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Kosmologie: Sehen wir bald das erste Schwarze Loch?

Mit einem weltumspannenden Netzwerk von Teleskopen wollen Astronomen erste Bilder eines Ereignishorizonts erhaschen. Es wäre der erste direkte Blick auf ein Schwarzes Loch.
Computersimulation eines supermassereichen Schwarzen Lochs

Wie findet man ein Schwarzes Loch? Zuerst verbringt man viele Jahre damit, acht der besten Radioteleskope auf vier Kontinenten für eine ungewöhnliche Jagd anzuheuern. Dann bringt man diese dazu, für mehrere Tage gleichzeitig ihren Blick auf dieselben Stellen am Himmel lenken. Anschließend sammelt man Daten in einer bisher unvorstellbaren Größenordnung von zwei Petabytes pro Nacht.

So lautet der gewagte Plan für den Test des Event Horizon Telescope (EHT), der in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2017 begann – eines Zusammenschlusses von Radioteleskopen, die über den Globus verteilt ein virtuelles Observatorium von ungefähr Erdgröße bilden. Die Forscher hoffen nach Auswertung der Datenberge auf Details über das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße und auf Bilder eines noch viel größeren Schwarzen Lochs in der weiter entfernten Galaxie M87.

Die Aktion erfordert unglaublich viel astronomische Feuerkraft, weil die Schwarzen Löcher so weit von der Erde entfernt sind, dass sie vergleichsweise so groß wie ein Bagel auf der Mondoberfläche wären. Dazu wird eine Auflösung des Teleskops benötigt, die mehr als 1000-mal höher sein muss als die des Hubble-Weltraumteleskops. Doch selbst wenn Forscher nur wenige, unscharfe Pixel erhaschen würden, könnte dies die Grundlagen der Physik, der Astronomie und der Kosmologie wesentlich beeinflussen. Das EHT soll so weit wie möglich in den Ereignishorizont der Schwarzen Löcher vordringen – bis zur Grenzfläche, hinter der die Anziehungskraft so stark ist, dass nichts, was sie überquert, jemals wieder zurückkommt. Durch Bildaufnahmen von Ereignissen außerhalb dieser Zone wären Wissenschaftler in der Lage, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie auf den Prüfstand zu stellen – so exakt wie bisher noch nie. Die Bilder könnten zudem miterklären, wie einige supermassereiche Schwarze Löcher spektakuläre Energiestrahlen ausstoßen und damit ihre jeweiligen Galaxien und den umgebenden Raum massiv beeinflussen.

Doch zunächst einmal muss stets das Wetter mitspielen. Für die Aktion muss klarer Himmel herrschen, an acht Standorten des EHT, von Hawaii bis zu den Anden, von den Pyrenäen bis zum Südpol. Nicht allein diese Bedingung lässt dem Team jedes Jahr nur ein Zeitfenster von zwei Wochen für ihren Versuch. "Alles muss genau passen", erklärt der Astrophysiker und EHT-Direktor Sheperd Doeleman von der Harvard University. "Radioastronomen lieben die Herausforderung, das fast Unmögliche zu tun", weiß der Astrophysiker Roger Bandford von der Stanford University, der an dem Projekt allerdings nicht teilnimmt. Das EHT könnte sie dieses Mal vor ihre bisher größte Herausforderung stellen.

Monster des Universums

Wie Astronomen bereits seit den 1970er Jahren wissen, lauert im Herzen der Milchstraße eine merkwürdige Strahlungsquelle. Radioteleskope hatten ein ungewöhnlich kompaktes Objekt in der nebligen Zentralregion der Galaxie entdeckt, mitten im Sternbild des Schützen. Sie nannten das Objekt Sagittarius A*, kurz Sgr A*, und sammelten überzeugende Beweise für ein supermassereiches Schwarzes Loch mit der Masse von etwa vier Millionen Sonnen. Das Schwarze Loch M87* im Zentrum der Galaxie M87 ist sogar noch größer und umfasst ungefähr sechs Milliarden Sonnenmassen. Von der Erde aus gesehen haben die beiden die größten bekannten Ereignishorizonte aller Schwarzer Löcher.

Auch wenn die Wissenschaftler schon eine recht gute Vorstellung davon haben, wie sich kleinere Schwarze Löcher bilden, weiß niemand mit Sicherheit, wie diese supermassereichen Monster entstehen. Und lange bezweifelten die Astronomen auch, ob sie jemals die benötigte Auflösung eines Teleskops erreichen und die Schwarzen Löcher im Detail abbilden werden können.

Schwarze Löcher

Die Herausforderung liegt in der Optik. Die Auflösung eines Teleskops hängt hauptsächlich von seinem Durchmesser – der Aperturblende – und der Wellenlänge des Lichtes bei der Beobachtung ab. Die Verdoppelung des Teleskopdurchmessers ermöglicht es den Wissenschaftlern, halb so große Details aufzulösen; das Gleiche gilt für die Halbierung der Wellenlänge. Die Wellenlängen 1,3 und 0,87 Millimeter sind die einzigen Strahlungsbänder, die nicht von der Atmosphäre absorbiert oder von interstellarem Staub und heißem Gas gestreut werden. Laut Berechnungen müsste bei diesen Wellenlängen die Radioschüssel noch größer als die Erde sein, um Sgr A* oder M87* abzubilden.

Doch in den späten 1990er Jahren wiesen der Astrophysiker Heino Falcke, damals am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, und seine Mitarbeiter darauf hin, dass die optische Verzerrung durch die Anziehungskraft eines Schwarzen Lochs wie eine Linse funktionieren könnte und Sgr A* um den Faktor von etwa fünf vergrößern würde. Das waren gute Neuigkeiten, weil dadurch Sgr A* innerhalb der Reichweite der Interferometrie auf sehr langen Basislinien (VLBI) auf der Erde liegen könnte. Bei dieser Technik sind mehrere Observatorien zu einem virtuellen Teleskop verbunden und bilden ein Teleskop mit einem effektiven Durchmesser, der so groß ist wie die Entfernung zwischen ihnen.

Die Hoffnung auf ein Bild von Sgr A* und dem größeren M87* ist nicht grundlos. Diese sind nämlich von überhitztem Plasma umgeben, möglicherweise die Überbleibsel von Sternen, die nicht gleich verschluckt, sondern durch die enorme Gravitation auseinandergerissen wurden. Das Gas formt eine schnell rotierende Akkretionsscheibe, deren innere Teile sich langsam spiralförmig nach innen bewegen. Laut Falcke und seinen Kollegen sollte ein VLBI-Netzwerk, das sich über den gesamten Globus erstreckt und bei einer Wellenlänge von etwa einem Millimeter arbeitet, empfindlich genug sein, um den Schattenwurf von Sgr A* gegen den Halo des Gases der Akkretionsscheibe aufzulösen.

Hoffnung auf die Akkretionsscheibe

Die Forscher zeigten auch schon anhand erster Simulationen, was solch ein Teleskopnetzwerk sehen könnte. Im Gegensatz zu den meisten künstlerischen Darstellungen von Schwarzen Löchern verschwindet die Akkretionsscheibe nicht hinter dem Objekt, so wie sich die Ringe des Saturns teilweise hinter dem Planeten verstecken können. Um ein Schwarzes Loch herum gibt es kein Versteck, weil die Gravitation die Raumzeit verzerrt. Und hier ist der Effekt so stark, dass Lichtstrahlen um das Schwarze Loch herumgehen und von dem Dahinterliegenden verschiedene verzerrte Bilder zeigen. Dadurch sollte eine Akkretionsscheibe um den Schatten des Schwarzen Lochs wie ein Halo erscheinen. (Der Film "Interstellar" von 2014 zeigte erstmals genau diese Art Verzerrung von Licht um ein Schwarzes Loch herum).

Aber es wäre kein Heiligenschein, wie man ihn auf vielen Renaissancegemälden findet. Die inneren Regionen der Akkretionsscheibe kreisen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit, wodurch eine Seite der Scheibe – die in Richtung des Beobachters rotierende Seite – viel heller erscheinen müsste als die andere. Das Ergebnis sollte ähnlich einer Mondsichel sein.

"In einer Nacht so viele Daten wie am LHC im ganzen Jahr"

Falcke leitet seit 2004 ein Team an der Radboud-Universität in Nimwegen, das eine der ersten VLBI-Beobachtungen von Sgr A* durchführte. Die Forscher verwendeten ein in den USA beheimatetes Netzwerk, das vom National Radio Astronomy Observatory aufgebaut wurde, 2000 Kilometer umspannte und Daten bei sieben Millimeter Wellenlänge aufnahm. Mehr als einen Lichtklecks konnten sie so nicht erhaschen, und es schien in etwa, als ob sie das Schwarze Loch durch Milchglas sahen.

Seit 2007 machte auch die von Doeleman geführte Gruppe VLBI-Beobachtungen von Sgr A* und M87*, wobei sie näher in Richtung des Ereignishorizonts rückten. Obwohl sie kein Bild davon aufnehmen konnten, waren sie in der Lage, eine obere Grenze der Ereignishorizontgröße zu bestimmen. Schließlich vereinigten die zwei Gruppen ihre Kräfte und schlossen sich mit anderen zu der jetzigen EHT-Kooperation zusammen. Mit der Gruppe wuchs so auch die Zahl der beteiligten Teleskope für die Bildaufnahmen.

Hochpräzise Messung

Im April hat das EHT nur vier oder fünf Nächte Zeit für die Beobachtungen. Dieses Limit wird hauptsächlich durch die Nutzung des modernsten, 1,4 Milliarden US-Dollar teuren Atacama Large Millimeter Array (ALMA) in Chile gesetzt, dem am stärksten ausgebuchten Observatorium der Welt. Der Plan sieht vor, zwei Nächte bei Sgr A* und zwei bei M87* zu verbringen. An jeder Beobachtungsstation wird eine Atomuhr die Ankunftszeit jedes Maximums und jedes Minimums von jeder elektromagnetischen Welle auf fast ein Zehntel einer Nanosekunde genau festhalten, erklärt der Experte der theoretischen Astrophysik Feryal Özel von der University of Arizona in Tucson.

Weltweiter Teleskopverbund

Bei der typischen Interferometrie werden die Ankunftszeiten an verschiedenen Orten in Echtzeit verglichen und zu seinem Ursprungspunkt trianguliert, um so ein Abbild zu rekonstruieren. Wenn die Observatorien allerdings rund um den Globus verstreut sind, einschließlich an Orten mit langsamen Internetverbindungen, dann müssen die Forscher die Datenströme getrennt aufnehmen und später vergleichen. "Es wird kein Bild vor uns auf dem Bildschirm auftauchen", weiß der Astrophysiker Daniel Marrone von der University of Arizona schon jetzt. Damit muss das EHT laut dem Astrophysiker Avery Broderick von der University of Waterloo in Kanada die Daten schneller aufnehmen als bei irgendeinem Experiment zuvor. Eine typische Nacht wird so viele Daten erzeugen wie die Experimente am Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) bei Genf in der Schweiz in einem ganzen Jahr.

Die Stapel von Festplatten mit den Daten werden dann zu zwei zentralen Standorten geflogen. Dort sollen sie von Computerclustern zu einem Bild zusammengefügt werden, eine Aufgabe, die sechs Monate dauern könnte. Erst wenn diese Phase beendet ist, kann die Datenanalyse und damit die eigentliche wissenschaftliche Arbeit beginnen. Voraussichtlich werden also vor 2018 keine Ergebnisse zur Publikation bereitstehen.

Die Rolle der Jets

Astrophysiker erhoffen sich viel von den Ergebnissen des EHT. Sie sind besonders an Daten interessiert, mit deren Hilfe sie eines der spektakulärsten Phänomene im Kosmos erklären könnten: die gigantischen, auch als Jets bezeichneten Partikelströme, die bestimmte supermassereiche Schwarze Löcher mit annähernd Lichtgeschwindigkeit in den intergalaktischen Raum spucken. Einige dieser Schwarzen Löcher einschließlich M87* bilden Jets, die länger sind als ihre Muttergalaxien. Allerdings nicht alle: Falls Sgr A* überhaupt welche hat, sind sie zu klein oder zu schwach, als dass man sie derzeit ausmachen könnte.

Die Wissenschaftler sind sich im Moment nicht einmal sicher, woraus diese Jets bestehen, auch wenn sie eine extrem große Rolle in der kosmischen Evolution zu spielen scheinen. Speziell bei der Erhitzung interstellarer Materie können Jets das Material daran hindern, abzukühlen und Sterne zu bilden, wodurch das Wachstum der Galaxie beendet würde, erklärt Broderick. "Jets bestimmen das Schicksal von Galaxien."

Nach Meinung der Astrophysiker werden Jets höchstwahrscheinlich durch schnell rotierende Magnetfelder gleich außerhalb der Schwarzen Löcher gebildet; unklar ist jedoch, woher die Energie kommt. In den 1970er Jahren schlugen Blandford und seine Kollegen zwei alternative Modelle vor. Laut dem einen stammt die Energie von der Akkretionsscheibe; laut dem anderen entsteht sie aus der Rotation des Schwarzen Lochs (die nicht unbedingt mit der Rotation der Akkretionsscheibe übereinstimmen muss). Doelemans Gruppe berichtete 2015 von ersten Hinweisen auf Strukturen im Magnetfeld, welches Sgr A* umgibt. Ihren Ergebnissen zufolge sind die Drehungen der Schwarzen Löcher eher als die Akkretionsscheiben für die Bildung der Jets verantwortlich, meint Bandford. Die geballte Kraft der anstehenden Experimente könnte diese Schlussfolgerung noch untermauern und auch aufdecken, ob Sgr A* überhaupt Jets hat.

Test für Einstein

Wenn man mehr die grundlegenden Theorien betrachtet, ließe sich anhand der Größe und Form des Ereignishorizonts zum ersten Mal Einsteins Gravitationstheorie in einem extremen System um ein supermassereiches Schwarzes Loch herum überprüfen. Dies könnte die historischen Entdeckungen des LIGO (Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory) aus dem letzten Jahr weiterführen. Die Forscher fingen dabei das Signal von Gravitationswellen auf, die sich die Verschmelzung Schwarzer Löcher mit der Masse großer Sterne bildeten. Dies wurde als bisher deutlichster Hinweis auf die Existenz Schwarzer Löcher gefeiert, auch wenn sie als nicht unwiderlegbar gelten. Außerdem sind supermassereiche Schwarze Löcher Millionen oder Milliarden Mal größer, hebt Broderick hervor. "Wir schauen an einen Ort, von dem wir nicht wirklich wissen, wie dort die Physik funktioniert."

Vielleicht findet das EHT bei ihren Messungen sogar etwas ganz anderes als ein Schwarzes Loch in dem Zielgebiet. Theoretiker haben eine Reihe alternativer Erklärungen entwickelt, was passiert, wenn Materie unter dem eigenen Gewicht kollabiert. In einigen dieser Theorien formt sich nie ein Schwarzes Loch, weil der Gravitationskollaps endet, bevor die stellaren Überreste den Point of No Return überschreiten. Das könnte zu einem superkompakten Stern mit harter Oberfläche führen, der von der EHT detektierbare Strahlung abgeben könnte.

Doch laut Meinung des Astrophysikers Carlos Barceló vom Institute of Astrophysics in Granada sind solche Ergebnisse unwahrscheinlich. "Ich bin ein wenig skeptisch, ob diese Beobachtungen die Unterscheidung zwischen dem klassischen Schwarzen Loch und exotischeren Arten von Objekten ermöglichen." Nicht nur er glaubt, die Gravitationswellendetektoren von LIGO könnten die Modelle besser durch Detektion von Echos bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher oder anderem testen.

Während die VLBI Beobachtungen aber immer ausgefeilter werden, könnten Wissenschaftler eines Tages vielleicht bestimmen, ob der Ereignishorizont überhaupt so symmetrisch ist, wie es die allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt, erklärt der Analyst Alexander Wittig vom European Space Research and Technology Centre in Noordwijk. "Zukünftige Versionen eines Event Horizon Telescope könnten Auflösungen erreichen, mit deren Hilfe sich komplizierte Merkmale bei der Form des Schattens unterscheiden ließen", erklärt Wittig. Dabei denkt Falcke bereits über Reihen von Weltraumteleskopen nach, wodurch das EHT sogar noch größer als die Erde werden könnte.

Doch im Augenblick wären die Astronomen schon über einige wenige Pixel glücklich, die ihnen einen ersten kurzen Blick auf die schwer fassbaren Giganten geben würden. In den Köpfen der Forscher schwirrten so viele Bilder herum, oft inspiriert von Sciencefiction-Büchern und Filmen wie "Interstellar". "Ist es nicht ein magischer Gedanke, die Radioastronomie könnte mit Hollywood gleichziehen und Bilder von tatsächlich existenten Schwarzen Löchern präsentieren", schließt Blandford.

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