Direkt zum Inhalt

Klimapolitik: "Chinesen mögen keine aggressiven Aktionen"

Über Chinas Energie- und Klimapolitik sowie die Arbeit von Umweltorganisationen in der Volkrepublik China sprach auf der internationalen Klimakonferenz Michael Lenz mit der chinesischen Greenpeaceaktivistin Ailun Yang. Die 28-jährige Finanzfachfrau und studierte Soziologin ist Kampagnenmanagerin für Klima und Energie im Hauptquartier von Greenpeace China in Peking.
Greenpeace-Aktivistin Ailun Yang auf der Klimakonferenz auf Bali
spektrumdirekt: China wird hier auf der Klimakonferenz für seine konstruktive Rolle gepriesen. Ist dieses Lob gerechtfertigt?

Ailun Yang: Wir sehen auch mit Freude, dass China eine aktive Rolle eingenommen hat. Das reflektiert die Politik zuhause. China hat wichtige Schritte eingeleitet, um den Klimawandel anzugehen. Es dabei wichtig zu verstehen, dass für China Maßnahmen gegen den Klimawandel auch andere Nutzeffekte hat. Es geht um die Luftverschmutzung, es geht um Energiesicherheit, auch um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Es ist also im Interesse Chinas, mehr gegen den Klimawandel zu tun.

spektrumdirekt: Glauben Sie, dass es die chinesische Regierung es ernst meint oder wird das grüne Mäntelchen nach den Olympischen Spielen wieder abgelegt?

Yang: Wenn man sich nur mal die Luftverschmutzung bei uns ansieht, dann wird klar, dass eine Umweltkatastrophe droht, wenn nichts getan wird. Der Klimawandel zusammen mit anderen Umweltproblemen beginnt die gesellschaftliche Stabilität und die wirtschaftlichen Fortschritte, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, zu gefährden. Das kann die Regierung nicht ignorieren.

spektrumdirekt: Ist die soziale Stabilität schon akut durch den Klimawandel gefährdet?

Yang: Die Gletscherschmelze im Himalaja beispielsweise ist schockierend. Im IPCC-Report heißt es, wenn die gegenwärtige Schmelzrate anhält, werden in weniger als dreißig Jahren achtzig Prozent der Gletscher verschwunden sein. Damit ist die Hauptwasserquelle für alle großen Flüsse Asiens gefährdet. Das wird auch eine große Auswirkung auf die Wasserversorgung in China haben. Hinzu kommt, dass in China bereits neunzig Prozent des Grundwassers in den Städten, die Hälfte aller Flüsse, ein Drittel aller Seen verschmutzt sind. Wenn man das alles zusammennimmt wird klar, welch große Wasserkrise uns droht. Die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung sind noch Bauern, die für ihren Lebensunterhalt auf das Wasser angewiesen sind. Wenn das Wasser für ihre Landwirtschaft zu verschmutzt ist, haben sie keine Ernte mehr. Dann gehen die Bauern auf die Straße.

spektrumdirekt: Welche progressiven Schritte hat die Regierung unternommen?

Yang: Bis zum Jahr 2010 soll die Energieeffizienz um ein Fünftel gesteigert werden. Bis 2020 erneuerbare Energien 15 Prozent unserer Energieversorgung ausmachen. Die Regierung will auch die schmutzigsten Kohlekraftwerke bis 2010 schließen.

spektrumdirekt: Schlagen die Umweltprogramme der Regierung in Peking wirklich auch in der Provinz durch?

Yang: Das ist ein wichtiger Punkt. Die zentrale Politikebene ist sehr ambitioniert, weil sie das Ausmaß der Bedrohung verstehen. Aber sie haben Schwierigkeiten, diese Dinge auf den lokalen Ebenen umzusetzen. Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel ist die Mentalität vieler lokaler Behörden noch geprägt von dem ausschließlichen Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung, und Umweltthemen spielen für sie keine Rolle. Diese Einstellung muss verändert werden. Es geht ja nicht darum, ob das Land entwickelt werden soll. Sondern es geht darum, wie das geschieht. Wir können uns nicht den Luxus leisten, die Fehler anderer zu wiederholen, zuerst alles zu verschmutzen und dann aufzuräumen. Ein anderes Problem ist, dass das chinesische Regierungssystem zu sehr an Befehle von oben aus Zeiten der Planwirtschaft gewöhnt ist. Aber das Land ist riesig und sehr vielfältig. Deshalb muss man die lokalen Ebenen ermutigen, selbst Initiativen zur Lösung ihrer lokalen Probleme zu ergreifen. Die Zentralregierung ihrerseits sollte eine Haltung einnehmen, die flexiblere, marktbasierte Ansätze ermutigt, anstatt sich auf Anordnungen zu verlassen.

spektrumdirekt: Wird der Energieausfall durch die geplanten Kraftwerksschließungen durch Atomenergie kompensiert?

Yang: Greenpeace ist davon überzeugt, dass zwei Elemente für eine nachhaltige Energiestruktur wichtig sind. Das eine ist eine enorme Verbesserung der Energieeffizienz und das andere der massive Einsatz von erneuerbaren Energien. In beiden Bereichen sind positive Schritten zu sehen. China braucht für sein Wachstum Energie. Aber es muss sein wirtschaftliches Wachstum vom Gebrauch fossiler Brennstoffe abkoppeln.

spektrumdirekt: Teilt die Regierung diese Ansicht von Greenpeace?

Yang: Wenn man sich die Politik der Regierung ansieht, dann erkennt man, dass sie der gleichen Logik folgt. Nuklearenergie macht knapp ein Prozent der gesamten Energieproduktion aus. Selbst wenn die ehrgeizigen Ziele der Regierung Realität werden, dann liegt der Anteil 2020 bei etwa drei Prozent.

spektrumdirekt: Kann Ihre Organisation ungehindert in China agieren?

Yang: Nun ja, Greenpeace in China hat nicht eine so lange Geschichte wie zum Beispiel Greenpeace in Deutschland. Wir sind erst seit vier oder fünf Jahren in China. Um in dem Land effektiv arbeiten zu können, müssen wir die Kultur des Landes als auch die Realitäten vor Ort akzeptieren. Die Bedingungen sind anders. Es gibt zum Beispiel so gut wie keine Bewegungen der Bürgergesellschaft. Eine für uns große Chance ist das in den letzten Jahren stark gewachsene Umweltbewusstsein in der Öffentlichkeit. Die Menschen sorgen sich mehr und mehr um die Umwelt.

spektrumdirekt: Wird Greenpeace in seiner Arbeit durch die Behörden behindert?

Yang: Ich sage nicht, dass es einfach ist, in China zu arbeiten, denn das Land ist nicht das einfachste für Nichtregierungsorganisationen. Manchmal haben wir Schwierigkeiten, an Informationen zu kommen. Manchmal fehlt es auch an formalen oder legalen Kanäle für die Teilhabe der Bürgergesellschaft. Auf der anderen Seite erkennt die Regierung den Nutzen der Beiträge der Bürgergesellschaft. Das Problem ist offensichtlich so groß, dass man jeden Beitrag braucht, um das Problem anzugehen. Deshalb sind Organisationen wie Greenpeace toleriert.

spektrumdirekt: Arbeiten Sie mit der Regierung zusammen?

Yang: Es gibt Kommunikation. Die Regierung ist riesig, und natürlich gibt es fortschrittliche Kräfte, die wirklich das Umweltthema vorantreiben. Mit denen müssen wir sprechen, aber auch mit jenen, die noch kein ausgeprägtes Verständnis für diese Probleme haben. Greenpeace ist natürlich darauf bedacht, seine Unabhängigkeit zu bewahren, aber zu bestimmten Fragen gehen wir auch strategische Partnerschaften ein.

spektrumdirekt: Gibt es Kontakte hier auf der Konferenz zur chinesischen Delegation?

Yang: Ja, die chinesische Delegation ist hier offener gegenüber Greenpeace als jemals zuvor. Das hat meiner Meinung nach viel mit dem Positionswechsel der chinesischen Regierung zu tun. Früher, als sie die Rolle des Blockierers spielten, wollten die Delegationen nicht so sehr mit anderen sprechen. Jetzt sind sie aktiv, in manchen Punkten gar aggressiv. Deshalb finden sie es jetzt auch wichtig, mit NGOs zu sprechen. Wir von Greenpeace hatten Treffen mit ihnen und diskutieren bestimmte Themen. Wir sind wirklich froh über die Offenheit, die sie in diesen Treffen gezeigt haben. Die Regierung hat verstanden, dass wir NGOs hier auf der Konferenz eine wichtige Rolle spielen, denn wir sind untereinander vernetzt, wir haben Kontakte zu anderen Delegationen.

spektrumdirekt: Greenpeace ist bekannt für seine provokanten, manchmal radikalen Aktionen. Kann Greenpeace so etwas auch in China machen?

Yang: Wir machen Aktionen. Natürlich nichts von der Art, wie Greenpeace Deutschland. Es ist wichtig, die chinesische Mentalität zu verstehen. Chinesen mögen keine zu aggressiven Aktionen. Das hatten wir zehn Jahre lang während der Kulturrevolution. Die Menschen haben an diese Art des politischen Lebens eine traumatisierte Erinnerung. Deshalb versuchen wir in China mehr die kreative Seite von Greenpeace-Aktionen zu betonen. Das mögen die Leute. Das haben ja bisher nicht viele Organisationen in China gemacht.

spektrumdirekt: Ist das steigende Umweltbewusstsein in China eine Generationenfrage?

Yang: Auf der einen Seite hat sich das Leben bei uns in den letzten zwanzig Jahren gewaltig verbessert, der Lebensstandard ist gestiegen. Auf der anderen Seite wurden die Umweltprobleme immer schlimmer. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem meine Generation fragt: Wollen wir so weitermachen? Die Antwort ist ein klares Nein. Deshalb muss unsere Generationen einen anderen Weg zur Entwicklung finden. Wir müssen die modernste Technologie einsetzen, aber auch unseren Lebensstil reflektieren. Das ist für diese chinesische Generation wirklich eine große Aufgabe. Wenn es China aber schafft, einen nachhaltigen Weg mit einem niedrigen Kohlendioxidausstoß zu beschreiten, dann wird das ein großes Vorbild für alle anderen Entwicklungs- und Schwellenländer sein. Das würde zeigen, das wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, ohne unser Klima zu gefährden.

spektrumdirekt: Frau Yang, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.