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Ostsee: »Die durchsichtigen Ohrenquallen sind ungefährlich«

Die Quallen in der Ostsee sind dieses Jahr besonders groß. Warum es aber nicht unbedingt mehr gibt, erklärt Ina Stoltenberg im Interview. Auch sagt die Meeresbiologin, worauf Badegäste nun achten sollten und warum Quallen wichtige Meeresbewohner sind.
Die Ohrenqualle (Aurelia aurita) ist durchaus als sensible Schönheit der Ostsee zu bezeichen.

In diesem Jahr haben sich Quallen in der Ostsee deutlich früher ausgebreitet als sonst, auch sind einige Exemplare auffallend groß. Im Interview erklärt die Meeresbiologin Ina Stoltenberg, worauf Badegäste nun achten sollten, was für Arten sich in Ost- und Nordsee tummeln und warum Quallen so wichtig für Meere sind.

»Spektrum.de«: Schwimmen dieses Jahr größere Quallen in der Ostsee?

Ina Stoltenberg: Tatsächlich gibt es seit dem Frühjahr sehr große Medusen und Rippenquallen, die wir normalerweise erst im Sommer beobachten würden. Beispielsweise haben wir sonst Ohrenquallen (Aurelia aurita) mit einer Größe von fünf bis sechs Zentimetern gefangen, in diesem Frühjahr waren es Exemplare von 10 Zentimeter und 15 Zentimeter Länge.

Sollten Badebesucher sich also in Acht nehmen?

Die durchsichtigen Ohrenquallen sind für Menschen ungefährlich. Man erkennt sie gut an den vier Taschen auf dem Schirm, von denen sie ihren Namen haben. Nach Feuerquallen hingegen sollte man Ausschau halten. Sie sind rötlich gefärbt und haben extrem lange Tentakel – mehrere Meter sind möglich –, die wie Rüschen aussehen. Die Faustregel in der Ostsee lautet: Je länger die Tentakel, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Kontakt mit der Qualle schmerzt.

Quallen sind übrigens wirklich schön. Auch weil sie so elegant und anmutig durch das Wasser gleiten. Sie zu beobachten, hat was Meditatives. Wer sich nicht ins Wasser traut, könnte den Medusen also einfach mal zuschauen.

Erste Hilfe bei Feuerquallen

  1. Sofort aus dem Wasser. Nicht dass weitere Verbrennungen hinzukommen. Selbst abgerissene Tentakel können noch stechen, wenn sie frisch sind.
  2. Mit Meerwasser spülen, das ist die natürliche Umgebung der Quallen. Die Fäden nicht mit Alkohol oder Süßwasser abwaschen, weil die restlichen Nesseln dann aufplatzen und Gift absondern können.
  3. Restliche Nesseln von der Haut entfernen. Wie, ist leider umstritten. Eine Empfehlung: Sand darauf zu streuen, diesen trocknen zu lassen und den Nesselsand dann von der Haut zu schaben. Klar abzuraten ist hingegen von Essig, Backpulver, Mehl oder Zucker als Hilfsmittel oder mit Händen oder Handtuch die Nesseln abzurubbeln – auch dann können diese platzen.
  4. Quallenverbrennungen versorgen. Heißt: die Wunde kühlen. Salben oder Gels können helfen, den Juckreiz und die Schmerzen zu lindern.
  5. Im Notfall den Rettungsdienst oder die Wasserwacht rufen. Das ist ratsam, wenn die Verbrennungen großflächig sind, der Betroffene sehr starke Schmerzen hat oder die Betroffene Anzeichen eines allergischen Schocks zeigt.

In der Ostsee treiben sich zudem Hydrozoen herum …

Die sind aber so klein, dass man sie gar nicht spürt. Die Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi) gibt es auch noch. Das ist allerdings eine Rippenqualle – also gar keine echte Qualle – und auch sie ist für den Menschen ungefährlich. In der Nordsee wiederum lebt neben den genannten eine Verwandte der Feuerqualle: die Blaue Nesselqualle, die auch Verbrennungen verursachen kann, und die Kompassqualle.

Ina Stoltenberg | ist Biologische Ozeanografin mit Schwerpunkt Nahrungsnetz-Ökologie. Zur Zeit ist sie Doktorandin im EU2020 Horizon-Projekt »GoJelly«, eingeschrieben an der SDU (University of Southern Denmark, Odense) und angestellt als Research Assistant an der Universität Hamburg. Ihre Aufgabe: die Rolle der Qualle in Ostsee-Nahrungsnetzen entschlüsseln und die Interaktion zwischen Quallen und Fischen besser verstehen.

Wie ist denn eigentlich die Situation in der Nordsee?

Meine Beobachtungen stützen sich auf die Ostsee. Aber wenn man die Ostsee mit der Nordsee vergleicht, fällt auf, dass es im Osten viel mehr Buchten gibt. Die Kieler Förde, Eckernförder Bucht, Flensburger Förde beispielsweise. Dort werden Quallen oft hineingedrückt, weshalb der Eindruck entstehen kann, dass in der Ostsee mehr dieser Nesseltiere leben.

Es war nicht nur zu lesen, dass Quallen früher auftreten und größer seien – es soll auch mehr geben. Von einer »Quallenblüte« ist die Rede. Stimmt das?

Ob es mehr Medusen als sonst gibt, lässt sich schlecht sagen. Biologen erheben bislang nur selten, wie viele Quallen es gibt. Das heißt, uns fehlt der Vergleichswert. Dass wir mehr Medusen sehen, kann auch daran liegen, dass Wind das Oberflächenwasser weggedrückt hat, wodurch die Quallen nach oben treiben. Meint: Es können ebenso viele wie letztes Jahr sein, nur sind sie in diesem Jahr zu sehen.

Im Fall der Rippenquallen gibt es eine weitere Theorie. So ist im Winter sehr viel salzreiches Wasser aus der Nordsee und dem Kattegat in die südwestliche Ostsee geströmt. Der hohe Salzgehalt könnte dazu geführt haben, dass mehr dieser Tiere zu sehen sind. Außerdem war das Wasser wohl ein paar Grad Celsius wärmer als sonst, was Rippenquallen und auch Ohrenquallen guttut.

Obwohl es Quallen seit mehr als 500 Millionen Jahren gibt, ist so manches unbekannt. Was macht die Erforschung so schwierig?

Bestenfalls würden Teams mehrmals im Jahr rausfahren und verschiedene Regionen beproben. So wie bei Fischen. Ein entscheidender Unterschied: Quallen bewegen sich anders als Fische durch die Meere. Sie sind häufig in großen Schwärmen unterwegs und werden von Wind und Strömungen verdriftet. Wenn man nun aus einem Schwarm fischen und die Zahl der Exemplare einfach hochrechnen würde, wären das Schwindel erregend hohe Werte. Wir müssen das Nichts einberechnen, das ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Mit internationalen Projekten wie »GoJelly«, an dem auch Sie beteiligt sind, wollen Meeresbiologen endlich mehr über Medusen erfahren. Was sind die neusten Erkenntnisse?

Mittlerweile gibt es einige Arbeitsgruppen, die sich mit Quallen beschäftigen. Das ist gut, denn lange galten Medusen als unwichtig. Erst nach und nach verstehen Biologen, wie wichtig diese Erfolgsmodelle der Evolution für das Ökosystem sind. Quallen vertilgen so einiges und sind zugleich selbst Hauptnahrungsmittel von einigen Arten. Von Aallarven, Schildkröten und Mondfischen beispielsweise. Doch auch Seevögel und viele Fischarten schnappen sich gern mal eine. Neue Studien deuten zudem darauf hin, dass sie Beute für Organismen in der Tiefsee sind.

Große Mengen an toten Quallen, die in die Tiefsee absinken, können außerdem dabei helfen, Kohlendioxid in der Tiefe zu fixieren und es so dauerhaft aus dem Kohlendioxid-Kreislauf zu entfernen. Diesen Mechanismus nennt man biologische Kohlenstoffpumpe. Sie trägt dazu bei, unser Klima stabiler zu machen.

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