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Low-Carb: Was sagt die Wissenschaft zum Diät-Trend?

Viele machen die Low-Carb-Diät, wenige wissen, wie sie funktioniert. Der Körper beweist im künstlichen Hungerstoffwechsel, wie anpassungsfähig er ist. Doch ist das gesund?
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1. Was ist eine Low-Carb-Diät?

Ketogene Diät, Atkins-Diät, New-York-Diät – die Low-Carb-Diät hat viele Namen, die alle für das gleiche Prinzip stehen: Man isst weniger Kohlenhydrate und dafür mehr Fett und Protein. Es werden also kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Nudeln, Kartoffeln, Brot und Reis vom Speiseplan gestrichen und durch fett- und proteinreiche Gerichte ersetzt. Eine Low-Carb-Diät kann unterschiedlich streng durchgeführt werden: Die populäre Atkins-Diät setzt auf maximal 20 Gramm Kohlenhydrate pro Tag, andere Ansätze erlauben 50 bis 100 Gramm. So können – laut einer Unmenge an Diätratgebern – Übergewichtige schnell und dauerhaft abnehmen.

2. Wie funktioniert eine Low-Carb-Ernährung?

Ziel einer Low-Carb-Diät ist es, den Körper zur Fettverbrennung zu zwingen und so Hüftgold schmelzen zu lassen. Wenn man über längere Zeit auf Kohlenhydrate verzichtet, wechselt der Körper vom normalen Stoffwechsel in einen "künstlichen Hungerstoffwechsel". In diesem Stadium reagiert der Körper, als leide er seit längerer Zeit unter Nahrungsentzug – und greift die Fettreserven an Hüfte, Bauch und Po an. Damit der Körper das Fett als Energielieferant nutzen kann, wandelt er es in Ketonkörper um. Diese geben der ketogenen Diät ihren Namen. Durch die Stoffwechselumstellung kann der Mangel an Kohlenhydraten nahezu vollständig kompensiert werden. Eine solche drastische Neuorganisation des Metabolismus ist ein Beispiel dafür, wie anpassungsfähig unser Körper ist.

3. Was passiert auf biochemischer Ebene im Körper bei einer Low-Carb-Diät?

Normalerweise ist bei einem Mittagessen von allen drei Makronährstoffen etwas dabei: Kohlenhydrate aus Nudeln oder Kartoffeln; Fett aus Käse; Proteine aus Ei, Fisch oder Fleisch. Alle drei Stoffe werden im Verlauf eines eigenen Stoffwechsels in ihre Grundbestandteile abgebaut: In der Glykolyse lösen sich Kohlenhydrate auf, die Beta-Oxidation zerlegt Fette, und der Proteinstoffwechsel spaltet die Eiweiße in Aminosäuren.

Besonders schnell können wir Kohlenhydrate zerlegen – in Glukose, umgangssprachlich auch Traubenzucker genannt. Glukose wird entweder in der Glykolyse weiterverarbeitet, oder sie füllt die Glykogenspeicher auf. Diese Speicher kann der Körper bei anstrengender Bewegung leeren und so schnell die gespeicherte Energie nutzen. Langfristig können überschüssige Kohlenhydrate als Energiereserve in Form von Fettpolstern angelegt werden. Diese Prozesse werden – aus Mangel an Kohlenhydraten – während einer Low-Carb-Diät unterbrochen; der Körper muss also auf andere Energiequellen zurückgreifen.

Die Energie wird zunächst durch die fett- und proteinreiche Nahrung der Diät bereitgestellt: Das Fett wird in seine einzelnen Fettsäuren zerlegt oder, genau wie die Kohlenhydrate, in unseren Fettzellen für später eingelagert. Proteine werden nicht langfristig gespeichert.

Die Stoffwechselwege der drei Makronährstoffe können zwar getrennt voneinander beschrieben werden, sind jedoch miteinander verbunden: über das Acetyl-CoA – den Dreh- und Angelpunkt unserer Ernährung. Der Clou ist, dass Acetyl-CoA aus jedem der drei Stoffwechselwege hervorgehen kann. Durch diese Verknüpfung ist der Körper in der Lage, den Ausfall des Kohlenhydrat-Prozesses zu kompensieren.

Acetyl-CoA ist auch während der ketogenen Ernährung der wichtigste Akteur. Isst ein Mensch über einige Zeit nur wenige oder gar keine Kohlenhydrate, bedient sich der Körper in den ersten drei bis vier Tagen eines Tricks: Er stellt die fehlende Glukose einfach selbst her, und zwar aus Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, die man während einer Low-Carb-Diät ja essen darf. Doch dieser Trick, die so genannte Gluconeogenese, reicht nicht aus, um den Energiebedarf zu decken. Also zapft der Körper den nächsten großen Energiespeicher an: das Nahrungsfett und das Fettgewebe – das große Ziel jeder Diät.

Das gespeicherte Fett wird also wieder aufgelöst: Aus dieser "Fettverbrennung" entsteht unter anderem Glyzerin, das so lange umgebaut wird, bis es sich in den Kreislauf der Glykolyse einhaken und so die Glukose ersetzen kann. Das heißt, der Kohlenhydratstoffwechsel arbeitet teilweise weiter, ohne dass Kohlenhydrate gegessen werden müssen. Soweit die Theorie, die durchaus schlüssig ist, jedoch in der Praxis einige Fallen birgt.

4. Welche Rollen spielen die Ketonkörper?

Nach mehreren Tagen strenger Low-Carb-Diät wechselt der Körper vollständig in den Hungerstoffwechsel: Er stellt Ketonkörper her, die von den Organen und insbesondere vom Zentralnervensystem als Energielieferant genutzt werden können – als Ersatzstoff für die fehlende Glukose.

Auch wenn Ketonkörper als Ersatzenergielieferanten dienen können, ist ihre Produktion eigentlich eine Reaktion auf überschüssiges Acetyl-CoA. Durch die Fettverbrennung wird viel zu viel des Stoffs hergestellt. Doch eine solche Menge Acetyl-CoA vermag der Körper nicht zu verstoffwechseln. Deshalb reichert es sich in der Leber an. Als Ausweg bildet der Körper die Ketonkörper, er befindet sich in der "Ketogenese".

5. Welche Rolle spielt das Insulin?

Die meisten chemischen Prozesse im Körper werden von Hormonen gesteuert. Auch bei der Auflösung von Fettgewebe hilft ein Hormon: das Glucagon, der "Gegenspieler" des Insulins. Insulin wird ausgeschüttet, wenn wir Kohlenhydrate essen. Es sorgt dafür, dass die Glukose schnell in die Glykogenspeicher oder den Fettspeicher eingebaut wird. Ohne Kohlenhydrate in der Nahrung bleibt der Insulinspiegel niedrig. Als Folge kann das Glucagon unbehelligt den Abbau von Fettpolstern fördern.

»Low Carb« verlangt einiges an Verzicht | Kohlenhydrate stecken in vielen Produkten, die den Esser glücklich machen – zum Beispiel in Backwaren.

6. Kann man mit Low-Carb einfach und ohne Jo-Jo-Effekt abnehmen?

Laut der aktuellen Studienlage können Abnehmwillige mit einer Low-Carb-Diät in den ersten sechs Monaten schnell und viel Gewicht verlieren. Die meisten Ernährungsstudien ziehen einen Vergleich zwischen den zwei beliebtesten Diät-Formen: Low-Carb-Diät versus Low-Fat-Diät. Die Probanden nahmen mit Low-Carb mehr ab als mit Low-Fat. Der Großteil der verlorenen Kilos geht aber vermutlich auf ausgeschiedenes Wasser zurück, denn der Wasserverlust ist bei einer Low-Carb-Diät höher als bei anderen Diätformen.

Bei fast allen Ernährungsstudien wiederholt sich ein auffälliges Muster: Durch eine Low-Carb-Diät nahmen die Probanden zwar mehr und schneller ab, aber fast nie langfristig. Die meisten Studien wurden nur über sechs Monate und somit zu kurz durchgeführt, um feststellen zu können, ob der Diäterfolg von Dauer ist. Bei den Langzeitstudien zeigt sich, dass die Teilnehmer pünktlich ab dem sechsten Monat wieder zunehmen, was möglicherweise auch daran liegt, dass die Probanden sich nach einiger Zeit nicht mehr streng nach Studienanweisung ernähren. Doch nicht nur die Low-Carb-Diät versagt auf lange Sicht. Bei anderen Diäten schlägt der Jo-Jo-Effekt nach etwa sechs Monaten ebenfalls zu.

Auch eine große Überblicksstudie aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Schluss, dass die Erfolge einer Low-Carb-Ernährung nur kurz anhalten. Stattdessen empfehlen die Wissenschaftler, sich nur phasenweise ketogen zu ernähren. Ihr Konzept beginnt mit 20 Tagen streng kohlenhydratarmer Diät, um den Hungerstoffwechsel – die Ketogenese – zu erreichen. Die darauf folgenden 20 Tage dienen als Stabilisierungsphase, in welcher der Diätwillige zwar nur wenig Kohlenhydrate zu sich nehmen, aber nicht in der Ketogenese bleiben soll. Die anschließenden vier Monate ernährt man sich nach der mediterranen Diät, bis wieder 20 Tage Low-Carb-Diät folgen. So könne ein Jo-Jo-Effekt vermieden werden. Allerdings sollten insbesondere die Übergänge zwischen den Diäten langsam und kontrolliert durchgeführt werden, am besten unter der Aufsicht eines Arztes.

7. Ist die Low-Carb-Diät gesund?

Auf diese Frage liefert die Wissenschaft bisher keine gute Antwort – es fehlen aufwändige Studien, die die tatsächlichen Langzeiteffekte einer Low-Carb-Diät untersuchen.

Dafür existieren umso mehr pseudowissenschaftliche Diätratgeber, in denen vor allem eine Regel ständig wiedergekäut wird: Für eine erfolgreiche Abnahme solle der Übergewichtige prinzipiell einfach weniger Kilokalorien zu sich nehmen, als er verbraucht – egal was gegessen wird. Die Makronährstoffverteilung (egal in welchem Verhältnis) sagt jedoch nichts über die Nahrungsqualität, die physiologische Wirkung im Körper oder die gesundheitliche Prognose aus. Wer innerhalb einer Low-Carb-Diät nur rotes Fleisch, Eier und künstliche Eiweißshakes zu sich nimmt, lebt sicher nicht gesund. Eine Low-Carb-Diät kann jedoch auch aus viel grünem Gemüse, Bohnen und Hülsenfrüchten, Fisch und Milchprodukten bestehen. Es kommt vor allem auf die biologische Wertigkeit an, also auf die Frage, wie viel Körpereiweiß aus der aufgenommenen Menge Protein entsteht.

Eine proteinreiche Low-Carb-Diät könnte außerdem gefährlich für das Herz sein. Insbesondere LDL-Cholesterin gilt als einer der größten Risikofaktoren für Herzkrankheiten; doch auch das wird diskutiert). Eine Metastudie aus 2006 sieht gerade bei einer Low-Carb-Diät ein erhöhtes Risiko für den Anstieg der LDL-Konzentration. Daher sollten die erwünschten Erfolge einer proteinreichen Diät sorgfältig gegen dieses Ergebnis abgewogen werden.

Auch eine im Jahr 2012 erschienene und damit aktuellere Langzeitstudie warnt vor den Risiken einer Low-Carb-Diät. 15 Jahre lang wurden Essverhalten und Erkrankungen von 43 396 Schwedinnen dokumentiert. Laut den Autoren besteht eine direkte Verbindung zwischen einer Low-Carb-High-Protein-Diät und dem Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung. In anderen Studien wird der Einfluss einer proteinreichen Ernährung auf die Nieren untersucht, denn es wird vermutet, durch eine solche Diät könne das Fortschreiten einer Nierenerkrankung beschleunigt werden. Doch auch dazu gibt es bisher keine Langzeitergebnisse.

8. Woher kommt die Low-Carb-Diät?

In den 1970er Jahren schwappte der Trend "Low-Carb" aus den USA über den Ozean nach Deutschland. Der Ernährungswissenschaftler Robert Atkins legte sein Werk "Dr. Atkins' Diet Revolution" neu auf und war anschließend Autor von mindestens 17 Diätratgebern. Seinetwegen verzichten heutzutage zahllose Menschen auf Kohlenhydrate.

Doch der Erste, der eine kohlenhydratarme Ernährung forderte, war William Osler – oft als der Vater der modernen Medizin betitelt. Er empfahl schon im späten 18. Jahrhundert übergewichtigen Frauen, wenig Stärke und Zucker zu essen.

Knapp ein Jahrhundert später wurde William Banting bekannt, weil er das Buch "Offener Brief über Korpulenz, an das gesamte Publikum gerichtet" veröffentlichte. Darin rät er zu einer fleischlastigen Ernährung, gepaart mit sieben Einheiten Alkohol pro Tag. Diese Diät gilt als der Vorgänger der heutigen Atkins-Diät.

9. Bekommt man bei einer Low-Carb-Diät wirklich Mundgeruch?

Bei der Ketogenese werden drei Arten von Ketonkörpern gebildet: Acetoacetat, 3-Hydroxybutyrat und Aceton. Zunächst entsteht vor allem Acetoacetat. Wird zu viel davon hergestellt, entwickelt sich daraus Aceton. Dieses wird über die Atemluft abgeben – das kann dann "riechen". Aceton ist gelegentlich auch bei Diabetikern als Mundgeruch wahrnehmbar. Die anderen beiden Ketonkörperarten werden über den Urin ausgeschieden. Mit einem Teststreifen kann durch einen Nachweis der Ketonkörper getestet werden, ob man sich wirklich in der Ketogenese befindet.

10. Reduziert sich das Hungergefühl während einer Low-Carb-Diät?

Die erhöhte Ketonkörper-Konzentration scheint laut einigen Studien für ein stärkeres Sättigungsgefühl bei den Abnehmwilligen zu sorgen. Ein experimenteller Beweis für diese Hypothese steht jedoch noch aus. Ein weiterer Vorteil einer proteinreichen Ernährung könnte sein, dass die Ausschüttung des Hormons Glucagon gefördert wird. Das Glucagon wiederum unterdrückt ein anderes Hormon, das Ghrelin. Das ist ein Wachstumshormon, welches normalerweise appetitanregend wirkt. In der Theorie heißt weniger Ghrelin auch weniger Hunger. Da das Hungerempfinden jedoch immer individuell ist, lassen sich auch dazu nur begrenzt wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen.

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