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Materialwissenschaft: Chaotische Zustände

Glas und Metall sind zwei vollkommen unterschiedliche Materialien? Für gewöhnlich mag das stimmen, denn im Metall sind die Atome streng organisiert - im Glas geht es hingegen definitionsgemäß recht unordentlich zu. Mit einem Kniff könnte es nun allerdings gelingen, Metallatome dauerhaft durcheinander zu bringen.
Metallisches Glas aus einer Legierung
Ein Alltag ohne Glas ist schwerlich vorstellbar: angefangen bei Fenstern, Spiegeln und Brillen bis hin zu Mikroskopen, Kameras und Glühbirnen. Dabei haben wir meist gewöhnliches Gebrauchsglas vor Augen – tatsächlich aber ist Glas nichts weiter als eine gefrorene Flüssigkeit: dicht gepackte, aber zufällig verteilte Ansammlungen von Molekülen, die sich – auf menschliche Zeitskalen bezogen – nicht bewegen und damit für alle praktischen Anwendungen als Festkörper durchgehen.

Obwohl diese im Gegensatz zu Glas eine Kristallstruktur besitzen: Die Atome sind in einer ganz bestimmten Weise angeordnet und bilden Gitter. Glas wird deshalb auch als amorphe, also nichtkristalline, Substanz bezeichnet. Um diesen Zustand herzustellen, muss beim Abkühlen der Glasschmelze der in gewöhnlichen Festkörpern eintretende Prozess der Kristallisation umgangen werden. Dafür eignet sich eine Vielzahl von Materialien, unabhängig von der Bindung zwischen den Atomen oder Molekülen, aus denen sie bestehen. So zum Beispiel auch bestimmte Kunststoffe.

Fehlende Bewegungsfreiheit

Vor fünfzig Jahren entdeckten Wissenschaftler, dass geschmolzene Metalle ebenfalls unter ihren Schmelzpunkt abgekühlt werden können und dennoch ihre flüssige Struktur beibehalten. Den Atomen das Chaos aufzuzwängen ist allerdings nicht einfach, denn sie neigen stärker als andere Stoffe dazu, letztlich doch zu kristallisieren. Seit Jahrzehnten wissen die Forscher, dass sie die Schmelze abkühlen müssen, bevor sich überhaupt Kristalle ausbilden. So sind die Atome bewegungslos und können sich nicht mehr in Reih und Glied versammeln.

Doch bei Metallen ist diese List schwierig umzusetzen, da ihre Atombindungen oft enorm hohe Abkühlraten erfordern. Der Trick liegt nun darin einen Weg zu finden, den Kristallisationsprozess zu verlangsamen – und das schafften die Forscher, indem sie mehrere Elemente mit unterschiedlicher Atomgröße geschickt vermengten. Die resultierende Kristallstruktur ist so kompliziert, dass bereits Abkühlraten von wenigen Grad pro Sekunde ausreichen um die Kristallbildung unterhalb des Schmelzpunktes zu unterdrücken.

Kleine Sensation

Monoatomare metallische Flüssigkeiten galten bislang allerdings als unbezwingbar. Bislang, denn Forscher um Austen Angell von der Arizona State University nennen nun das Rezept, um Glas aus flüssiges Germanium herzustellen – eine kleine Sensation. Und dabei ist die geheime Zutat der Forscher nicht sonderlich spektakulär: Es handelt sich schlicht und einfach um Druck. Sie kamen auf diese Idee als sie das Verhalten von Flüssigkeiten, die ähnlich zu Silizium und Germanium sind, am Computer simulierten.

So wie die Zusammensetzung der Legierung die Fähigkeit einer Metallverbindung bestimmt, schnell oder langsam zu kristallisieren, so sollte diese Aufgabe im Fall von reinen Materialien vom Druck übernommen werden. Allerdings funktioniert diese Methode nur bei solchen Substanzen, in denen der Druck die Schmelztemperatur senkt und das passiert wiederum nur, wenn der Werkstoff bei der Kristallbildung expandiert – so wie etwa in Wasser.

Ihre Entdeckung zeigt dennoch wie universell der Glaszustand ist und vertieft das Verständnis dieses Werkstoffs. Direkte technischen Anwendungen stünden momentan eher im Hintergrund. Allgemein sind die Erwartungen an metallische Gläser hoch, da sie härter und fester sind als ihre kristallinen Gegenstücke. Wer nun allerdings mit einem Fenster oder gar einer Brille aus dem neuen Material liebäugelt, der wird enttäuscht sein: Für den Laien ist es nicht von gewöhnlichem Metall zu unterscheiden, und damit fehlt leider auch die nötige Durchsicht.

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