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Astrophysik: Der schnellste Stern unserer Galaxis

Der Stern US 708 ist mit rund 1200 Kilometern pro Sekunde relativ zu unserem Milchstraßensystem unterwegs und gehört zur ungewöhnlichen Klasse der heißen Unterzwerge. Wie kam er zu seiner enormen Geschwindigkeit, und wie wurde er ein Unterzwerg?
Ein Stern auf der Flucht aus unserer Galaxis

Ein Forscherteam um Stephan Geier von der Europäischen Südsternwarte ESO untersuchte den Stern US 708 und stellte fest, dass er sich mit rund 1200 Kilometern pro Sekunde relativ zu unserem Milchstraßensystem bewegt. Er legt in einer Stunde eine Strecke zurück, die dem rund dem elffachen Abstand Erde-Mond entspricht. US 708 ist so schnell unterwegs, dass er die Fluchtgeschwindigkeit unseres Milchstraßensystems übertrifft und auf lange Sicht unsere Galaxis verlassen wird. Derzeit ist er rund 28 000 Lichtjahre von uns entfernt. Eine Rekonstruktion seiner Bahn weist darauf hin, dass US 708 aus der Scheibe unserer Galaxis stammt.

Ein Doppelsystem aus einem Weißen Zwerg und einem heißen Unterzwerg | Enge Doppelsternsysteme aus einem Weißen Zwerg (links) und einem heißen Unterzwerg (rechts) sind aussichtsreiche Kandidaten für den Vorläufer einer Supernova Ia: Vom heißen Unterzwerg strömt Helium auf den Weißen Zwerg, das sich auf dessen Oberfläche sammelt. Ist die Schicht dick genug, zündet eine Heliumfusion, die wiederum den Kern des Weißen Zwergs zur Detonation bringt.

Was ist aber die Ursache für diese enorme Geschwindigkeit? Die häufigste Variante ist, dass ein Hochgeschwindigkeitsstern ursprünglich Teil eines Doppel- oder Mehrfachsystems war, das sich dem massereichen zentralen Schwarzen Loch in unserem Milchstraßensystem extrem dicht annäherte. Dabei wurde das System auseinandergerissen; im Fall eines Doppelsterns bleibt ein Stern im Umlauf um das Schwarze Loch zurück, während der andere mit hoher Geschwindigkeit aus unserem Milchstraßensystem herausgeworfen wird. Derzeit sind rund 40 solcher Hochgeschwindigkeitssterne bekannt. Rekonstruktionen ihrer Bahnen weisen allesamt auf das zentrale Schwarze Loch als Ursache ihrer hohen Geschwindigkeiten hin. Wegen seiner Herkunft aus der galaktischen Scheibe lässt sich dieses Szenario für US 708 ausschließen. Stattdessen wird eine explosive Ursache vermutet.

Ein sehr ausführlicher Bericht über die "Heißen Unterzwerge", geschrieben von Stephan Geier, der dieses Forschungsprogramm leitet, wird im kommenden Aprilheft unserer Zeitschrift "Sterne und Weltraum" erscheinen. Es ist ab dem 20. März 2015 am Kiosk und online erhältlich.

Einen Hinweis darauf, was sich bei US 708 wahrscheinlich abgespielt hat, liefert das Spektrum des Sterns. Er ist kein gewöhnlicher Hauptreihenstern wie die anderen Schnellläufer, sondern ein so genannter "heißer Unterzwerg" (siehe auch den beigestellten Kasten "Hertzsprung-Russell-Diagramm"). Dies sind Sterne geringer Masse und Größe, aber mit sehr hoher Oberflächentemperatur. Sie bestehen überwiegend aus Helium, im Gegensatz zu den Hauptreihensternen, die zum allergrößten Teil aus Wasserstoff aufgebaut sind. In den heißen Unterzwergen verschmelzen Heliumkerne zu Kohlenstoff und Sauerstoff, wobei große Mengen an Energie freigesetzt werden. Darum sind diese Sterne sehr heiß, im Fall von US 708 beträgt die Oberflächentemperatur rund 47 000 Kelvin (zum Vergleich: Die Oberflächentemperatur unserer Sonne liegt bei rund 5770 Kelvin).

Hertzsprung-Russell-Diagramm | Jeder Stern lässt sich durch einen Punkt im Hertzsprung-Russell-Diagramm repräsentieren, das die Leuchtkraft und die Oberflächentemperatur von Sternen verknüpft. Da nicht alle Kombinationen zwischen beiden Zustandsgrößen vorkommen, verteilen sich die Sterne in diesem Diagramm nicht gleichförmig. Die Sterne auf der so genannten Hauptreihe, wie unsere Sonne, beschreiben eine Diagonale von rechts unten, wo die kleinsten, masseärmsten und kühlsten Sterne zu finden sind, nach links oben, wo sich die größten, massereichsten und heißesten Sterne befinden. Hauptreihensterne beziehen ihre Strahlungsenergie aus der Verschmelzung von Wasserstoffkernen in Heliumkerne. Weiter entwickelte Sterne blähen sich zu Riesen und Überriesen auf und befinden sich rechts von der Hauptreihe. Weit links von der Hauptreihe, am Ende des Horizontalasts, kommen die heißen Unterzwerge mit den Spektralklassen B und O zu liegen. Sie haben keine Gemeinsamkeiten mit den gewöhnlichen kühlen Unterzwergen, die im unteren Bereich des Diagramms zu finden sind.

Heiße Unterzwerge können nur in engen Doppelsternsystemen entstehen, die einen besonderen Entwicklungspfad durchlaufen. Für lange Zeit umrunden dort zwei gewöhnliche Sterne mit etwas verschiedenen Massen ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Schließlich geht beim massereicheren von ihnen der Wasserstoff im Kern zur Neige, woraufhin sich der Stern allmählich in einen Roten Riesen verwandelt. Er bläht sich auf rund das 100-Fache des Sonnendurchmessers auf, so dass ein Teil dieser Gashülle in die gravitative Reichweite seines Begleiters gelangen kann. Dieser "saugt" das Gas dann regelrecht auf. Zurück bleibt der heiße Kern des ehemaligen Roten Riesen, der sich zu einem Weißen Zwerg entwickelt, und sein Begleiter, noch ein gewöhnlicher Hauptreihenstern.

Schließlich geht auch dem Begleiter der nukleare Brennstoff aus, und er wird ebenfalls zu einem Roten Riesen. In besonderen Fällen kann seine Hülle den Weißen Zwerg vollständig umschließen. Ein solcher Zustand wird englisch als "common enveloppe phase" bezeichnet. Während dieser Zeit überträgt der Weiße Zwerg Energie und Bahndrehimpuls auf die Hülle des Roten Riesen. Dabei dringt er immer tiefer in diesen ein und sorgt schließlich dafür, dass er seine Hülle gänzlich verliert. Zurück bleibt ein heißer Unterzwerg, der in geringem Abstand vom Weißen Zwerg umrundet wird, so dass das System extrem rasch rotiert.

Nach wie vor kann Materie – in diesem Fall Helium – vom heißen Unterzwerg auf seinen Begleiter übertreten und sich auf dessen Oberfläche ansammeln. Befindet sich dort nach einiger Zeit eine kritische Menge an Helium, so kann diese in einer heftigen thermonuklearen Explosion zünden. Die dabei freigesetzten Stoßwellen lösen wie eine Zündladung bei trägem Sprengstoff die eigentliche Explosion des gesamten Weißen Zwergs aus, und eine Supernova des Typs Ia leuchtet auf. Dabei vergeht der Weiße Zwerg vollständig, zurück bleibt nur eine dünne Wolke aus heißen Gasen. Ab jetzt erinnert die Situation an einen Unfall bei einem Kettenkarussell, denn nun reißt die gravitative Kette, die den heißen Unterzwerg und den Weißen Zwerg miteinander verband: Der überlebende Partner fliegt mit enormer Geschwindigkeit, die der Rotationsgeschwindigkeit des ehemaligen Doppelsterns entspricht, auf Nimmerwiedersehen davon.

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