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Ökologie: Ausgesperrt

Amerikas neue Grenzanlagen zu Mexiko schneiden vielen bedrohten Tieren den Weg zu Wasserstellen und Artgenossen ab. Kleine Maßnahmen sollen nun helfen.
Grenzzaun
Eigentlich wollte Warner Glenn in den Bergen Arizonas Pumas jagen, doch seine Hunde stöberten etwas anderes auf. Mitten im Südwesten der USA hatten sie einen ausgewachsenen Jaguar gestellt. Statt zum Gewehr griff der amerikanische Farmer zum Fotoapparat, schoss einige spektakuläre Bilder und ritt davon. Diese Fotos aus dem März 1996 wurden berühmt, denn sie bewiesen, dass der Jaguar, der in den USA seit 1963 als ausgestorben galt, doch noch durch die südwestlichen Bundesstaaten streift.

Jaguar | Die größte Raubkatze Amerikas streift noch durch den Südwesten der USA. Durch den Bau des Grenzzauns wird die Lage für den Jaguar nun aber prekärer.
"Mindestens vier Jaguare leben in Arizona und New Mexico", sagen die Biologen Jack Childs und Emil McCain von der Humboldt State University im kalifornischen Arcata. Den seltenen Tieren stellen sie mit Kamerafallen nach [1]. Der Raubkatze droht allerdings nun das endgültige Aus in den USA: Seit 2007 errichtet die US-Regierung einen massiv gesicherten Zaun an der Grenze zu Mexiko. Er soll den stetigen Zustrom an Einwanderern reduzieren und verhindern, dass Terroristen ins Land kommen.

Nicht nur Menschenrechtsaktivisten lehnen das Projekt ab, sondern auch Umweltschützer. "Unsere Jaguare gehören zu einem Bestand, der vor allem in der mexikanischen Sonora-Wüste lebt. Der Grenzzaun isoliert sie von ihren Paarungspartnern, und das bedeutet ihr Ende in den USA", befürchtet Childs. Die Katzen sind nicht die einzigen Opfer der Befestigung, die aus meterhohen Betonwänden und Stahlzäunen besteht: "Die Grenze zerschneidet Lebensräume und gefährdet Dutzende Tier- und Pflanzenarten. Zufahrtsstraßen, Flutlicht und Kontrollen mit Helikoptern oder Geländewagen vertreiben die Tiere und zerstören ihr Ökosystem", sagt Michael Robinson vom Center for Biological Diversity in Silver City im Bundesstaat New Mexico, das sich für den Naturschutz im Grenzbereich einsetzt.

Grenzzaun | Über mehr als 1000 Kilometer sollen Betonwände und Stahlzäune illegale Einwanderer am Grenzübertritt hindern. Nicht nur Menschenrechtler kritisieren dieses Bauwerk.
So sollen mitten im letzten Verbreitungsgebiet des Sonora-Gabelbocks in den USA fünf Beobachtungstürme errichtet werden, obwohl die Antilope sehr empfindlich auf Störungen reagiert. Während einer katastrophalen Dürre im Jahr 2002 wäre die Art beinahe ausgestorben. Die Population erholt sich nur langsam. Gerade mal 70 Tiere leben zurzeit auf US-amerikanischem Territorium. Gefährdet sind auch die Kleinkatzen Ozelot und Jaguarundi, die in den USA nur im texanischen Tal des Rio Grande leben. Die Grenzanlagen schneiden den Tieren den Weg zu ihren Trinkstellen am Fluss ab und verhindern die Paarung mit mexikanischen Artgenossen. Und der Sperlingskauz fliegt überwiegend in Bodenhöhe – und damit zu niedrig, um das meist mehr als vier Meter hohe Bauwerk zu überwinden. "Unsere größte Sorge ist, dass diese Barriere die kleinen Bestände der Arten in noch kleinere Teilgruppen auflöst", äußert Clinton Epps von der Oregon State University in Corvallis, der mit seinen Kollegen die Auswirkungen auf die Tierwelt studiert hat [2].

Umweltgruppen sind erbost

Das mit dem Bau des Zauns befasste Department of Homeland Security (DHS) ist sich dieser Folgen bewusst: "Die Grenze beeinträchtigt wahrscheinlich Tierwanderungen, den Zugang zu traditionellen Wasserquellen und die Fortpflanzung mancher Arten", schreibt die Behörde. Dennoch erlaubte die Bush-Regierung dem DHS, 30 Naturschutz- und Landnutzungsgesetze zu ignorieren und den Bau des Zauns voranzutreiben. 100 Kilometer in Kalifornien, Arizona und New Mexico wurden schon abgeriegelt.

Rio Grande | Der Zaun verhindert, dass Tiere an das Wasser des Rio Grande gelangen können – und verhindert ihre Wanderungsbewegungen zwischen den USA und Mexiko.
Die üblichen Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Artenschutzmaßnahmen wurden dem DHS erlassen, was Umweltgruppen erbost. "Die Regierung missachtet selbst schwerste Bedenken bezüglich des Grenzwalls. Das Ausmaß der Sonderfreigaben ist unglaublich", ärgert sich John Flicker, Präsident der Vogelschutzorganisation Audobon.

Das DHS verweist auf Umweltschäden, die Schmuggler und Einwanderer im Grenzbereich anrichten. Hunderttausende versuchten jedes Jahr, illegal einzureisen, und hinterließen riesige Müllberge und kaputte Autos, zerstörten die Vegetation und verschreckten Tiere, so die Behörde. Der Zaun könne dies eindämmen. Umweltschützer bestätigen negative Folgen des ungeregelten Grenzverkehrs, sehen aber in den neuen Anlagen ein größeres Übel. "Zuerst sollten andere Mittel – moderne Fernüberwachung oder mehr Grenzschützer – eingesetzt werden, bevor man das Sperrwerk baut", sagt Niki McDaniel von Nature Conservancy. Die Organisation kauft Land, um dort Schutzgebiete einzurichten.

Dickhornschaf | Betroffen vom Verlust ihrer Wanderkorridore sind beispielsweise die Dickhornschafe im amerikanischen Südwesten. Sie stehen im Austausch mit Beständen in Mexiko – noch.
In die gleiche Richtung stößt auch Epps' Team vor: "Ein 'virtueller' Zaun könnte in manchen Regionen eine echte Alternative darstellen. Gerade in steilem Gelände schaffen Kameras, Satellitenüberwachung und Fahrzeugbarrieren genauso viel Sicherheit wie ein echter Wall." Diese "Lücken" sollen es unter anderem den Dickhornschafen der Region ermöglichen, von Mexiko nach Arizona zu wechseln und umgekehrt – genetische Untersuchungen hatten gezeigt, dass ihre Bestände in engem Austausch stehen. Dem Sperlingskauz wiederum wäre geholfen, wenn entlang der Grenze hohe Pfosten errichtet oder Bäume gepflanzt würden, die er als Ansitz und Startbasis nutzen kann, um von dort über den Zaun zu gleiten.

Immerhin will das DHS nun Hunderte kleiner Durchlässe im Grenzwall offen halten, um die schlimmsten Folgen für den Ozelot und andere Arten abzuwenden. Die Tiere könnten durch die Löcher schlüpfen, um an das lebensnotwendige Wasser des Rio Grande zu gelangen. Dem Jaguar nutzen die Schlupflöcher nichts: Er ist zu groß.

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