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Brutpflege: Den Kindern zum Fraß vorgeworfen

Amphibienhaut ist mehr als nur Haut: Durchtränkt mit gefährlichen Giften bietet sie einigen Arten sicheren Schutz vor Fraßfeinden. Andere wiederum zweckentfremden sie gelegentlich und stoßen sie ab, um sie anschließend als nahrhaftes Futter aufzufressen - selbst als Babynahrung kommt sie zum Einsatz.
Boulengerula taitanus
Sie sehen aus wie riesige Regenwürmer – rund dreißig Zentimeter lang, graubraune, durch Furchen quer geringelte Haut, Vorder- und Hinterende kaum voneinander zu unterscheiden – und sie leben auch wie die Regenwürmer: Sie wühlen sich durch das Erdreich und stellen Kleintieren wie Würmern, Nacktschnecken und kleinen Wirbeltieren nach. Und doch sind die meist in den Tropen lebenden Blindwühlen Amphibien.

Boulengerula-taitanus-Mutter | Eine Boulengerula-taitanus-Mutter füttert ihren Nachwuchs mit leckerer milchartiger Haut.
Für ihren Nachwuchs tun Amphibien fast alles. Zwar gibt es einige nachlässige Arten, die einfach ihre Eier im Wasser ablegen und diese dann sich selbst überlassen, andere kümmern sich aber geradezu rührend um die Nachkommen: Sie verstecken die Eier oder bewachen sie, füttern ihre Larven oder schleppen die Eier oder sogar die Jungtiere mit sich herum.

"Dass dieses merkwürdige Verhalten vorher niemals beobachtet wurde, zeigt, wie viel wir noch über die Diversität dieser Tiere zu lernen haben"
(Mark Wilkinson)
Auch die Blindwühlen haben sich etwas zum Schutz ihrer Kinder einfallen lassen. Manche bewachen ihre Eier, die sie mit reichlich Dotter versorgt haben, damit die Larven im Ei genügend zu futtern haben. Andere wiederum sind dazu übergegangen, ihren Nachwuchs lebend auf die Welt zu bringen. Eine besonders aufopfernde Art der Brutpflege von Blindwühlen entdeckte nun das Team um Mark Wilkinson vom Naturhistorischen Museum in London. "Dass dieses merkwürdige Verhalten vorher niemals beobachtet wurde, zeigt, wie viel wir noch über die Diversität dieser Tiere zu lernen haben," meint Wilkinson.

Im Südosten von Kenia gruben die Wissenschaftler nach der kurzen Regenzeit 21 Weibchen der eierlegenden Blindwühlenart Boulengerula taitanus mit jeweils bis zu neun Jungtieren aus und beobachteten, wie die Mütter ihre Kinder großzogen.

Dabei sahen die Forscher eine zuvor noch nie gesehene Fütterungsstrategie: Das Muttertier ernährt den Nachwuchs selbstlos mit seiner eigenen Haut. Dazu wandeln die Weibchen die üblicherweise flachen Zellen der äußersten Hautschicht in langgestreckte, mit Bläschen gefüllte Zellen um. Die Vesikel sind gut bestückt mit Fetten. Da die Oberhaut der Blindwühlen auch reich an Protein ist, erhält die Haut der Tiere eine ähnliche Zusammensetzung wie Milch. Die Haut der "stillenden" Boulengerula taitanus ist dadurch deutlich heller als die von kinderlosen Exemplaren.

Die Blindwühlenbabys, die zunächst ausschließlich von der nahrhaften mütterlichen Haut leben, sind optimal auf diese Babynahrung eingestellt: Sie tragen eine Art Milchzähne, die sich deutlich von den Zähnen der adulten Tiere unterscheiden. Sie sehen in etwa aus wie eine seitlich in zwei Spitzen ausgezogene Hacke. Im Kiefer lauern die nachfolgenden spitzen zweiten Zähne schon auf ihren Einsatz.

Bei der Mahlzeit schlängeln sich die Neugeborenen um ihre Mutter, drücken ihre Köpfe fest gegen sie und schaben ihr durch Öffnen und Schließen des Mauls mit dem Unterkiefer die Haut ab. Dem Nachwuchs tut dies ausgesprochen gut: Die Tiere wachsen täglich etwa einen Millimeter und legen innerhalb einer Woche rund elf Prozent an Länge zu. Die Mutter hingegen zahlt einen hohen Preis für die Selbstlosigkeit, mit der sie einen Teil ihrer Selbst ihren Kindern zum Fraß vorwirft: Sie verliert im gleichen Zeitraum etwa 14 Prozent ihres Körpergewichts – doch was tut eine liebende Mutter nicht alles für ihre lieben Kleinen.

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