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Festkörperforschung: Die Eroberung des magnetischen Monopols

Generationen von Schülern und Lehrern müssen umdenken, denn es gibt sie doch - vereinzelte magnetische Nord- und Südpole. Nicht als fassbare Stäbchen für den Experimentierkasten, sondern als wanderfähige Störstellen im ultrakalten seltenen Spin-Eis.
Magnet
Es gehört zu den Weisheiten des Grundschulunterrichts in Sachkunde: Aus einem Magneten mit Nord- und Südpol, den wir in der Mitte durchschneiden, werden zwei Magnete – von denen jeder ebenfalls einen Nord- und einen Südpol hat. Das löst bei Kindern und Physikern zunächst ungläubiges Staunen aus, schließlich verhalten sich Dackel und elektrische Ladungen völlig anders. Doch irgendwann akzeptieren wir die unumstößliche Wahrheit und bauen auf ihr unser Weltbild auf: Es gibt keine magnetischen Monopole!

Neues Weltbild

Nun verkünden Wissenschaftler um Roderich Moessner vom Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, es sei Zeit für einen Umbau dieses Weltbildes. Keine revolutionäre Umstrukturierung mit eingerissenen Naturgesetzen oder aufgelösten Konstanten, doch immerhin ein Umdenken, das Platz macht für eben jenen neuen Mitbewohner, dessen Existenz wir so fleißig abgelernt hatten. Moessners Team hat magnetische Monopole entdeckt – theoretisch und beinahe experimentell. "Beinahe", weil die neue Theorie der Physiker bereits bekannte rätselhafte Messdaten anderer Gruppen wunderbar erklären kann.

Zu finden sind die Monopole nach den Berechnungen in exotischen Materialien wie Holmiumtitanoxid und Dysprosiumtitanoxid. Also in Verbindungen mit seltenen Elementen aus der Gruppe der Lanthanoide, die in der zweituntersten Reihe in der langen Variante des Periodensystems angesiedelt sind. Sie bilden ähnliche Kristallgitter aus wie Diamanten und tragen in ihren unzähligen Zentren magnetische Momente – sozusagen winzige Magnete mit jeweils Nord- und Südpol. Deren entgegengesetzte Enden ziehen einander wie bei großen Magneten an, während sich gleichnamige Pole abstoßen. Unterm Strich heben die magnetischen Neigungen sich damit auf, und die Titanoxide sind als greifbare Probe praktisch unmagnetisch.

Frustration des Systems

Aber nur auf makroskopischer Ebene. Der submikroskopische Blick offenbart jedoch einige Unregelmäßigkeiten bei der Ausrichtung der magnetischen Momente. Trotz redlicher Bemühungen gelingt es nämlich nicht überall, einen perfekten Ausgleich von zwei Nordpolen und zwei Südpolen herzustellen. Gelegentlich treten Zentren auf, die mit Verhältnissen von drei zu eins oder gar vier zu null die eine oder andere Magnetpolung bevorzugen. Wissenschaftler sprechen von der Frustration des Systems, das einfach nicht allen Kräften gleichzeitig nachkommen kann.

Ein vergleichbares Problem ist beim Wasser bekannt, dessen Moleküle sich beim Gefrieren ebenfalls nicht alle optimal ausrichten können, wodurch bei tiefen Temperaturen ein Rest an "Fehlordnung" erhalten bleibt. Da für den Magnetismus in den Titanoxiden letztlich die Spins seiner Bausteine verantwortlich sind, schufen Festkörperforscher kurzerhand die Bezeichnung "Spin-Eis" für diesen im Inneren leicht gestörten magnetischen Zustand.

Doppel-Nord und Doppel-Süd

Genau jenes Spin-Eis bietet den idealen Lebensraum für magnetische Monopole. Schon die falsche Ausrichtung eines einzigen magnetischen Moments bewirkt, dass an seinem einen Ende drei Südpole auf einen Nordpol treffen und am anderen drei Nordpole auf einen Südpol. Das Ergebnis sind netto zwei Südpole hier und zwei Nordpole dort. Und diese Überschüsse können durch einfaches Umklappen anderer magnetischer Momente durch das Material wandern. Und zwar unabhängig voneinander, denn zwischen ihnen sind alle Zentren vorschriftsmäßig ausgeglichen mit Nord und Süd besetzt. "Doppel-Nord" und "Doppel-Süd" sind also nicht einfach die Enden eines internen Stabmagneten, sondern für sich existierende Regionen mit einer magnetischen Nettopolarität – sie sind magnetische Monopole!

Allerdings handelt es sich bei diesen Monopolen nicht um klassische Teilchen, sondern eben um die Eigenschaften von Teilchengruppen. Und messbar wird der Effekt erst dann, wenn die Monopole einer Probe in einem von außen angelegten Magnetfeld gerichtet wandern. Dann bewirken sie sogar bei bestimmten Kombinationen von ultratiefen Temperaturen und magnetischen Feldstärken eine Art Phasenübergang, wie wir ihn beim Wasser zwischen flüssig und gasförmig kennen. Ein Phänomen, das bereits früher von anderen Wissenschaftlern an Spin-Eis gemessen wurde, aber nicht befriedigend erklärt werden konnte. Erst die Simulation mit den Monopolen kam ganz zwanglos zu dem gleichen Resultat wie das Experiment.

Die magnetischen Monopole werden es vermutlich niemals bis in den Grundschulunterricht schaffen. Und wer unbedingt einen monopolistisches Teilchen in den Händen halten möchte, den werden die emergenten Gruppen-Monopole wohl kaum befriedigen. Doch aus funktioneller Sicht halten die Spin-Eis-Monopole alles, was von einem kugeligen Experimentierkasten-Monopol erwartet würde. Manchmal hilft eben nur noch Gruppenarbeit weiter. Und das lernen schließlich auch schon Grundschüler.

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