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US-Wahl: Die Krise der Demoskopie

Erst Brexit, nun Trump. Warum sagten die meisten Wahlforscher bei gleich zwei historischen Abstimmungen den Ausgang falsch voraus? Ein Interview mit der Soziologin und Statistikerin Frauke Kreuter über neue methodische Herausforderungen der Demoskopie.
Donald Trump auf einer Wahlveranstaltung in Georgia

Frau Prof. Kreuter, Sie haben die US-Wahlnacht selbst in Washington D. C. erlebt. Sind Sie vom Ausgang auch so überrascht gewesen wie die meisten Deutschen?

Die Umfragen sahen Hillary Clinton vorne. So gesehen war es überraschend. Allerdings haben wir während des ganzen Wahlkampfes gesehen, wie sich Donald Trump immer wieder von Skandalen erholen konnte. Eine Unsicherheit bestand also bis zum Schluss.

Woran liegt es, dass wichtige Abstimmungen wie das Brexit-Referendum im Juni oder jetzt die US-Präsidentschaftswahl von den meisten Wahlforschern im Vorhinein falsch prognostiziert wurden?

Alle Prognosen arbeiten mit Modellen, die sich aus Daten der Vergangenheit speisen. In völlig neuen Situationen können solche Modelle leicht fehlschlagen. Man muss bedenken, dass viele "Polls" ihre Daten binnen weniger Tage sammeln und oftmals viele Personen, die befragt werden sollen, gar nicht erreichen oder die Erreichten die Teilnahme verweigern. Dann muss man die fehlenden Daten mit Hilfe von Modellen schätzen. Bei stark umstrittenen oder sensiblen Themen kommt hinzu, dass die Menschen nicht unbedingt ehrlich antworten. Für die ebenfalls nicht gut vorhergesagten Ergebnisse der britischen Unterhauswahlen von 2015 gibt es eine hervorragende Ursachenanalyse des National Council of Research Methods. Sie führt mehrere Gründe dafür an, warum die Tories unter David Cameron völlig unvorhergesehen die absolute Mehrheit der Sitze holten. Die größte Schwäche der Prognosen waren demnach schlechte Stichproben. In den verwendeten Stichproben waren konservative Wähler systematisch unter- und Labour-Unterstützer systematisch überrepräsentiert.

Frauke Kreuter | Frauke Kreuter ist Professorin für Statistik und Methodologie an der Universität Mannheim sowie Leiterin des Forschungsbereichs Empirische Methoden am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Außerdem ist sie Leiterin des "Joint Program in Survey Methodology" an der University of Maryland. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Teilnahmeverhalten und Interviewereffekte sowie komplexe Stichproben und alternative Datenquellen in der empirischen Sozialforschung. Derzeit ist sie co-host von #digdeep, einem Podcast zur Digitalisierung (digdeep.de).

Normalerweise verbessern Forscher ihre Methoden im Laufe der Zeit immer weiter. Im Fall der Demoskopie drängt sich der Eindruck auf, als verlaufe die Entwicklung rückwärts.

Den Eindruck kann man haben. Aber das Problem liegt eher darin, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt – manchmal schneller, als man die Methoden anpassen kann. Ein Beispiel ist die rasante Entwicklung von Handys als Hauptkommunikationsmittel. Noch vor wenigen Jahren konnten Umfrageinstitute Festnetznummern zufällig ziehen und so Personen für ihre Studien erreichen. Das ist heute wesentlich schwieriger, weil Call-Screening-Technologien es den Menschen ermöglichen, Anrufe zu blockieren, und es so viel schwieriger geworden ist, eine zufällige Auswahl von Nummern zu treffen, die allen eine nachvollziehbare Auswahlwahrscheinlichkeit zuordnet. Die aber braucht man für gute Hochrechnungen. Insgesamt gibt es immer noch zu wenige Experten, die ausreichend ausgebildet sind in Datenerhebung – mit ein Grund dafür, dass wir die Weiterbildung in diesem Bereich derzeit ausbauen.

Kann man die auch für die deutsche Politik überraschenden Ausgänge des Brexit-Referendums und der US-Präsidentschaftswahl miteinander vergleichen? Gibt es da ein übergeordnetes methodisches Problem?

Ein Hauptproblem bei den Befragungen ist wie gesagt die kurze Zeit für die Datenerhebung – und die Messung von etwas, was sich obendrein schnell verändert. Wenigen ist klar, dass zunächst modelliert wird, wer überhaupt zur Wahl geht, und sich Vorhersagen dann auf diese Wahrscheinliche-Wähler-Modelle stützen. So gesehen, kann man die Schwierigkeiten mit den beiden Urnengängen schon miteinander vergleichen. Bei beiden handelte es sich außerdem um sehr umstrittene, hoch emotionale Themen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass generell häufig nur Prozentwerte in den Medien wiedergegeben werden, ohne dass über die Unsicherheit, die der Messung zu Grunde liegt, berichtet wird. Stichproben und Umfragen haben aber natürlich immer eine Fehlertoleranz!

Gibt es heute mehr Unentschlossene als früher, die quasi erst in der Wahlkabine ihre Entscheidung treffen?

Bezogen auf die US-Wahl ist das sehr wahrscheinlich, da beide Präsidentschaftskandidaten recht unbeliebt waren, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. In den nächsten Wochen und Monaten wird es viel Forschung genau zu dieser Frage geben.

Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Meinungsbildung? Ist ihr Einfluss methodisch noch nicht erfasst bei den klassischen "Sonntagsfragen" der Demoskopen?

Einige Forscher versuchen, soziale Medien als Alternativen zu klassischen Umfragen zu nutzen. Ich habe aber nicht den Eindruck, als sei die Methodik hier schon ausgereift.

Welche Rolle spielen Social Bots bei der Meinungsbildung im Internet? Steht Demokratien womöglich Fremdsteuerung durch im Ausland programmierte Bots bevor?

Das ist eine interessante Frage. Die Nutzung und Verbreitung von sozialen Medien ist sehr unterschiedlich in verschiedenen Ländern. Schon deshalb wäre der Effekt sicherlich nicht überall gleich. Was wir allerdings beobachten, ist starke Homophilie innerhalb der sozialen Medien. Das heißt, man liest vor allem Nachrichten von Gleichgesinnten. Sollten Bots eine Rolle spielen, dann wahrscheinlich vor allem in der Polarisierung und Verstärkung von bereits bestehenden Ansichten.

Welche Bedeutung spielt Scham? Haben sich viele Trump-Wähler womöglich nicht getraut, im Vorhinein ihre wahre Präferenz in Befragungen anzugeben?

Ich halte das für wahrscheinlich. Forschungsergebnisse für diese Wahl gibt es aber noch nicht. Interessant sind hier neue Ansätze, die versuchen, nicht direkt zu fragen, sondern nach der Wahlabsicht des sozialen Umfelds einer Person.

Stellen frühere Nichtwähler, die sich bei einer bestimmten Wahl dann doch von einem Lager mobilisieren lassen, ein entscheidendes methodisches Problem der Wahlforschung dar?

Ganz genau. Wenn es hier zu starken Veränderungen kommt, stimmen die Modelle nicht mehr. Kurzfristige Mobilisierungen lassen sich schlecht einfangen.

Wie können sich Statistiker und Demoskopen besser wappnen, nicht zuletzt für die Bundestagswahl 2017?

Der Hunger der Gesellschaft nach schnell generierten Zahlen trägt zu den als frustrierend erlebten Phänomenen bei. Einige Demoskopen haben bei der US-Präsidentschaftswahl ganz bewusst keine Umfragen geschaltet oder Prognosen ausgegeben. Sie hatten antizipiert, dass die Unsicherheit zu groß ist. Es bedarf aber viel Mut, zu sagen "Das können wir nicht".

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