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Geologie: Crashkurs Sauerstoff

Warum dauerte es so lange vom ersten Leben bis zur Entstehung einer lebensfreundlichen Atmosphäre? Eine Frage, die Geo- und Biowissenschaftler schon lange quält. Vielleicht lag es daran, dass es damals einfach noch an luftigen Höhen mangelte, lautet nun ein neuer Denkansatz.
Vulkan auf den Aleuten
Wenn Erdplatten kollidieren, setzen sie gewaltige Kräfte frei: Gebirge türmen sich in luftige Höhen, Gräben reißen tief in die Kruste, Erdbeben erschüttern ganze Kontinente, und Vulkane speien ihre Feuersgluten in den Himmel. Vieles davon hatte und hat einen Einfluss auf das Klima, denn Berge verändern Luftströmungen, große Landmassen fördern Trockenheit oder Temperaturextreme, und Aschewolken wirken wie ein Sonnenschirm. Wenn sich aber bestätigt, was Ian Campbell und Charlotte Allen von der Australian National University in Canberra postulieren, hat die Plattentektonik wohl noch viel mehr bewirkt: Ohne sie gäbe es heute vielleicht keine Fauna und Flora, wie wir sie kennen.

Bis vor 2,5 Milliarden Jahren konnte kein höheres Leben außerhalb der Ozeane überdauern- zu lebensfeindlich war die Atmosphäre aus Stickstoff, Kohlendioxid, Wasserdampf und anderen Gasen, die aus der Erde ein Supertreibhaus machten. Nur in den Ozeanen bildeten sich erste Organismen heraus, die von den gemäßigteren Bedingungen im Meer profitierten. Unter ihnen befanden sich auch die Cyanobakterien, die zu den ältesten Lebewesen der Erde überhaupt gehören. Sie betrieben bereits Fotosynthese und schufen damit die Grundlage für die Evolution bis hin zum Menschen. Denn als Nebenprodukt ihres Tuns entstand: Sauerstoff.

Warum die Lücke?

Was die Forschung jedoch irritiert, ist die Lücke zwischen dem gesicherten massenhaften Auftreten der Cyanobakterien vor 2,7 Milliarden Jahren und dem Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre, der nach bisherigem Kenntnisstand erst 200 Millionen Jahre später stattgefunden hat. Reagierte der von den Bakterien freigesetzte Sauerstoff mit vulkanischen Gasen? Oder oxidierte er mit Eisen und Schwefel an der Erdoberfläche und wurde so dem System gleich wieder entzogen? Beide Ansätze gehen davon aus, dass es zu einer Anreicherung des Lebenselixiers in der Atmosphäre erst kommen konnte, nachdem diese Sauerstoffsenken aufgefüllt waren und die Überschüsse in den Himmel zogen.

Campbell und Allen halten noch eine dritte Einflussgröße für plausibel: die Plattentektonik und vor allem die Entstehung riesiger Landmassen wie Rodinia, Pangäa oder Gondwana. Die beiden Geologen wollten eigentlich mehr über das Wachstum dieser so genannten Superkontinente erfahren, indem sie mehr als 7000 Zirkone – sehr stabile und auch sauerstoffreiche Minerale – zu datieren versuchten. Dabei stießen sie auf zwei sehr auffällige Parallelen: Jedes Mal, wenn zwei oder mehrere Platten zusammenstießen, um einen neuen Kontinent zu bilden, entstanden auch stets überdurchschnittlich viele Zirkone. Und: Jede Kollision wurde von einem Sprung der Sauerstoffkonzentration in der Erdatmosphäre begleitet.

Insgesamt sechs, vielleicht sieben derartige Ereignisse ließen demnach das O2 schrittweise von vernachlässigbar auf die heutigen 21 Prozent ansteigen, wobei der erste Einschuss vor 2,65 Milliarden Jahren stattgefunden haben soll. Wichtiger ist jedoch die zweite Injektion zwischen 2,45 und 2,32 Milliarden Jahren vor heute, als Sauerstoff erstmals zu einer bedeutenden Größe im System Erde heranwuchs – immerhin oxidierten während dieser Zeit große Mengen an Eisen zu rotem Rost, der sich in entsprechend gefärbten Sedimentgesteinen niederschlug. Weitere Schübe folgten vor 1,8 Milliarden, vor 600, 300 und 40 Millionen Jahren, und stets verschmolzen dabei Platten zu neuen Erdteilen – im Falle der ersten beiden Anstiege beispielsweise zum Großkontinent Superia/Sclavia.

Gebirge als Schlüssel zum Sauerstoff?

Was aber haben beide Prozesse miteinander zu tun? Die Gebirgsbildung und die einsetzende massive Erosion sind der Schlüssel zum Verständnis, schreiben die beiden Geowissenschaftler. Wie beim Zusammstoß Eurasiens mit Indien, der den Himalaja gebar, ragten auch bei früheren Karambolagen auf der Plattenbahn riesige Gebirge neu empor. Wind und Wetter sowie die Schwerkraft ließen sie jedoch bald ähnlich schnell wieder zerbröseln, wie sie auferstanden waren.

Ins Meer geschwemmt, nährte das frische Erosionsmaterial die unter Nährstoffarmut darbenden Cyanobakterien mit Phophaten und Eisen, die sie essenziell benötigen. Regelrechte Bakterienblüten waren die Folge, die ebenso enorme Sauerstoffmengen synthetisierten. Gleichzeit bedeckten die eingetragenen Sedimente abgestorbenes organisches Material, so dass es wegen Luftabschlusses das zuvor erzeugte O2 nicht mehr wieder aufbrauchen konnte: ein Nettogewinn für die Atmosphäre.

Ein aktuelles Beispiel scheint den Forschern jedenfalls Recht zu geben: Im Gangesdelta werden momentan immense Sedimentmengen versenkt, die aus dem Zerfall des Himalajas stammen. 70 bis 85 Prozent des dabei in die Tiefe des Indischen Ozeans sinkenden Kohlenstoffs stammt aus jüngst noch lebenden Pflanzen oder Tieren und nicht aus erodierten Gesteinen des Gebirges. Das Ozeanbecken vor der Flussmündung ist entsprechend eine sehr aktive Kohlenstoffsenke, die zwei- bis dreimal so viel Kohlenstoff aus dem System entfernt, wie durch die Verwitterung der Felsen freigesetzt wird.

Umgekehrt sollten Phasen tektonischer Ruhe den Sauerstoff wieder etwas aufzehren, da die Nährstoffzufuhr und damit die Produktion durch Cyanobakterien oder Algen lahmt. Gleichzeitig verbrauchen Verwitterung oder Vulkanausbrüche weiterhin das Gas. Dies war womöglich der Fall, als Gondwana und Pangäa auseinanderbrachen: Beide Male deuten Sedimentablagerungen an, dass die Sauerstoffgehalte zu Lande und zu Wasser zurückgingen, weshalb in den Meeren ausgedehnte Todeszonen entstanden. Und auch die 200 Millionen Jahre zwischen Cyanobakterien-Entwicklung und dem verspäteten Sauerstoffschub soll kein Mysterium bleiben: Anfänglich war einfach die Sedimentationsrate und damit der Nährstoffzufluss von den Kontinenten zu klein, weil diese selbst noch zu klein waren. Erst als sie durch leichte basaltarme Magmenausflüsse und Zusammenstöße eine kritische Größe erreicht hatten, konnte das Zusammenspiel zwischen Geo-, Bio- und Atmosphäre zu lebensbejahenden Verhältnissen kippen.

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