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Vermutete Homosexualität: Das Schwulen-Radar ist Einbildung

Homosexuelle an der Nasenspitze erkennen? Geht nicht, belegen Wissenschaftler immer wieder. Trotzdem hält sich der Glaube an ein "Gaydar", den angeborenen "Schwulensensor" des Menschen.
Mann im rosa Hemd

Nicht wenige glauben, schwulen und lesbischen Menschen deren sexuelle Präferenz durch einen genauen Blick ins Gesicht ansehen zu können – und irren sich dabei, wie einige Studien zum Thema längst herausgearbeitet haben: Alles spricht dafür, dass die vermeintliche Fähigkeit (das vor allem im angelsächsischen Sprachraum so genannte "Gaydar, zusammengesetzt aus "gay", englisch für schwul, und "Radar") nur Einbildung ist. Allerdings ist ein endgültiger wissenschaftlicher Beleg schwer zu führen. Denn in Experimenten zum Thema kann kaum sicher auseinandergehalten werden, ob Probanden Homosexualität erkennen oder ein stereotypes Merkmal, das gesellschaftlich mit Homosexualität assoziiert ist; also etwa einen auffallend modischen Kleidungsstil.

Eine besser durchdachte Studie hatte daher versucht, nur bloße Fotos für eine Bewertung zu präsentieren – und war tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass Männer Schwule (nicht aber lesbische Frauen) allein am Bild erkennen können (weiblichen Kandidaten gelang dies aber nicht) und dass Homosexuelle dies sogar noch etwas besser können. Auch diese Studie litt allerdings unter versteckten Mängeln, meint nun ein Psychologinnenteam um Janet Hyde nach einem noch genaueren Blick: Die in der fraglichen Untersuchung eingesetzten Fotos der zu bewertenden Kandidaten waren sämtlich von Facebook heruntergeladen und unterschieden sich darin, dass sich die Homosexuellen qualitativ messbar hochwertiger präsentierten. Vielleicht bewiesen die Experimente also gar kein "Gay-dar" sondern ein feines "Foto-dar", das dann im Sinne der abgefragten Bewertungskriterien die Ergebnisse beeinflusste?

Das Team unternahm nun eine Serie von weiteren Experimenten, um der Sache noch mal genauer auf den Grund zu gehen. Vor allem wiederholten sie die ältere Studie und achteten dabei darauf, die Fotoqualitäten anzugleichen – mit dem Resultat, dass die Probanden nun die vermeintliche sexuelle Orientierung der Fotografierten nur noch wild rieten und dabei genauso oft falsch- wie richtiglagen. Auch in den anderen Tests zeigte sich jetzt, dass Probanden doch keinen sechsten Sinn für Homosexualität haben – das "Gaydar", so die Forscherinnen, ist ein urbaner Mythos, der einfach gerne immer weiter erzählt und für wahr gehalten wird.

Sehr wohl zeige sich in allen Experimenten aber ein feines Gespür für Stereotype: Probanden erkennen durchaus leicht etwa "typisch homosexuelle" Bewegungsmuster von Menschen, Kleidung oder eine "auffällige" Berufswahl und unterscheiden diese, wenn sie dazu aufgefordert worden sind, zuverlässig von einem gegenübergestellten "Norm"-Wert. Eine Assoziation zwischen solchen Stereotypen und der tatsächlichen sexuellen Orientierung führe aber regelmäßig in die Irre, warnen die Forscherinnen: Man liegt im wahren Leben häufiger falsch als richtig, wenn man anhand eines Stereotyps auf die sexuelle Orientierung schließt. So würden viele Probanden in Versuchen Männer mit rosafarbigen Hemden häufig als schwul einschätzen; im wirklichen Leben trifft man aber insgesamt mehr heterosexuelle Männer (die häufiger sind) mit rosa Hemden als die wenigen Homosexuellen – man wird hier also nicht selten danebentippen, führen die Autorinnen vereinfachend aus. Dies trifft auf alle Stereotype zu, die sich in sozialen Kontexten zudem vielfältig überlagern und die Sache unübersichtlicher machen, als intuitiv zu erfassen ist.

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