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News: Die Nikotinsucht und die Gene

Die Vorstellung einer gewissen genetisch bedingten Neigung zur Tabakabhängigkeit ist sicher äußerst provokativ. Doch es gab bereits früher Anzeichen dafür, daß der Wunsch, mit dem Rauchen anzufangen, nicht nur von sozialen und umweltbedingten Faktoren beeinflußt wird, sondern in gewisser Weise auch vorprogrammiert ist. Kanadische Forscher glauben, einen genetischen Risikofaktor identifiziert zu haben, der die Nikotinsucht fördert.
Der wichtigste Bestandteil bei Entstehung und Aufrechterhaltung der Tabakabhängigkeit ist das Nikotin. Erst einmal im Körper angelangt, wird es größtenteils durch ein Leberenzym mit Namen CYP2A6 abgebaut. Von diesem Enzym weiß man, daß es genetisch variabel ist. Jetzt haben Rachel Tyndale und ihre Kollegen von der University of Toronto gezeigt, daß bei Menschen mit nicht funktionstüchtigem CYP2A6 (der sogenannten Nullform des Enzyms) die Wahrscheinlichkeit, abhängiger Raucher zu werden, geringer ist (Nature vom 25. Juni 1998).

Beim CYP2A6 unterscheidet man zwei verschiedene Nullformen. Sie sind das Ergebnis zweier besonderer Varianten des Gens (sogenannter Allele), welches die Bauanleitung für das Enzym trägt. Die Nullform ist in der Bevölkerung ziemlich verbreitet, so daß annähernd 15 Prozent von uns zumindest eine Kopie der defekten Enzymvariante haben. Nur ganz wenige Menschen erben zwei Kopien der Nullform, je eine von Vater und Mutter. Wie die Forscher herausfanden, sind die Nullversionen des Enzyms viel weniger unter abhängigen Rauchern verbreitet als bei Gelegenheitsrauchern. Süchtige Raucher, glauben die Wissenschaftler, richten ihre Rauchration so ein, daß der Nikotinspiegel in Blut und Gehirn relativ konstant bleibt. Dieser Logik folgend, muß jemand, der Nikotin in regelmäßigem Tempo abbaut, den Nikotinspiegel auch regelmäßig neu auffüllen – er wird daher häufiger rauchen. Für Menschen mit der defekten CYP2A6-Form ist jedoch ein gestörter Nikotinmetabolismus kennzeichnend, er muß folglich nicht so oft rauchen, um eine hohen Nikotinkonzentration im Blut aufrecht zu erhalten.

Nach Meinung der Forscher verspüren Menschen mit der gestörten Enzymform aufgrund des hohen Nikotinspiegels häufiger die unerwünschten Wirkungen des Nikotins und werden daher keine abhängigen Raucher. Passiert dies dennoch, rauchen sie zumindest weniger. "Nullallele im CYP2A6-Gen schützen gegen die Tabaksucht und verringern bei schon abhängigen Rauchern die Zigarettenanzahl", stellen die Forscher fest. In Zahlen ausgedrückt, heißt das: Raucher mit geschädigtem Nikotinmetabolismus rauchen pro Woche etwa 30 Zigaretten weniger.

Die Nullform von CYP2A6 verringert nicht nur die Anzahl der gerauchten Zigaretten, sie hat vielleicht für die Gesundheit noch einen weiteren Nutzen: Die normale Form des Enzyms kann die Umwandlung bestimmter Chemikalien (wie beispielsweise des im Tabakrauch enthaltenen Nitrosamins) in karzinogene Formen aktivieren. Die Nullform tut dies hingegen nicht.

"Unsere Daten legen eindeutig nahe, daß selbst Menschen mit nur einem einzigen CYP2A6-Nullallel weniger dem Risiko ausgesetzt sind, an durch Tabak verursachtem Krebs zu erkranken. Das Risiko, abhängig zu werden, ist bei ihnen kleiner und die Bioaktivisierung von Pro-Karzinogenen des Tabakrauches ist auch geringer", fassen die Forscher zusammen.

Doch ungeachtet der faszinierenden Beziehung zwischen der Neigung zur Tabakabhängigkeit und dem Enzymtyp läßt sich nicht alles auf das CYP2A6-Enzym reduzieren. So gibt es zum Beispiel bisher ungeklärte Unterschiede bei den Geschlechtern, was die Häufigkeit des Nullenzyms und die der Abhängigkeit angeht. Vielleicht deutet dies darauf hin, daß für den Nikotinstoffwechsel alternative Bahnen existieren.

Diesen Gedanken stützt auch die Tatsache, daß es zwischen den Rauchgewohnheiten bei Männern und Frauen noch andere Unterschiede gibt. Der Forschung zufolge sind Frauen im allgemeinen weniger vom Nikotin abhängig als vielmehr von "Faktoren wie dem Anblick und dem Geruch des Tabaks und den mit dem Rauchen zusammenhängenden sozialen Aspekten". Daher haben Behandlungen, bei denen das Nikotin durch etwas anderes ersetzt wird, bei Frauen meist weniger Erfolg.

Doch selbst wenn das Geschilderte nur einen Teil der ganzen Geschichte ausmacht, so weisen die Forscher doch darauf hin, daß dies "die erste Demonstration eines genetischen Risikofaktors beim Rauchen ist" und als solche als bedeutender Schritt zum Verständnis des Rauchverhaltens gesehen wird. "Die Hemmung des genannten Enzyms kann eventuell eine neue Methode sein, das Rauchen zu verhindern und zu behandeln", sagen die Forscher.

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