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Klimawandel: Beelzebub statt Teufel

Speichern Wälder unter steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen mehr Kohlenstoff? Nach vielen Neins und "kommt darauf an", melden Forscher nun ein klares Ja. Doch die Ursache dafür ist bedenklich.
Baumwipfel
Mögen die endlosen Wälder Kanadas, Skandinaviens oder Sibiriens auch den Eindruck vermitteln, hier grüne wirklich unberührte Natur – das ist falsch. Ist der Mensch auch nicht selbst vor Ort, die Folgen seines täglichen Tuns reichen weit. Sie finden sich überall, auch im letzten Winkel dieses Planeten. Derzeit am heißesten diskutiertes Beispiel: der Klimawandel. Unter dem, was vergleichsweise wenige Staaten seit der Industrialisierung in die Luft pusten, leidet die ganze Welt – insbesondere die eigentlich Unschuldigen.

Weit weniger wahrgenommen, findet in unserer Atmosphäre ein weiterer unerwünschter Anreicherungsprozess statt: Stickstoff aus Verbrennungsprozessen und Düngern gelangt in die Luft und lagert sich über weite Flächen mit Regen, Schnee oder auch auf trockenem Wege wieder ab. Ähnlich wie Kohlendioxid wirkt er dann als Wachstumsbeschleuniger für Baum und Kraut, sofern nicht ein Mangel an anderen lebenswichtigen Stoffen bremst.

Verlockende Kombination...

Eine Kombination, die zunächst verlockend klingt, weil zwei negative Prozesse gemeinsam ein positives Ergebnis versprechen. Die Wälder der Erde, so die ursprünglich keimende Hoffnung, würden kräftig gedeihen und damit dem drohenden Treibhaus entgegen wirken, indem dickere Bäume mehr Kohlendioxid in fester Biomasse binden.

Lärchen-Mischwald | Ein Lärchen-Mischwald in den Dolomiten: Die Alpen gehören zu den europäischen Regionen mit den höchsten Stickstoff-Einträgen über Regen und Schnee.
Doch Mutter Natur folgt selten menschlichen Überlegungen. Und so konnten Forschern in Versuchsansätzen verschiedenster Art zwar Wachstumsschübe unter mit CO2 angereicherter Luft beobachten, aber selten von Dauer. Und der Eintrag von Stickstoff brachte meist erst dann sichtbare Erfolge, wenn er in Mengen ausgebracht wurde wie in intensiver Landwirtschaft üblich. Nebenbei offenbarten sich unzählige weitere Komplikationen und Rückkopplungen in der so einfach anmutenden Rechnung.

Federico Magnani von der Universität Bologna und seinen Kollegen ließ das keine Ruhe. Die Wissenschaftler analysierten den Kohlenstoffhaushalt von Wäldern der gemäßigten und borealen Zonen Europas und Nordamerikas und verknüpften die Ergebnisse mit Daten zum Stickstoffeintrag. Sie stellten fest, dass bei jährlichen Einträgen von bis zu 15 Kilogramm pro Hektar und Jahr – ein Wert, der für neunzig Prozent der Wälder in Westeuropa und Nordamerika typisch ist – die mittlere Kohlenstoffbilanz und der Stickstoffeintrag eng gekoppelt sind. Oder anders gesagt: Mehr N, mehr Wachstum, mehr Speicher.

Redwood-Küstenwald | Ein alter Redwood-Küstenwald in Kalifornien: Trotz der starken Altersdurchmischung speichern diese Wälder Kohlenstoff infolge des atmosphärischen Stickstoff-Eintrages. Normalerweise sind junge und sehr alte Bäume darin eher ineffektiv.
Das allerdings widerspricht bisherigen Ergebnissen, die eben keinen Effekt bei Konzentrationen dieser Höhe gesehen hatten. Der Grund dafür könnte in den verwendeten Daten liegen: Um jährliche Schwankungen durch Forstwirtschaft oder Waldbrände und auch den Einfluss der Altersstruktur des Waldes auszuschalten, hatten die Wissenschaftler mit der über die gesamte Lebensspanne gemittelten Nettoökosystemproduktion der Wälder gerechnet. Andere Studien hingegen hatten mit absoluten Messdaten gearbeitet, die – wenn auch über Jahre erhoben – nur einen Ausschnitt bieten.

... mit verheerender Wirkung

Also findet sich doch Grund zur Hoffnung, dass Wälder im Zuge des Klimawandels zur Kohlenstoffsenke werden könnten? Das wäre teuer erkauft und zudem keine langfristige Lösung. Denn der über die Luft herangeführte Stickstoff wirkt nicht nur als Dünger, er reagiert auch zu aggressiven Säuren, die zum einen Blätter und Nadeln direkt schädigen und zum anderen in den Waldböden weitere Nährstoffe wie Magnesium, Kalzium und Kalium auslaugen. Doch gerade diese benötigen die Pflanzen, die durch den Düngeeffekt in die Breite gehen wollen.

Rutscht dann zudem durch starken Säureeintrag der pH-Wert ins Bodenlose, weil das Puffervermögen überschritten wird, können toxische Aluminium- und andere Schwermetallverbindungen freigesetzt werden. Sie schädigen die Feinwurzeln der Bäume, woraufhin diese immer weniger der sowieso bereits knappen Nährstoffe und Feuchtigkeit aufnehmen können: ein fataler Kreislauf.

Jeglicher Gedanke daran, das potenzielle Speichervermögen der Wälder über Düngung anzukurbeln, verbietet sich damit von selbst. Und bereits vorhandene Schäden an Bäumen und Böden mahnen dringend, dass auch die derzeit schon stattfindende Luftdüngung mit Stickstoff reduziert werden muss. Denn mag es auch zunächst danach aussehen, mit dem Beelzebub ließe sich der Teufel austreiben, wieder ist der Eindruck falsch – letztendlich würde doppeltes Übel die Oberhand gewinnen.

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