Direkt zum Inhalt

News: Blinde Passagiere

Viren kennen keine Hemmungen, wenn es darum geht, ihr Überleben zu sichern, und klinken sich in alle möglichen Mechanismen des Wirtes ein. Die Erreger von Warzen schicken ihr Erbgut als blinde Passagiere mit den Chromosomen der Wirtszelle auf Reisen.
Papillomavirus
Klammheimlich schleichen sie sich über winzige Hautverletzungen ein und dringen in den Kern der Zelle vor. Dort angekommen, lassen sie sich durch nichts mehr vertreiben: Sie richten sich häuslich ein und sorgen für Nachwuchs. Erste Krankheitssymptome lösen sie erst nach mehreren Wochen oder Monaten aus. Die Übeltäter: die ausgesprochen heterogene Gruppe der humanen Papillomaviren (HPV).

Zu ihr gehören rund 100 verschiedene Virentypen, die Warzen, gutartige Hauttumoren und – unter entsprechenden genetischen oder äußeren Einflüssen und abhängig vom Virentyp – auch Krebs auslösen können. So sind Papillomaviren an einem Großteil der Gebärmutterhalskrebs-Erkrankungen beteiligt. Ein Medikament oder einen Impfstoff gegen HPV gibt es nicht, behandelt wird durch Verätzung der erkrankten Stelle oder per Skalpell.

Auf der Suche nach anderen Mitteln und Wegen, eine HPV-Infektion zu bekämpfen, versuchen Wissenschaftler zu verstehen, wie es den Viren gelingt, langfristig im Wirt zu überdauern. Ihr Erbmaterial vermehren sie in Zellen, die sich noch teilen. Die Produktion vollständiger Viren wird aber erst in ausdifferenzierten Zellen angekurbelt – die Eindringlinge müssen also dafür sorgen, dass sie ihre DNA bei jeder Teilung der Wirtszelle auf die Tochterzellen verteilen.

Wie ihnen das gelingt, ist unbekannt. Ein bestimmtes virales Eiweiß, das Protein E2, könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen, vermutete Louise Chow von der University of Alabama at Birmingham. Denn ein Verwandter von HPV, das bovine Papillomavirus, das Rinder befällt, setzt dieses Eiweiß bei der Verteilung seines Erbguts ein.

Eigentlich ist E2 ein wichtiger Steuerfaktor, der wie ein Schalter funktioniert: Es knipst verschiedene Gene des Virusgenoms an und aus. Doch Chow und ihre Kollegen zeigten, dass es auch die Funktion eines Schleusers übernimmt.

Die Wissenschaftler markierten sowohl die DNA von HPV als auch das Protein E2 mit zwei verschiedenfarbigen Fluoreszenzfarbstoffen. So konnten sie unter dem Mikroskop den Weg der Papillomavirus-DNA bei der Zellteilung der Wirtszelle verfolgen.

Die Farbstoffe brachten es ans Licht: E2 schleust die virale DNA in Form von Minichromosomen als blinde Passagiere auf das Vehikel, das die infizierte Zelle für die Verteilung des eigenen Erbguts zur Verfügung stellt: Das Protein hängt die Minichromosomen an die Spindelfasern, welche die Chromosomen der Wirtszelle bei der Zellteilung auf die Tochterzellenverteilen – samt blinden Passagieren. So sorgen humanen Papillomaviren für die Weitergabe ihres Erbguts und sichern sich damit ihr Fortbestehen, wenn sich die Wirtszelle vermehrt.

Die Forscher vermuten, dass das Protein E2 auch beteiligt ist, wenn sich aus manchen HPV-Infektionen eine Krebserkrankung entwickelt. Sie halten es außerdem für möglich, dass regulatorische Einheiten der viralen DNA einmal als Vehikel benützt werden könnten, um therapeutische Gene einzuschleusen – die blinden Passagiere bekämen dabei also Informationen aufgeladen, die zur Zerstörung der Viren führen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.