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News: "Bomben" entschärfen

Mit der "Senföl-Bombe" versuchen manche Pflanzen, sich allzu hungrigen Schmetterlingsnachwuchs vom Blatt zu halten: Die scharfen Substanzen sollen den Raupen den Appetit verderben. Der Kleine Kohlweißling weiß die Situation zu entschärfen - und macht sich dafür sogar den Bomben-Auslöser zu Nutze.
Kohlweißling-Raupe
Stellen Sie sich vor, Sie stecken sich ein Salatblatt in den Mund, und es verwandelt sich nach dem ersten Biss in eine übelschmeckend bittere, schleimige Angelegenheit. Der Hang zum Ausspucken wäre groß – und der zukünftige Bogen um diese Sorte wohl einigermaßen gewiss. Doch genau diese Erfahrung sollte eigentlich so manche Schmetterlingsraupe machen, die herzhaft an ihrem grünen Zuhause nagt – und doch kaut sie ungerührt weiter. Kein Sinn für Geschmack?

Wahrscheinlich schon. Aber im selben Maße, in dem sich Pflanzen gegen die unerwünschten Essensgäste zur Wehr setzen, revanchieren sich die Insekten-Jungspunde mit einfallsreichen Ideen, wie sie die pflanzlichen Appetitzügler umgehen. Die Raupen der Kohlmotte (Plutella xylostella) beispielsweise haben ein Enzym entwickelt, mit dem sie einer besonders bewährten Form grüner Abwehr – der "Senföl-Bombe" – bestens beikommen können. Bei dieser Verteidigungsvariante vieler Kreuzblütler werden blatteigene Glucosinolate mithilfe des Enzyms Myrosinase zu scharf riechenden und schmeckenden Senfölen umgesetzt, wenn das pflanzliche Gewebe etwa durch knabbernde Raupen verletzt wird. Das Enzym der Kohlschaben-Larven aber kappt den Glucosinolaten ihre Sulfatgruppen, und schon werden sie von der Myrosinase nicht mehr erkannt. Keine Glucosinate, keine Senföle – guten Appetit.

Mit derselben "Senföl-Bombe" kämpfen Ackerschmalwand, Blumenkohl und ihre Verwandten auch gegen die Raupen des Kleinen Kohlweißlings (Pieris rapae) – doch auch diese zeigen sich ungerührt. Allerdings favorisieren sie eine andere Lösung als die Enzym-Variante, wie Ute Wittstock vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und ihre Kollegen nun klären konnten.

Der gefräßige Schmetterlingsnachwuchs macht die "Senföl-Bombe" nicht nur unschädlich, sondern nutzt den Auslöser – das Enyzm Myrosinase – sogar noch zur Entschärfung. Denn die Forscher spürten im Mitteldarm der Tiere ein noch unbekanntes Protein auf, das mithilfe der Myrosinase die Glucosinolate nicht in Senföle, sondern in deutlich weniger giftige Nitrile umwandelt, welche die Raupen dann nahezu komplett schlicht ausscheiden.

Jenes nitril-specifier protein oder NSP, das die Forscher genauer charakterisierten, wirft dabei noch viele Fragen auf: Es zeigt keine Ähnlichkeit zu anderen Proteinen, deren Funktionen bekannt sind. Und bisher ist auch völlig unklar, wie es Hand in Hand mit dem Pflanzen-Enzym den entschärfenden Umbau bewerkstelligt.

Ohne Myrosinase funktioniert das Anti-Senföl-Programm übrigens nicht. Außerdem ist es auf den Mitteldarm der Raupen beschränkt – eine durchaus sinnvolle Begrenzung, denn in anderen Körperregionen oder anderen Lebensabschnitten wird die Entwaffnung schließlich auch nicht gebraucht.

So raffiniert Pflanzen sich also zur Wehr setzen, auch den tierischen Plagegeistern fällt immer etwas ein. Allerdings können ihnen besonders ausgeklügelte Ideen auch gerade zum Verhängnis werden, bieten sie doch wiederum den zweibeinigen Unterstützern der Pflanzenabwehr neue Angriffsmöglichkeiten, ganz gezielt gegen bestimmte Schädlinge vorzugehen. Auch das NSP könnte sich so als Achillesferse des Kleinen Kohlweißlings erweisen: Gelingt es Forschern, die Aktivität des NSP auf welchem Wege auch immer zu hemmen, dürfte den Raupen denn doch der Appetit vergehen. Eine für die Landwirtschaft durchaus interessante Aussicht angesichts ungezählter angeknabberter Kohlköpfe und Co.

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