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News: Der falsche Leichnam

Zu Lebzeiten war Phillip II. - der Vater von Alexander dem Großen - leicht zu erkennen: Zum einen war er der König von Mazedonien, und zum anderen hatte er sein rechtes Auge durch einen Pfeilschuss eingebüßt. An den Folgen dieser Verletzung glaubten Wissenschaftler seinen Schädel in einer unversehrten Grabkammer erkannt zu haben. Doch bei dem Toten handelt es sich nicht um den Vater, sondern den Halbbruder von Alexander, meint nun ein Anthropologe. Sollte er mit seiner Vermutung Recht haben, dann stammen einige der Gegenstände im Grab möglicherweise von dem berühmten Eroberer - darunter sein goldener Brustpanzer.
Es war eine archäologische Sensation, als im Jahre 1977 der griechische Archäologe Manolis Andronicos bei Vergina ein unversehrtes Königsgrab öffnete. Die meisten anderen Gräber der Hauptstadt des antiken Mazedoniens waren schon viel früher Opfer von Plünderern geworden. In diesem fanden die Forscher jedoch ein verbranntes männliches und ein weibliches Skelett sowie eine Reihe wahrhaft königlicher Gegenstände: eine vergoldete Krone, einen eisernen Helm, einen kunstvoll gearbeiteten zeremoniellen Schild und einen Brustharnisch aus Eisen und Gold.

Das Interesse der Fachwelt stieg nochmals an, als ein Wissenschaftlerteam um den Anatomen Jonathan H. Musgrave von der University of Bristol 1984 zu dem Schluss kam, das es sich bei den Skeletten um die Überreste des Königs Phillip II. und seiner Frau handelte. Im Verlaufe seiner Regierungszeit von 359 bis 336 v.Chr. hatte der Monarch die militärischen und politischen Unruhen in Mazedonien beendet und anschließend die Staaten Athen und Theben seinem Reich einverleibt. Bekannt wurde Phillip II. aber vor allem als Vater von Alexander dem Großen, der die Expansion Mazedoniens fortführte, bis er schließlich fast die ganze ihm bekannte Welt beherrschte.

Bei der Identifikation des Skelettes stützte Musgrave sich vor allem auf Details am Schädel. Während der Belagerung von Methoni im Jahre 354 v.Chr. hatte ein Pfeil das rechte Auge von Phillip II. durchbohrt. Eine so schwere Verletzung, so glaubte der Anatom, könnte verantwortlich für die beiden seltsamen Merkmale sein, die er am Schädel entdeckt hatte. Bei dem einen handelte es sich um eine Grube an der Nasenseite der Augenhöhle, die Musgrave als Einkerbung durch den Pfeil interpretierte. Die andere Besonderheit war eine Wölbung mehr in der Mitte des geschwungenen Knochens. Möglicherweise handelte es sich dabei um einen verheilten Einschnitt.

Erste Zweifel an der Identität der Skelette kamen auf, als Wissenschaftler die Gegenstände im Grab auf die Zeit um 317 v.Chr. datierten, also eine Generation nach der Ermordung Phillips im Jahre 336 v.Chr. Danach war es wahrscheinlicher, dass die Überreste zu einem der Nachfolger Alexander des Großen, der selbst in Ägypten bestattet worden war, gehören.

Der Anthropologe Antonis Bartsiokas vom Anaximandrian Institute of Human Evolution wollte den Widerspruch mit einer neuen Untersuchung klären (Science vom 21. April 2000). Er studierte dafür nicht den Schädel selbst, sondern stark vergrößerte Fotoaufnahmen, die selbst mikroskopische Feinheiten sichtbar machten. Im Gegensatz zu Musgrave sieht er in der Grube und der Wölbung an der rechten Augenhöhle ganz gewöhnliche anatomische Merkmale, die bei jedem Menschen vorkommen. Die Wölbung beispielsweise ist seiner Analyse zufolge Teil einer Öffnung für Nerven und Blutgefäße.

Außerdem, so fügt Bartsiokas an, war der Leichnam bereits skelettiert, als er verbrannt wurde. Andernfalls müssten die Knochen heftiger verdreht sein und mehr bogenförmige Risse aufweisen, da die Kollagenfasern des Fleisches sich in der Hitze stärker zusammenziehen als der Knochen. Es gibt allerdings keinen Grund zu der Annahme, dass Phillip II. bei seiner Beisetzung als entfleischtes Skelett den Flammen übergeben wurde.

Die Umstände der Bestattung erinnerten Bartsiokas hingegen an Alexanders Halbbruder Phillip III. Arrhidaeus. Formal hatte dieser für sechs Jahre die Königswürde inne, obwohl die Gefolgsleute Alexanders nach dessen Tod das Imperium unter sich aufgeteilt hatten. Als Phillip III. im Jahre 317 v.Chr. ermordet wurde, beerdigte man seinen Leichnam zunächst. Doch sechs Monate später ließ sein Nachfolger Cassander ihn exhumieren, verbrennen und ehrenvoll bestatten, um seinen eigenen Anspruch auf den Thron zu festigen. Sowohl der Ablauf des Kremationsprozesses als auch das Jahr der Beisetzung sprechen folglich dafür, dass es sich bei dem Grab von Vergina um die Ruhestätte vom Phillip III. handelt.

Sollte Bartsiokas mit seiner Vermutung Recht haben, so könnten es sich bei einigen der Fundstücke aus der Grabstätte um Erbstücke handeln, die einstmals Alexander dem Großen gehört haben. Vor allem der Brustpanzer aus Gold und Eisen ähnelt verblüffend der Rüstung, die der Feldherr auf dem berühmten Mosaik im Pompeji trägt. Nach Phillip II. werden die Archäologen wahrscheinlich vergebens suchen. Zwar dauern die Ausgrabungen noch an, doch es sieht so aus, als seien die Grabräuber bei Vergina sehr gründlich gewesen.

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