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News: Bunte Strichel-Spiralen

Ein Glas mit einer roten Lösung. Doch halt! Plötzlich ist Flüssigkeit blau - und kurze Zeit später doch wieder rot. Diese zauberhaft anmutende Reaktion ist schon fast 50 Jahre bekannt, beschäftigt aber nach wie vor die wissenschaftlichen Gemüter. Eine neue Variante erfreut einmal mehr Auge und Geist.
Segmentierte Spirale
Es könnte im Lehrplan von Harry Potter stehen, denn es scheint an Zauberei zu grenzen: Ein dünner Flüssigkeitsfilm in einer Glasschale bildet rot und blau gefärbte Spiralen, die sich langsam ausbreiten. Des Weiteren sind konzentrische Farbringe zu beobachten, die nach außen wandern, während innen neue nachwachsen – geradezu lebendig sieht das alles aus. Der alternative Reaktionsaufbau: Rührt man die rätselhafte Lösung während des Versuchs stetig um, dann bilden sich keine farbigen Kringel, sondern man beobachtet einen stationären, oszillierenden Farbwechsel der gesamten Flüssigkeit zwischen den beiden Farben.

Doch dieses bunte Farbenspiel ist schon viel älter als Harry Potter. Schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckten zwei Wissenschaftler die nach ihnen benannte Belousov-Zhabotinsky(BZ)-Reaktion, die inzwischen den Prototyp oszillierender Reaktionen verkörpert.

Vergleichen lässt sich dieser Reaktionstyp mit einer mechanischen Standuhr: Eine Hauptreaktion, die freiwillig abläuft und somit das ganze System antreibt, ist quasi das Gewicht, dass sich langsam absenkt und dabei die Uhr am Laufen hält. Mit der Hauptreaktion sind aber noch weitere Nebenreaktionen verbunden, die man – um bei dem Bild zu bleiben – mit der Bewegung des Uhrpendels vergleichen kann. So, wie das Pendel immer abwechselnd nach beiden Seiten ausschlägt, so ändern sich in der Reaktionslösung die Konzentrationen der involvierten chemischen Substanzen. Und da die Stoffe verschiedenfarbig sind, können wir diese Pendelausschläge anhand der unterschiedlichen Färbung erkennen.

Noch 50 Jahre nach ihrer Entdeckung fasziniert diese farbenprächtige Reaktion die Wissenschaftler – so auch Vladimir Vanag und Irving Epstein von der Brandeis University im amerikanischen Waltham. Eine von ihnen entwickelte Methode vereinigt jetzt die beiden verschiedenen anfangs erwähnten Reaktionsführungen. Und aus dieser Verbindung der sich fortpflanzenden Spiral- oder Kreiswelle mit der stationären Oszillation ist eine neue Variante erwachsen: gestrichelte Spiralwellen, beziehungsweise gestrichelte konzentrisches Kreiswellen. Worauf beruht dieser Effekt, wie bilden sich diese kurzen Wellensegmente, die in regelmäßigen Abständen durch Lücken unterbrochen sind?

Eine Mikroemulsion aus Wasser und Öl steckte hinter den gestrichelten Mustern. Die Zutaten für die BZ-Reaktion lösten sich dabei in den winzigen Wassertropfen, von denen es quasi zwei "Sorten" gab: Die Tröpfchen der einen Sorte wiesen dabei einen Durchmesser von etwa 4 bis 6 Nanometer auf, die anderen etwa 20 bis 40 Nanometer. Da die chemische Reaktivität dieser Mikrosysteme von der Tropfengröße abhängt, stellten die beiden Tropfensorten zwei verschiedene Untersysteme dar, verbunden miteinander durch die ölige Phase, in der sich einige Zwischenprodukte der BZ-Reaktion lösten. Des Weiteren kamen die verschiedenen Mikrosysteme auch durch Kollision der Tröpfchen miteinander in Berührung.

In diesem Medium bildete sich im Verlauf der Reaktion zunächst eine "normale", also durchgängige Spirale aus, die aber dann von innen heraus anfing, in Segmente zu zerfallen. Im Kern der Spirale entstanden dann immer neue Wellenabschnitte, die nach außen wanderten, dabei anwuchsen, und sich bei einer kritischen Länge in zwei neue Unterabschnitte aufspalteten. Auf diese Weise wurde die Spiralstruktur aufrechterhalten. Bei den konzentrischen Kreiswellen entstand auf ähnliche Weise ein Muster, das von den Forschern als "Blume" bezeichnet wird, leider aber nicht so stabil ist.

Aber was nützen uns diese komplexen dynamischen Strukturen – abgesehen davon, dass sie das Auge erfreuen? Sie sollen uns helfen, die Natur besser zu verstehen. Denn auch dort trifft man bei genauerem Hinsehen auf ähnliche Erscheinungen, wie Vanag und Epstein betonen. Schon im ganz Kleinen, etwa bei spiralförmigen Mustern in Bakterienkulturen oder auf Kristalloberflächen. Dann auch im etwas Größeren, so zum Beispiel bei den spiralförmigen Knötchen von Kiefernzapfen und ebenso bei Muschelschalen. Oder im ganz Großen, nämlich bei spiralförmigen Galaxien.

Die Forscher sind der Ansicht, dass ihre neu entdeckten unterbrochenen Spiralwellen ein besseres Modell darstellen als die durchgezogenen Wellenfronten der bisher bekannten Spiralen und damit einen interessanten Erklärungsansatz liefern für die Entstehung und Entwicklung solcher natürlichen Phänomene.

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