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Wasserknappheit: Der große Durst

Der Norden Indiens steht vor einem großen Problem: Weil die Menschen mehr Grundwasser verbrauchen, als auf natürlichem Wege nachsickert, sinken die Grundwasserstände rapide. Hinzu kommt in diesem Jahr ein schwacher Monsun. Experten befürchten, dass eine Krise bevorsteht.
Es regnet in Indien. Vom Süden her zieht der jährliche Monsun nach Norden und bewässert den trockenen Kontinent. Etwa die Hälfte des jährlichen Niederschlags fällt während des Monsuns – in nur 15 Tagen. Bis Ende September gießen die tief hängenden Wolken das Land, versorgen Flüsse und Felder und füllen die Grundwasserreservoirs wieder auf, zumindest ein Stück weit. Das Land hat den Regen bitter nötig: Indien leidet an zunehmender Wasserknappheit.

Bereits in einem Bericht von 2005 prognostizierte John Briscoe, Wasserexperte der Weltbank, dass Indien nicht genügend dieses kostbaren Gutes für seine Bevölkerung haben werde, sollte die Regierung nicht sehr bald massive Änderungen im Wassermanagement beschließen: "Indien blickt einer turbulenten Wasserzukunft entgegen", schreibt Briscoe [1].

Schwacher Monsun und sinkende Grundwasserpegel

Seine Analyse scheint sich nun zu bestätigen: Der diesjährige Monsun fällt erheblich schwächer aus als erwartet; lokale Politiker fürchten Dürren und Ernteausfälle für den Herbst. Gleichzeitig jedoch schwinden auch die Grundwasservorräte. Das zumindest hat eine Forschergruppe um Matthew Rodell vom Goddard Space Flight Center in Maryland ermittelt [2]. In den nordindischen Staaten Rajasthan, Punjab und Haryana, in dem auch Indiens Hauptstadt Neu-Delhi liegt, sank demnach der Grundwasserspiegel seit 2002 jährlich durchschnittlich um 33 Zentimeter. In einzelnen Regionen fiel der Wasserspiegel sogar um zehn Meter.

Die Daten für die Studie lieferte der Doppelsatellit GRACE (Gravitiy Recovery an Climate Experiment). Seine beiden Sonden erfassen Schwankungen im irdischen Schwerefeld und können dadurch auch Wasservorkommen sichtbar machen, die im Erdreich verborgen liegen. Mit Hilfe von mathematischen Modellen waren Rodell und sein Team dann in der Lage, ein sehr genaues Bild von den Veränderungen des Grundwasserstandes zu zeichnen.

Zwischen 2002 und 2008 verbrauchten die drei Staaten demnach etwa 109 Kubikkilometer Grundwasser, ohne dass dieses wieder nachgesickert wäre. Das ist mehr als das doppelte Volumen des Bodensees. Die Daten sind vor allem darum erschreckend, weil die Regenfälle in den vergangenen Jahren sogar ein wenig über dem Durchschnitt lagen. Der Grund für die rapide sinkenden Grundwasserstände sind also nicht etwa Dürren, sondern allein der Verbrauch durch den Menschen.

Die Ursache des heutigen Mangels sind Millionen von Brunnen, mit denen die Menschen in Indien das Grundwasser anzapfen können. In den vergangenen Jahrzehnten wurden sie auch dank der Arbeit zahlreicher internationaler Hilfsorganisationen gebohrt. So konnte in Zeiten der Trockenheit und in ariden Zonen eine dauerhafte Wasserversorgung sichergestellt werden, ohne dass die Menschen auf die zum Teil stark verunreinigten Flüsse und Seen angewiesen waren.

Salzige Böden durch Grundwasser-Nutzung


Das Grundwasser wurde auch dazu genutzt, bislang karge Areale fruchtbar zu machen. Gerade Rajasthan, Punjab und Haryana profitierten hiervon: Sie gelten heute als die Kornkammern Indiens. Obwohl die flachen Landschaften nur wenig Oberflächenwasser bereithalten, wird dort Getreide, Reis und Baumwolle angebaut. Gerade Baumwolle braucht sehr viel Wasser. Etwa die Hälfte des Wasserverbrauchs wird in Indien für die Bewässerung von Feldern genutzt. Im gesamten Land hat sich die Fläche der bewässerten Äcker zwischen 1970 und 1999 verdreifacht [2].

400 Kubikkilometer Wasser, hat die Naturschutzorganisation WWF in einer Studie ermittelt, nutzen indische Bauern für die Bewässerung ihrer Felder. Nur 150 Kubikkilometer davon liefert das Regenwasser, der Rest stammt aus Aquiferen [3]. Das birgt jedoch weitere Risiken: Werden Äcker und Felder mit Grundwasser bewässert, kann dies zu einer schleichenden Versalzung der Äcker führen. Denn Grundwasser enthält mehr Mineralien als Regenwasser. Verdunstet es auf den Feldern, bleiben die Salze zurück. Die Folge: Die Erträge schrumpfen, langfristig wird der Boden unbrauchbar.

Neben den Äckern verspürt auch Indiens Hauptstadt Neu-Dehli mit ihren 16 Millionen Einwohnern einen stetig steigenden Durst. Etwa 3,3 Milliarden Liter Wasser pumpt die lokale Wasserversorgung nach Angaben der indischen Industrie- und Handelskammer täglich durch die Rohre der Stadt. Nur etwas mehr als die Hälfte kommt bei den Verbrauchern an – weil die Wasserleitungen marode sind. Erschwerend kommt hinzu, dass illegale Brunnen das Grundwasser abpumpen: Geschätzte 3,5 Millionen gibt es von ihnen im Stadtgebiet.

Der steigende Verbrauch von Grundwasser schafft zunehmend Probleme. Zum einen ist es kaum möglich, die Aquiferen so schnell wieder aufzufüllen, wie sie leergepumpt werden. Gerade in ariden Zonen kann es Jahrzehnte dauern, bis absickerndes Oberflächenwasser in die Grundwasserspeicher gelangt. Zum anderen halten sich Aquifere nicht an Landesgrenzen. Der Norden Indiens etwa teilt sich Grundwasserspeicher mit Pakistan. Auch das Nachbarland ist für die Bewässerung seiner Felder auf Brunnen angewiesen. Bei starker Beanspruchung der gemeinsamen Grundwasserspeicher, fürchten Rodell und seine Kollegen, könne es zu einer Konkurrenz kommen, die bestehende politische Spannungen weiter verschärft.

Ein Ausweg ist schwierig

Gleichzeitig ist aber nicht genügend Oberflächenwasser da, um allen Anprüchen zu genügen. So berichtete die indische Tageszeitung "The Hindu" bereits 2005 von einem Streit zwischen der Provinz Haryana und der Hauptstadt Neu-Delhi: Die Stadt, so der Vorwurf, würde zu viel Wasser aus dem Yamuna, einem Nebenfluss des Ganges, abzweigen. Sie stehle der Landbevölkerung darum Wasser.

Dabei gibt es Möglichkeiten, den Grundwasserverbrauch zu senken: Moderne Bewässerungssysteme, die direkt am Boden verlegt sind und deren Wasser in kleinen Tröpfchen ins Erdreich sickert, reduzieren die Verdunstung und helfen so, Wasser einzusparen. Auch ein besseres Wassermanagement sowie die Reparatur maroder Leitungen und Speicher könnten den derzeitigen Raubbau an den Wasserreserven entschleunigen.

Langfristig wird sich aber die Frage stellen, ob Indien nicht möglicherweise radikalere Maßnahmen braucht – etwa indem die Produktion von wasserintensiven Exportgütern wie Baumwolle verringert wird und man Alternativen sucht, die nachhaltiger sind. Das jedoch dürfte schwierig werden: Etwa 60 Millionen Inder, schätzt das WWF, sind vom Export von Baumwolle abhängig.

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