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News: Defektes Reparaturwerkzeug

Schäden im Erbgut sind gar nicht selten - und meist leicht wieder repariert. Außer der Schaden trifft den Reparaturmechanismus selbst - und dazu gehört offenbar auch das Brustkrebs-Gen BRCA2.
Simple Antworten auf komplexe Fragen sind oft unbefriedigend, selbst wenn sie richtig sein sollten. "Wie entsteht Krebs?" ist eine derartige Frage, die einfachste und durchaus richtige Antwort – indem irgendetwas in der normalen Zellroutine fatal danebengeht – kann nur der Ausgangspunkt für genauere Fragen auf einem langen Weg der kleinen Schritte sein – hin zum fernen Ziel einer anvisierten Bekämpfungsmöglichkeit.

Auf diesem Weg werden Fragen und Antworten zunehmend komplexer. So weiß man längst, dass erbliche Krebsformen häufig mit Mutationen in charakteristischen Genen der Betroffenen einhergehen – bei Brustkrebs, der zweithäufigsten krebsbedingten Todesursache von Frauen aus Industrieländern, beobachtet man beispielsweise in vier bis zehn Prozent aller Fälle Mutationen der zwei BRCA-Gene. Was genau aber führt nach dem mutationsbedingten Ausfall dieser Gene letztlich zu den unkontrollierten Wucherungen von Brust-, Bauchspeicheldrüsen-, Eierstock- und Prostatazellen?

Fehlerhafte BRCA2-Produkte scheinen die Ausbreitung weiterer Mutationen in verschiedensten Erbgut-Abschnitten zu begünstigen. Um darüber näheres zu erfahren, strebten Haijuan Yang, Nikola Pavletich und weitere Kollegen vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center und des Howard Hughes Medical Institutes eine genaue Funktionsanalyse des BRCA2-Genproduktes an. Dazu wollten sie zunächst den exakten räumlichen Aufbau des Proteins durch Röntgenkristallographie aufklären – woran andere Wissenschaftler bereits wegen der ungewöhnlichen Größe des Eiweißes gescheitert waren.

Die Forscher beschränkten ihre Analyse daher nur auf einen entscheidenden Abschnitt des Riesen-Proteins: das C-terminale Ende, in dem krebsauslösende Mutationen am häufigsten auftreten. Selbst dieser verkürzte BRCA2-Abschnitt war aber schwierig zu untersuchen. Erst nachdem das Team ein zusätzliches Begleit-Protein namens DSS-1 zugaben, konnte BRCA2 kristallisiert werden: Eine notwendige Voraussetzung für die Röntgenkristallographie-Analyse, bei der ein Eiweißkristall mit Röntgenstrahlung beschossen wird, um aus dem Streuungsmuster der abgelenkten Röntgenpartikel auf die räumliche Struktur des Proteins rückschließen zu können.

Die Auswertung der Analysedaten ergab ziemlich Überraschendes: BRCA2 enthält einige Oligonucleotid-Bindesschleifen – Andock-Stationen, mit denen Eiweiße üblicherweise einzelsträngige DNA-Abschnitte binden. Es war zwar bereits vermutet worden, dass BRCA2, wie auch BRCA1, regulatorisch an wichtigen Reparatur-Mechanismen der Zellen beteiligt sein könnte, nicht aber, dass das Protein unmittelbaren Kontakt mit DNA-Abschnitten aufnimmt – wie dies beispielsweise bei DNA-Reparaturenzymen der Fall ist.

Weitere Untersuchungen des Wissenschaftler-Teams bestätigten: BRCA2 bindet tatsächlich einzelsträngige DNA und offenbar auch doppelsträngige DNA-Abschnitte. Die Puzzlestücke waren Hinweis genug für Pavletich, Yang und Kollegen, eine einleuchtende Theorie über die Funktion des BRCA2-Proteins aufzustellen: "BRCA2 scheint dasjenige Enzym zu sein, welches Doppelstrangbrüche der DNA erkennt", sagt Pavlevitch. Sobald ein Doppelstrangbruch auftritt, wird üblicherweise an den Enden der Bruchstelle einer der beiden Doppelhelix-Stränge der DNA abgebaut, und ein kurzer Einzelstrang-Abschnitt an den Enden der doppelsträngigen DNA-Bereiche entsteht. Mit seiner Bindefähigkeit von Einzel- und Doppelstrang-DNA könnte BRCA2 solche defekten Regionen identifizieren – und dann Reparaturmaßnamen einleiten.

Diese Theorie fügt sich in bereits bekannte Beobachtungen, nach denen das funktionsfähige BRCA2 die körpereigenen DNA-Reparaturmaschinerie anzukurbeln scheint: die Aktivität des Schlüsselenzyms RAD51-Rekombinase beispielsweise und "homologe Rekombinations"-Mechanismen, mit deren Hilfe verlorengegangene DNA-Bereiche aus den verbliebenen Genkopien der Schwesterchromosomen wiederhergestellt werden können.

Der mutationsbedingte Ausfall von BRCA2 verhindert demnach diese wichtigen zellulären Schutzmechanismen vor zufälligen DNA-Schäden – was ein paar der vielen komplexen Fragen der Krebsforschung beantwortet hat. Und neue aufwirft: "Warum führt der Ausfall von BRCA2 dann nur in ganz bestimmten Gewebezellen zu Tumoren? Sind dort die Mutationsraten höher, oder weniger alternative Reparatursysteme lokal vorhanden?", möchten beispielsweise Stephen Elledge und John Wilson vom Baylor College of Medicine geklärt wissen. Immerhin: "Auf dem Weg zum Verständnis erblicher Krebsformen wie dem Brust- und Gebärmutterkrebs", sagt Pavletich, "sind wir einen Schritt vorangekommen."

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