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Hirnforschung: Der Segen des Glaubens

In gleich zwei aktuellen Studien haben sich Forscher auf die Suche nach Gott begeben - im Hirn ihrer Probanden. Das behandle den Herrn wie einen Menschen, fanden die einen. Und reagiere bei Gläubigen stressresistenter, entdeckten die anderen.
Die Motivation hinter Religion und Gottesglaube systematisch auseinanderzunehmen, ist eine Aufgabe, die Wissenschaftler schon lange nicht mehr den Psychologen allein überlassen wollen. Nach den Soziologen und den Evolutionsbiologen begannen schließlich auch die Hirnforscher ihr Scherflein zur Aufklärung beizutragen.

Im Zentrum des Interesses standen dabei allerdings vorwiegend die Extremfälle religiöser Empfindungen, etwa das mystische Erleben einer unmittelbaren Gegenwart Gottes. Jordan Grafman vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke in Bethesda rückte nun den Fokus auf Religion im Alltag: Welche Hirnareale würden aktiv, wenn der Allerweltskirchgänger religiöse Aussagen verarbeitet [1]?

Ein Teilergebnis der fMRT-Studie konnte wahrscheinlich niemanden so recht überraschen: Hat ein Dogma überwiegend intellektuellen Gehalt, erfassen dies dieselben Regionen, die auch bei nichtreligiösen Aufgaben zum Einsatz kommen. Gleiches gilt für emotionale oder autobiografische Aspekte. Denn nahm der präsentierte Satz vornehmlich auf eigene spirituelle Erlebnisse Bezug, regten sich Areale der Gefühls- und Erinnerungsbearbeitung.

Möglicherweise weniger vorhersehbar war, dass "soziales Denken" beim Glauben eine Rolle spielt. Aussagen, die Gott als Handelnden porträtieren, werden dort verarbeitet, wo wir die Intentionen eines Menschen interpretieren. Und ob Gott zornig oder gnädig ist, entscheiden wir anscheinend genauso, wie wir auch den emotionalen Zustand unseres Gegenübers deuten. Das verlangt nach einer Verstehensleistung, die Psychologen als "Theory of Mind" bezeichnen. Die dient dazu, zu erahnen, was ein anderer gerade denkt und fühlt. Auch wenn wir einer Erzählung lauschen, analysieren wir hiermit die Absichten der Figuren.

Ein ganz anderes Gehirnzentrum horchten dagegen Forscher um Michael Inzlicht von der University of Toronto in ihrer EEG-Studie ab [2]: den anterioren zingulären Kortex, kurz ACC genannt. Die Aufgabe des Vorderhirnareals wird üblicherweise in der Korrektur fehlerhafter Erwartungen gesehen, erläutert Inzlicht. "Man kann ihn sich wie eine Art 'kortikalen Wecker' vorstellen, der jedes Mal klingelt, wenn ein Individuum etwas falsch gemacht hat." Dadurch zieht er die Aufmerksamkeit auf die gerade misslungene Übung.

Seine Aktivität beobachteten die Wissenschaftler während eines so genannten Stroop-Tests, bei dem bunt gedruckte Wörter auftauchen und Probanden die angezeigte Farbe nennen sollen. Das Tückische: Alle Wörter sind Farbnamen, was dazu verleitet, das Geschriebene einfach vorzulesen. Welche enorme Konzentration dafür nötig ist, kann jeder mit einem simplen Selbstversuch einmal ausprobieren.

Immer wieder trieb das Team um Inzlicht so seine Teilnehmer in einen Fehler und stellte schließlich fest: Je frommer ein Proband sich beschrieben hatte, desto leiser klingelte der ACC im Experiment. Anscheinend vergibt sich das fromme Gehirn wesentlich leichter die eigenen Fehler, mutmaßt Inzlicht. Andere mögliche Einflussfaktoren, wie allgemeine Intelligenz oder Persönlichkeit, seien aus dem Resultat herausgerechnet worden.

Insgesamt könnte Frömmigkeit oder bereits allein der Glaube an Gott einen beruhigenden Effekt haben, erklärt Inzlicht. Während der Atheist immer die vergleichsweise heftigen Reaktionen seines ACC zu fürchten habe, könne der religiöse Mensch an Herausforderungen angstfreier herangehen und gelassener mit Widersprüchen umgehen. Dazu passe auch, dass diese Probandengruppe insgesamt leicht besser abschnitt.

Ob allerdings die Religion das Hirnareal beeinflusst oder umgekehrt der ACC die religiösen Neigungen, sei unklar und aus den Daten nicht abzulesen, räumt Inzlicht ein. Noch unerforscht sei darüber der Effekt anderer Systeme, zum Beispiel politischer Ideologien.

Was den tieferen Sinn des Glaubens angeht, hegen die Atheisten unter den Wissenschaftlern in der Regel einen ganz bestimmten Verdacht: Religion muss einen verborgenen evolutionsbiologischen Nutzen haben. Vielleicht spendet der Glaube bei all dem Chaos in der Welt Vertrauen und Trost. Inzlichts Ergebnisse würden dies nahelegen. Vielleicht entscheiden aber auch ganz andere Faktoren – am Ende, wer weiß, sogar ein real existierender Gott höchstselbst? Den ACC der Wissenschaftler dürfte diese Unsicherheit jedenfalls noch eine Weile auf Trab halten.

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  • Quellen
[1] Kapogiannis, D. et al.: Cognitive and Neural Foundations of Religious Belief. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.0811717106, 2009.
[2] Inzlicht, M. et al.: Neural Markers of Religious Conviction. In: Psychological Science 20(3), S. 385–392, 2009.

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