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Küchenpsychologie: Das Diktat der Tasse

Die Menschen im Süden sind alle so herzlich, scheint ja auch immer die Sonne. Hierzulande sind im Nebelnovember dafür alle irgendwie abweisend, geradezu kalt. Gut, dass man das ganz einfach auch ohne Fernreisen ändern kann, wie streng wissenschaftliche Untersuchungen jetzt belegen.
Mit Kaffee zur soziale Wärme
Lawrence Williams braucht etwas, um auf den Punkt zu kommen – genau gesagt, rund die Hälfte seiner Sprechzeit. Ist ja auch ein wenig Vorbereitung und Hintergrundinfo nötig, um nicht am Ende unwissenschaftlich zu wirken, während man gleichzeitig behauptet, eine Kaffeetasse könne uns zu besseren Menschen machen. Zumindest im Prinzip, kurzzeitig. Und ein Eiskaffee ... ach, fangen wir besser auch ganz vorne an, bei Solomon Asch, im Jahr 1947.

Asch ist ein anerkannter Pionier der Sozialpsychologie: Auf sein Konto gehen einige Fortschritte bei der Erforschung von Phänomenen sozialer Interaktion, etwa den Auswirkungen von Gruppenzwang. Im Zuge seiner Studien beschäftigte Asch sich auch mit der "Eindrucksbildung" von Menschen in Gruppen. Er sortierte nebenbei etwa die vielen farbigen Sprachetiketten, die wir gerne unseren Sozialpartnern verpassen, um ihren Charakter zu beschreiben – zum Beispiel die Begriffe "warm" und "kalt". Beide transportieren treffend ein vielschichtiges Eigenschaften-Potpourri des sozialen Gegenübers. Über dessen Körpertemperatur sagen sie dabei natürlich wenig bis gar nichts, versteht sich.

Obwohl? Tatsächlich bemerkten nach Asch vor Jahrzehnten bald auch einige andere Wissenschaftler, dass reale Temperaturen mit realen Temperamenten möglicherweise mehr zu tun haben, als auf den ersten Blick erkennbar. Wieso, so eine berechtigte Einstiegsfrage in den Themenkomplex, kam überhaupt irgendjemand irgendwann auf die Idee, dass ein gutherziger Mensch gleichzeitig ausgerechnet ein warm-, niemals aber ein kaltherziger Typ ist? Warum bedeutet warm im sozialen Kontext fast immer und überall auch "Freund" und "Vertraulichkeit" – kalt dagegen stets eher "Feind" und "Misstrauen"? Woher kommt der auffällige, althergebrachte Temperaturbezug in diesem Zusammenhang?

Psychologen machten sich auf die Suche nach experimentellen Belegen, die Wohlbefinden und Handlungsweisen von Menschen mit physikalisch messbarer Temperatur in Zusammenhang bringen. Teilweise war dies überraschend erfolgreich: Zuletzt etwa bewiesen kanadische Forscher, dass Menschen, während sie sich an sozial ausgrenzende Ereignisse erinnern, Raumtemperaturen als kälter einschätzten und häufiger fröstelten. Umgekehrt verlangten Probanden, die in einem Experiment absichtlich sozial ausgegrenzt worden waren, im Anschluss vermehrt nach wärmendem Trost in Form von Heißgetränken.

Wärme ist also Trost, trostlose Situationen machen uns dagegen innerlich frösteln; unser psychischer Zustand schraubt offenbar an unserem Temperatursinn. Und umgekehrt? Genau das – ob also die Temperatur auch unsere Stimmung beeinträchtigt – wollte nun eben der am Anfang des Artikels weit ausholende Lawrence Williams zusammen mit seinem Kollegen John Bargh von der Yale University untersuchen. Natürliches Versuchsumfeld waren dabei Foyer, Lift und Laborräume ihres Universitätsgebäudes; insgesamt 41 freiwillige und ahnungslose Studenten dienten als Probanden.

Die Teilnehmer waren unter dem Vorwand eingeladen worden, an einem psychologischen Experiment teilzunehmen. Dieses begann allerdings schneller, als die Studenten gedacht hatten: Schon sobald sie ohne Argwohn in das Universitätsgebäude kamen, fing sie – ganz zufällig – ein mit Schreibblock, Klemmbrett, Stift und einem Getränk schwer beladener wissenschaftlicher Assistent ab und erbot sich, sie gleich mit nach oben zu begleiten. Im Aufzug fragte er dann beiläufig schon einmal ein paar Daten des Freiwilligen, Datum und Uhrzeit ab, wollte sie niederschreiben – und bat sie, ob sie mal ganz kurz die Tasse halten könnten. Klar, gern.

Mit diesem Trick bekam eine Hälfte der Freiwilligen kurz eine Tasse mit heißem Kaffee, die andere einen Becher mit kaltem Eiskaffee zu spüren. Danach begann sofort die Befragung, bei der die Kandidaten unter anderem andere Personen charakterisieren sollten. Dabei zeigte sich, dass die Probanden, die zuvor ihre Hände am heißen Kaffee gewärmt hatten, häufiger andere als "wärmere" Charaktere einstuften – und auch andere, semantisch mit Wärme assoziierten Eigenschaften auf einer schon von Asch eingeführten Bewertungsskala häufiger zur Beschreibung wählten.

Auf die generelle Entscheidungsfähigkeit oder die Stimmung der Probanden wirkte sich der Temperaturtrick indes nicht aus, wie Kontrollfragen bestätigten: Nicht temperaturassoziierte Umschreibungen von Persönlichkeiten oder nüchterne Sachabwägungen behandelten die zuvor trickreich gewärmten oder abgekühlten Probanden unterschiedslos. Ganz ähnliche Resultate erzielt man übrigens, wenn Freiwilligen nur die Begriffe warm und kalt gezeigt werden, wie der temperaturpsychologische Vorreiter Asch schon beschrieben hatte.

Williams und Bargh waren noch nicht ganz überzeugt. Hat tatsächlich nur die Temperatur des untergeschmuggelten Getränks Einfluss auf die soziale Beurteilungsfähigkeit gehabt? Einen Schwachpunkt machten sie in ihrem Versuchsassistenten aus, der den Probanden so beiläufig heißen und kalten Kaffee im Lift kredenzt hatte: Dessen Stimmung könnte ja auch durch die Temperatur der von ihm zuerst gehaltenen Getränke, vor allem aber durch sein Vorwissen beeinflusst sein, weswegen er dann unterschwellige Signale der Warmherzigkeitserwartung auf die Probanden projizierte – und so das Versuchsergebnis vielleicht mehr beeinflusste als die Temperatur des Getränks.

Ein zweiter Versuchsaufbau ohne menschliche Assistenz musste also her. Die Forscher baten 53 Probanden, zur Produktevaluation angeblich neu entwickelte Wärme- und Kühlkissen in die Hand zu nehmen und zu beurteilen. Danach fragten die Experimentatoren, ob die Freiwilligen gerne zur Belohnung selbst ein Getränk haben wollten – oder vielleicht einen gleichwertigen Geschenkgutschein, den sie ja dann "zum Beispiel einem Freund schenken könnten, damit der sich freut". Erstaunlicherweise hatten Kälte und Wärme der getesteten Produkte auch auf diese Entscheidung Einfluss: Probanden mit erwärmten Händen entschieden sich mehrheitlich für den Gutschein und gegen das Getränk, drei Viertel derer mit kalten Händen dagegen für die sofortige Selbstbelohnung.

Eindeutig, finden die Forscher: Die Wahrnehmung von Temperatur hat Auswirkungen darauf, wie man andere einschätzt – wobei Warmes einen wohlwollenden Blick auf das Gegenüber, also auch soziale Wärme fördert, Kälte dagegen eher die kaltherzige Abkapselung.

Ist sozial akzeptables Verhalten vielleicht wirklich nur eine Frage einer guten heißen Tasse Tee im richtigen Augenblick? Williams und Bargh finden schon – und fügen ihre lustigen Versuche und der mutigen Interpretationen andere Erkenntnissen hinzu, mit denen der Schlussfolgerung durch ernsthafte Indizien tatsächlich Gewicht verliehen wird. Hirnforscher fanden so etwa heraus, dass das Gehirnareal der Insula, die unter anderem bei der Einschätzung der Verlässlichkeit eines Gegenübers aktiv ist, wirklich auch auf die eigene Hauttemperatur und andere äußere Sinneseindrücke reagiert. Solche Versuche die gefühlsmäßig einleuchtende Theorie auch wissenschaftlich zu untermauern, dürften allerdings weniger spaßig gewesen sein.

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  • Quellen
Williams, L. E., Bargh J. A.: Experiencing Physical Warmth Promotes Interpersonal Warmth. In: Science 322, S. 606–607, 2008.

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