Direkt zum Inhalt

News: Die Schuld der Schnecken?

Kröten und Missbildungen, Parasiten und Pestizide - was zunächst an eine modern interpretierte Aufzählung biblischer Plagen erinnert, sind vielmehr die Hauptdarsteller einer neuen ökologischen Studie. Darin werden die üblichen Verdächtigen menschengemachter Umweltschädigung zunächst einmal von jeder Schuld freigesprochen. Die Ergebnisse belegen trotzdem, welche subtilen Folgen die Eingriffe des Menschen in natürliche Ökosysteme offenbar haben können.
Verkrüppelte Gliedmaßen bei Salamandern, Kröten mit zusätzlichen Augenanlagen, auffällige Hautzysten bei Fröschen – die Zahl der Missbildungen von Amphibien im Westen der USA nimmt beunruhigende Ausmaße an. Statt der statistisch zu erwartenden Quote bis zu fünf Prozent sind hier durchschnittlich zwischen 15 und 20 Prozent aller Amphibien missgebildet – in einigen Regionen gar bis zu 90 Prozent.

Daran werden vermutlich erhöhte Konzentrationen von Pestiziden schuld sein. Mit dieser Ausgangshypothese machten sich Pieter Johnson von der University of Wisconsin, Andrew Blaustein von der Oregon State University und eine Reihe anderer Kollegen verschiedener Institute und Behörden auf die Suche nach den Ursachen dieser alarmierenden Häufung.

Die Wissenschaftler untersuchten in einer großangelegten Feldstudie in fünf Bundesstaaten der USA mehr als 12 000 einzelne Amphibien von elf verschiedenen Arten, sammelten Wasser- und Bodenproben und nahmen gleichzeitig eine Reihe ökologischer Daten auf. Am Ende mussten sich die Wissenschaftler von ihrer ursprünglichen Idee verabschieden: Eine Korrelation zwischen Pestizid-Konzentrationen und Missbildungsraten von Amphibien konnten sie nirgendwo finden.

Stattdessen sprang den Forschern aber ein anderer Zusammenhang geradezu ins Auge: Dort, wo viele Amphibien missgebildet waren, gab es auch stets besonders viele Vertreter von Ribeiroia ondatrae, einem Saugwurm-Parasiten der Amphibien. Ein Zusammenhang der einleuchtet, vermutet man doch diesen Wurm schon seit längerem als Verursacher amphibischer Verkrüppelungen: Er nistet sich bevorzugt direkt unter der Haut der Amphibien, am Übergang zwischen Gliedmaßen und Körper, ein, bildet dort Zysten und könnte somit eine normale Entwicklung seines Wirtes durchaus beeinträchtigen. Eine einleuchtende Antwort, die aber die Fragestellung der Wissenschaftler nur verlagerte. Denn wodurch erklärt sich nun die starke Häufung der Missbildungsverursacher – also der Parasiten?

Eine einzelne Ursache für den plötzlichen Erfolg von Ribeiroia ondatrae auszumachen, erwies sich als schwierig, denn der Parasit hat, wie alle Saugwürmer, einen sehr komplexen Lebenswandel: Er wechselt, im Laufe seines Erwachsenwerdens, zwischen verschiedenen bevorzugten Wirtstierarten. Als voll ausgereifter Wurm lebt der Parasit nicht in Amphibien, sondern im Inneren von Vögeln oder Säugetieren. Dort produziert er Eier – diese werden vom Wirt ausgeschieden und gelangen ins Wasser, wo dann der Nachwuchs schlüpft und sofort in eine unscheinbare Wasserschnecke namens Planorbella eindringt. Erst von dieser aus gelangen die Jungwürmer, nach einer Vermehrungsphase, in die Amphibien.

Vom Standpunkt eines einmal so weit gekommenen Parasiten erscheint es dann durchaus sinnvoll, seinen zwischenzeitlichen befallenen Amphibien-Wirt zu verkrüppeln. Schließlich ist der Darm eines Vogels oder Säugers das Endziel der Parasiten: Den beispielsweise von ihnen bewohnten Frosch zu behindern, senkt dessen Chancen einem Storch zu entkommen – und erhöht damit die Chancen des Parasiten, im Darm seines endgültigen Endwirtes zu landen.

Die Wissenschaftler untersuchten jetzt die ökologischen Faktoren, die vielleicht den komplexen Lebenszyklus der stark vermehrten Amphibien-Parasiten hätte beeinflussen können. Und tatsächlich konnten die Forscher eine weitere Korrelation aufdecken: Dort, wo Parasiten besonders häufig und daher Missbildungen bei Amphibien besonders verbreitet waren, waren auch immer sehr viele der Planorbella-Wasserschnecken vorhanden, die den frisch geschlüpften Parasiten als erster Wirt dienen. Mithin erneut ein einleuchtender Zusammenhang.

Schön, bloß: warum stieg die Schneckenpopulation überhaupt so stark an? Endgültig klären konnten die Forscher diese Frage noch nicht, stellen in ihrer Studie aber einige Vermutungen an. Der Verlust von naturnahen Feuchtgebieten und die Errichtung dauerhafter Viehtränken könnte den Schnecken größere, geeignetere Lebensräume beschert haben. Gleichzeitig verhalf vielleicht die mit intensiver Weidewirtschaft einhergehende Überdüngung bestimmten Algenarten zu stark vermehrtem Wachstum – und besserte damit zugleich das Nahrungsangebot der Schnecken entscheidend auf.

Sicher ist sich Andrew Blaustein zunächst aber in einem: "Die Ursache für die erhöhte Anzahl von missgebildeten Amphibien, der Schnecken und ihrer Parasiten lässt sich letztlich auf eines zurückführen: der Eingriff des Menschen in ihr Habitat."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.