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IPCC-Report: "Bis zur eisfreien Arktis ist es nur eine Frage der Zeit"

Der vierte Klimareport des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) liefert die aktuellen Prognosen zum globalen Klimawandel. Der Klimaforscher Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven erklärt, was wir von der Zukunft zu erwarten haben - und wie wir den Entwicklungen vielleicht noch entgegenwirken können.
Eislandschaft vor Grönland
Klimaforscher Peter Lemke vor dem Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts | Klimaforscher Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut bei einer Forschungsreise in die Antarktis: Im Hintergrund das Forschungsschiff Polarstern
spektrumdirekt: Herr Professor Lemke, Sie haben als einer von über 500 Wissenschaftlern an dem aktuellen Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) mitgewirkt. Was ist die Kernaussage?

Peter Lemke: Bis zum Jahr 2100 wird sich die globale Temperatur sehr wahrscheinlich um 1,7 bis 4 Grad Celsius erhöhen. Das verursacht Gletscherschmelzen, der Meeresspiegel steigt. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwarten wir einen Meeresspiegelanstieg um 28 bis 43 Zentimeter. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass extreme Wetterereignisse zunehmen werden: Stürme gewinnen an Intensität, Niederschläge fallen stärker aus.

spektrumdirekt: Was sind die Ursachen des Klimawandels?

Lemke: Die Erwärmung der letzten 40 Jahre kann alleine mit natürlichen Prozessen nicht erklärt werden – wohl aber mit den gestiegenen Treibhausgasen durch menschlichen Einfluss. Innerhalb von 250 Jahren haben wir den CO2-Gehalt der Atmosphäre so stark verändert, wie es üblicherweise in einem Zeitraum zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit in hunderttausend Jahren geschieht. Selbst wenn wir ab heute überhaupt kein Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre pusten würden, hätten die aktuellen Emissionen noch solche Nachwirkungen, dass sich die Temperatur um ein weiteres halbes Grad erhöhen würde.

spektrumdirekt: Haben sich die Prognosen seit dem letzten IPCC-Report von 2001 verändert?

Lemke: Der letzte Klimabericht gab bei der Erderwärmung bis 2100 eine Spanne von 1,5 bis 5,8 Grad Celsius an, der Meeresanstieg wurde auf 9 bis 88 Zentimeter geschätzt. Diese Zahlen rührten von zwei Unsicherheiten her: Zum einen wissen wir nicht, wie viel Energie wir tatsächlich in Zukunft verbrauchen werden. Entsprechend können wir nicht genau vorhersagen, wie hoch der zusätzliche CO2-Gehalt der Atmosphäre in der Zukunft sein wird. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Klimamodelle, die es gibt, unterschiedlich sind und zu verschiedenen Szenarien kommen. Jetzt ist die Spanne der Vorhersagen für die globale Temperaturerhöhung zwar in etwa gleich geblieben, für die Meeresspiegelerhöhung ist sie mit 19 bis 58 Zentimeter jedoch deutlich kleiner geworden. Außerdem wurden für andere Klimaparameter detailliertere Aussagen möglich.

spektrumdirekt: Woran liegt das?

Lemke: Wir konnten auf eine wesentlich größere Anzahl von Klimasimulationen zurückgreifen, die Analysemethoden haben sich verbessert und durch verbesserte Computer sind regional verfeinerte Modelle zum Einsatz gekommen. Jetzt konnten wir die Prognosemodelle durch neue Beobachtungen optimieren. Dadurch sind unsere Vorhersagen nun um einiges umfangreicher und präziser als noch vor fünf Jahren. Dennoch haben sich einige Mittelwerte insgesamt wenig verschoben.

spektrumdirekt: Was bedeutet der Klimawandel für die Menschen?

Lemke: Nehmen wir zum Beispiel das Ansteigen des Meeresspiegels. Der Mittelwert liegt hier bis 2100 bei etwa 35 Zentimeter. Für uns in Deutschland bedeutet so eine Zahl, dass wir mehr Geld in die Deicherhöhung stecken müssen. In Bangladesh jedoch mit seinem riesigen Delta kann man das Land nicht eindeichen. Dort sind 35 Zentimeter verheerend. Denn problematisch ist ja nicht allein die mittlere Erhöhung des Meeresspiegels, sondern es sind die Sturmfluten, die darauf aufbauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deiche überschwemmt werden, steigt. Das gilt auch für uns, wenn wir sie nicht erhöhen.

spektrumdirekt: Sie selbst haben für den vierten IPCC-Report ein Kapitel über Schnee, Eis und Permafrost koordiniert, in dem auch die Arktis angesprochen wird. Was hat sich dort verändert?

Lemke: In den letzten 40 Jahren hat sich die Temperatur in der Arktis um 1,1 Grad Celsius erhöht. Global gesehen ist die Temperatur in diesem Zeitraum nur um 0,4 Grad Celsius gestiegen. Als Folge ging das Meereis pro Jahrzehnt jeweils um 2,7 Prozent zurück. Seit 1973, dem Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen zur Ausdehnung der polaren Eisdecke, hat sich das arktische Eis im Sommer sogar um zwanzig Prozent verringert. Ein anderes Problem ist die zunehmende Erosion der arktischen Küstenränder. Denn so lange die Eisdecke geschlossen ist, bleibt auch der Seegang gering. Wenn das Eis jedoch über einen Großteil des Jahres verschwindet, kann jeder Sturm dort starke Wellen produzieren und die Küsten abtragen. In Sibirien und Alaska wird schon heute so viel Küstenfläche vom Meer zerstört, dass ganze Dörfer umgesiedelt werden müssen.

spektrumdirekt: Woran liegt es, dass sich der Nordpol so viel stärker erwärmt als der Rest des Globus?

Lemke: Das Abschmelzen des Eises bewirkt eine sich selbst verstärkende Rückkopplung: Wenn die Sonne auf die weiße Fläche des Eises scheint, wird die meiste Strahlung reflektiert. Geht aber das Meereis zurück, kommt darunter ein dunkler Ozean zum Vorschein. Der absorbiert mehr Sonnenenergie, erwärmt sich und verstärkt so die Schmelzeffekte. Das ist der so genannte Temperatur-Albedo-Feedback.

spektrumdirekt: Manche Klimaforscher befürchten auch, dass der Kohlendioxidausstoß durch das Abschmelzen der Arktis und das Auftauen der dortigen Permafrostböden weiter zunehmen könnte, weil in den Böden CO2 gespeichert ist, das in die Atmosphäre entweichen könnte. Der Arktis-Klima-Report des Arktischen Rates von 2004 spricht von 70 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die auf diese Weise freigesetzt werden könnten.

Lemke: Ja, das ist in der Tat ein schwerwiegendes Problem. Doch es könnte noch schlimmer kommen: Denn durch das Auftauen des Permafrostbodens entsteht vermutlich jede Menge Sumpfland. Und das produziert durch Fäulnisprozesse Methan, das ein um den Faktor zwanzig stärkeres Treibhausgas ist als Kohlendioxid.
Aktuelle Methanproduzenten sind beispielsweise Rinderherden oder Reisfelder. Der Methananteil in unserer Atmosphäre ist noch relativ gering; er hat sich aber in den vergangenen 250 Jahren mehr als verdoppelt. Der auftauende Permafrostboden wird hier einiges beitragen. Hinzu kommen die Methanfelder, die gefroren im Boden der Ozeane liegen. Auch die könnten durch die Erwärmung des Wassers auftauen und in die Atmosphäre gelangen.

spektrumdirekt: Sind die Folgen der Klimaerwärmung beim Südpol ähnlich gravierend?

Lemke: In der Antarktis ist das merkwürdigerweise anders. Dort ist die Erwärmung noch nicht zu spüren, abgesehen von der Antarktischen Halbinsel, die weit nach Norden reicht. Die Meereisausdehnung nimmt seit 25 Jahren insgesamt gesehen sogar leicht zu. Die Gründe hierfür kennen wir noch nicht genau. Aber die Südhemisphäre ist allgemein kälter als die Nordhemisphäre, da sie von dem riesigen antarktischen Eisschild abgekühlt wird. Er hat etwa 4000 Kilometer Durchmesser und ist an den höchsten Stellen über vier Kilometer mächtig.

spektrumdirekt: Welche Auswirkungen haben die Veränderungen in der Arktis auf das Klima?

Lemke: Ozeanströmungen und Windsysteme werden durch den Temperaturgegensatz von Tropen und Polargebieten gesteuert. Wenn sich dieser Gegensatz verändert, dann wird sich auch in den Windsystemen und den Ozeanströmungen etwas verändern. So beobachtet man schon heute mit dem Zurückweichen des Eises, dass sich die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete nach Norden verschieben. Außerdem wird in den Polargebieten das Meerwasser abgekühlt. Das kältere Wasser sinkt nach unten, Tiefenwasser entsteht und treibt eine globale ozeanische Umwälzbewegung an. Diese Umwälzprozesse könnten sich abschwächen. Was ebenso bedeuten würde, dass sich das System der Golfstromausläufer ändern würde.

spektrumdirekt: Was hätte das zur Folge?

Lemke: Nun, zumindest nicht eine solche Abkühlung der Nordhemisphäre, wie sie etwa der Kinofilm "The Day after Tomorrow" zeigt. Das ist Unfug. Dass der Golfstrom sich abschwächt, liegt ja erst einmal in der starken Erwärmung, wegen der Grönland einen Großteil seines Eises verliert. Da wir momentan von Temperatursteigerungen von 2 bis 4 Grad in den nächsten einhundert Jahren ausgehen, würde eine Abschwächung des Golfstroms lediglich eine etwas verringerte Erwärmung in Europa bedeuten.

spektrumdirekt: Wie sehen Ihre Prognosen für die Arktis aus, wenn sich an den aktuellen Ursachen nichts ändert?

Meereis in der Arktis 1979 (oben) und 2005 | Das Meereis der Arktis schmilzt ab. Dadurch kommt vermehrt dunkles Meerwasser zum Vorschein, das die Sonnenstrahlen aufnimmt und so die Erwärmung des Nordpols verstärkt.
Lemke: Nach allen Szenarien verschwindet das Meereis in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts im Sommer fast vollständig. Wir werden über einen längeren Zeitraum des Jahres freies Wasser in der Arktis und damit auch einen freie Schiffsroute nach Japan haben. Das freut natürlich die Schifffahrt. Erst einmal bedeutet der Rückgang des Meereises aber ebenso, dass die verbleibenden Eisschollen freier beweglich sind und die Schifffahrtswege bedrohen können. Ohne Eisbrecher wird man die Arktis wohl auch in näherer Zukunft nicht durchqueren können. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die Arktis im Sommer eisfrei ist.
Für den Eisbär ist das natürlich eine Katastrophe. Doch das Ökosystem wird sich anpassen müssen. Der Eisbär wird sein Refugium verkleinern, seine Zahl wird abnehmen. Gleichzeitig werden sich andere Arten vom Süden her nach Norden wagen und sich neue Nahrungsquellen erschließen. Das spezielle Ökosystem des Meereises wird jedoch deutlichen Schaden nehmen.

spektrumdirekt: Wo besteht akuter Handlungsbedarf, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen?

Lemke: Die Ursachen des Klimawandels sind ja eigentlich simpel: Wenn man sich den CO2-Gehalt der Atmosphäre für die letzten 650 000 Jahre ansieht, dann lag der bei Eiszeiten etwa bei 180 ppm (parts per million), in einer Warmzeit bei etwa 280 ppm. Wir haben inzwischen 380 ppm erreicht, und es ist ganz offensichtlich, dass wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts bei etwa 550 ppm landen werden. Ich glaube nicht, dass wir diesen Wert noch deutlich verringern können. Unsere Aufgabe ist nun schlicht zu verhindern, dass zuviel CO2 und andere Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen.

spektrumdirekt: Was sollte man konkret tun?

Lemke: Man kann natürlich viel beim Energieverbrauch sparen, indem man die Ressourcen effektiver nutzt. Das verschafft etwas Luft. Wir müssen aber auch neue Energieformen entwickeln. Denn der Rückgriff auf Windräder oder Atomkraftwerke wird uns nicht weiterbringen. Das eine ist nicht effektiv genug, das andere birgt zu hohe Risiken. Das wird mit den Mitteln, die wir bisher zur Verfügung haben, nicht möglich sein. Deshalb muss mehr Geld in die Erforschung alternativer Technologien gesteckt werden.
Auch die Suche nach neuen Energieformen und entsprechenden Technologien sollte verstärkt werden. Man könnte beispielsweise in manchen Regionen die Erdwärme besser nutzen oder mit der Sonnenenergie arbeiten.
Eine andere Möglichkeit ist, das Kohlendioxid abzufangen und unter der Erde zu bunkern. Auch das würde erst einmal etwas Spielraum verschaffen. Aber hier gibt es noch jede Menge offene Fragen. Es ist etwa noch völlig ungeklärt, wie sicher solche CO2-Bunker wären und wie man sie richtig verschließen könnte.

spektrumdirekt: Wie bewerten Sie aktuelle Maßnahmen wie etwa den Emissionshandel?

Lemke: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auf Dauer ist ein Emissionshandel unbefriedigend, weil er dazu führt, dass sich reiche Akteure immer wieder freikaufen. Das Problem wird damit außerdem nicht wirklich gelöst. Wir müssen weltweit die Emissionen verringern. Die westlichen Länder sollten in die Verantwortung genommen werden und die ärmeren Staaten bei der Nutzung alternativer Energien unterstützen. Wir haben hier eine Verpflichtung dem Rest der Welt gegenüber.

spektrumdirekt: Wie sehen Sie die Rolle der USA für den Klimaschutz?

Lemke: Als eine der westlichen Nationen wäre es für die USA natürlich ganz wichtig, wenn sie sich am Kyoto-Protokoll beteiligen würde. Aber auch andere Länder wie China oder Indien machen noch nicht mit. Das muss sich unbedingt ändern, denn China wird die Amerikaner 2010 vermutlich im CO2-Ausstoß überholen, und Indien ist auf einem ähnlichen Weg.

spektrumdirekt: Fühlen Sie sich als Klimaforscher von der deutschen Politik ernst genommen?

Lemke: Ich denke, dass man hierzulande weiß, was der Klimawandel bedeutet. Aber unsere Politiker haben aktuell auch noch mit anderen Problemen zu kämpfen, etwa dem Arbeitsmarkt, und die Erderwärmung ist dann nicht immer das Nächstliegende. Vielleicht wird sich erst etwas ändern, wenn die ersten Extremereignisse zugeschlagen haben.

spektrumdirekt: Die nun veröffentlichte Kurzfassung des ersten Teils des IPCC-Berichtes richtet sich ja an die Politik. Welche Ratschläge geben Sie den Politikern?

Lemke: Zum einen müssen wir versuchen, die CO2-Emissionen zu verringern, zum anderen müssen wir uns darauf vorbereiten, dass der Klimawandel kommt. Denn der Zug ist ja schon in Bewegung. In gewisser Weise werden wir mit dem Klimawandel leben müssen und uns darauf einstellen, dass Extremereignisse zunehmen werden. Genaue Vorschläge werden im März und April mit den Arbeiten der Arbeitsgruppen II und III veröffentlicht.

spektrumdirekt: Glauben Sie, dass die Spannweiten der Prognosen bei der Vermittlung des Klimawandels ein Handicap darstellen?

Lemke: Wenn Politiker vorschützen, dass die Klimamodelle noch nicht gut genug sind, um darauf Entscheidungen zu begründen, verkennen sie die Sachlage. Es gibt in unserer Gesellschaft keinen Bereich, in dem bessere Vorhersagen gemacht werden als mit Klimamodellen. Ökonomische Vorhersagen oder Steuerschätzungen, auf die in der Politik jeden Tag zurückgegriffen wird, haben eine viel schwächere Basis.
Das Problem ist, dass die Politiker einfach aktuell eingreifen müssten. Und davor schrecken sie zurück. Auch die häufige Äußerung, entsprechende Maßnahmen kosteten zu viel Geld, ist schlichtweg nicht wahr. Im Gegenteil: Wir haben in Europa bisher sehr wohl gezeigt, dass mit umweltfreundlichen Produkten und alternativen Energien viel Geld verdient werden kann. Das müsste einfach verstärkt werden. Ich denke aber schon, dass wir in Europa den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir marschieren nur noch nicht schnell genug. Wir werden in massive Probleme geraten, wenn wir uns nicht baldmöglichst verstärkt alternativen Energien zuwenden.

spektrumdirekt: Herr Professor Lemke, wir danken für das Gespräch.

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