verstärken aber auch die Unruhe unter konkurrierenden Forschergruppen.

Gerade das Internet bietet aber auch die Möglichkeit der Offenlegung und Verbesserung des Gutachterprozesses. Von verbesserungsfreudigen Herausgebern wird zum Beispiel ins Auge gefasst, den laufenden Prozess transparent zu machen, indem die Kritik der Reviewer und die Antworten der Autoren veröffentlicht werden oder auch die Leser selber Kommentare zum eingereichten Manuskript abgeben können. Gerhard Fröhlich, Professor am Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Johannes Kepler Universität in Linz, hat eine ganze Reihe von Vorschlägen ausgearbeitet, mit der das bisherige Gutachtersystem verbessert werden könnte. "Die Zuteilung der Gutachter sollte per Zufall erfolgen, das heißt der gesamte Gutachterpool sollte systematisch ausgeschöpft werden – unter Ausschaltung von Willkür und der Machtkonzentration bei einigen wenigen 'old boys'." Einen Schwachpunkt im System sieht Fröhlich außerdem darin, dass die Refereetätigkeit in der Regel ehrenamtlich ist. Das erschwere es, Gutachter zu finden und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gutachten unter geringem Zeitaufwand erstellt wird. Die Kosten, die dabei entstehen, sollten die Institutionen, an denen die Forscher tätig sind, selber übernehmen, da es schließlich nur in ihrem Interesse sein könne, eine qualitativ gute Arbeit zu veröffentlichen.

Würden sich Forscher aus "der Mühle" des schnellen Publizierens heraushalten, wäre damit sicherlich ein großer Schritt in Richtung sauberes wissenschaftliches Arbeiten getan. Wettbewerb unter Forscher gab es schon immer und muss es, um voranzukommen, in einem gewissen Maß auch geben. Wer sich nun aber so im Rennen um die Sensation verausgabt und schlampig arbeitet, verliert Ansehen, Einfluss und Mitstreiter. "Ich gehöre auch zu den Leuten, die dafür sind, lieber wenig zu publizieren, aber das lieber gut", sagt Ingrid Grummt. Also: Man darf ruhig einmal der Zweite sein, letztendlich zahlt sich ohnehin nur gute Qualität aus.

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