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Unterwasserarchäologie: Die Stadt zwischen den Welten

Archäologen erforschen an der türkischen Ägäisküste mehrere Handelszentren, die seit der Bronzezeit bestehen. Sie stoßen dabei immer wieder auf wissenschaftlich bedeutende Wracks. Der neueste Fund ist ein Handelsschiff mit feinem Geschirr.
Unterwasserarchäologin hält Fund in der Hanf

Und wieder ein Wrack. Kürzlich meldete sich ein Fischer bei Hayat Erkanal, um ihm von einem versunkenen Schiff zu erzählen, das er während einer Ausfahrt entdeckt hatte. Erkanal, ein inzwischen von der Universität Ankara pensionierter Professor der Archäologie, machte sich auf den Weg und fand die Reste eines osmanisches Handelsschiffs aus dem 18. Jahrhundert: Es hatte eine Lieferung feinen Geschirrs aus Holland geladen. Das Wrack liegt zwar 400 Meter vor der eigentlichen Ausgrabungsstätte Liman Tepe an der türkischen Ägäisküste. Doch Erkanal ist inzwischen Überraschungen an seinem Arbeitsplatz rund 40 Kilometer westlich von Izmir gewöhnt.

Seit mehr als 20 Jahren leitet der Archäologe die Ausgrabungen nahe dem Badeort Urla. Anfangs noch ohne jegliche Unterstützung vom Kulturministerium oder anderen staatlichen Stellen: Er war derart überzeugt davon, dass er deshalb sogar seine Wohnung in Ankara verkaufte, um seine Forschungen zu finanzieren. Was Erkanal gemeinsam mit seinen Kollegen hier und an anderen Stellen in der Region mittlerweile zu Tage fördern konnte, hat seine Erwartungen bei Weitem übertroffen – und mittlerweile auch das Ministerium sowie eine private Stiftung davon überzeugt, seine Forschungen zu unterstützen. Liman Tepe, so viel steht inzwischen fest, war in der frühen Bronzezeit ein bedeutendes Handelszentrum, über das der Warenverkehr zwischen Anatolien und den griechischen Inseln abgewickelt wurde.

Griechische Vase | Zu den Funden in Liman Tepe gehört auch diese griechische Vase.

Diese Erkenntnis war überraschend: Der Westen der Türkei ist zweifellos mit zahlreichen antiken Ausgrabungsstätten wie Ephesos oder Pergamon gesegnet, um nur zwei der bekanntesten zu nennen. Aber diese stammen meist aus hellenistisch-römischer Zeit oder gewannen erst in jener Epoche vor rund 2500 Jahren an Gewicht. Doch als Beispiel für eine Metropole in der frühen Bronzezeit, also dem 3. Jahrtausend v. Chr. kannte man bis dahin nur Troja – und selbst die Bedeutung der von Homer besungenen Stadt war bis vor Kurzem noch heftig umstritten. Dabei gehört Liman Tepe, genau wie Troja, zu den ältesten dauerhaften Siedlungen im Westen Kleinasiens. Und der Ort stand der weit berühmteren Stadt wahrscheinlich in nichts nach.

Besiedelt seit 6000 Jahren

Die ersten Siedler hatten sich hier bereits vor rund 6000 Jahren während des Chalkolithikums, der Kupfersteinzeit, niedergelassen und sich unter anderem auch schon dem Erzabbau gewidmet. Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr., als in Mesopotamien die ersten Städte entstanden, entfaltete sich die Siedlung zu einem regionalen Machtzentrum und einem herausragenden Ort inmitten eines ausgedehnten Handelsnetzes, das Anatolien mit der Ägäis, der Insel Kreta und wohl auch mit dem griechischen Festland verband. Die Einwohner kamen zu Reichtum. Dafür spricht ein fast drei Meter hoher Wall, der um die Siedlung aus Langhäusern errichtet worden war. Etwa zur Mitte des 3. Jahrtausends expandierte der Ort weiter. Die Zwischenräume zwischen den alten Häusern wurden aufgefüllt und darauf eine neue, stadtähnliche Siedlung mit einer komplett steinernen, weit stärkeren Befestigung und hufeisenförmigen Wehrtürmen errichtet – kriegerische oder zumindest gefährlichere Zeiten waren wohl angebrochen.

Unterwasserarchäologin | Im Hafenbecken vor Liman Tepe entdeckten die Forscher zahlreiche Stücke aus mehreren Epochen. Der "Bereich E", eine Schicht mit Funden aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., erwies sich als besonders ergiebig. Damals zählte der Ort unter dem Namen Klazomenai zu den reichsten Städten an der Westküste Kleinasiens. Sowohl an Land wie auch unter Wasser fanden sich zahlreiche Keramikgegenstände wie diese Darstellung des Kopfs eines Kriegers.

Spätestens zu dieser Zeit fanden sich die Menschen von Liman Tepe jedenfalls an einer der Hauptadern des Handelsnetzes zwischen Kleinasien und Europa. Gehandelt wurde mit allem, was kostbar war: Textilien, Keramik, Produkte aus Metall oder Obsidian. Und bezahlt wurde – zu einer Zeit, in der geprägte Münzen noch nicht erfunden waren – wenigstens teilweise ebenfalls mit Metall. Erkanal fand Ringe aus Blei, die er für Zahlungsmittel hält. Doch lebten hier bei Weitem nicht nur Händler. Im Schutt der Jahrhunderte entdeckten die Archäologen zahlreiche Hinweise auf ein florierendes Handwerk: Es gab eine Textilindustrie, Wolle und Flachs wurden gesponnen, Messer und Pfeilspitzen fabriziert; selbst eine eigene Schmiede gab es bereits im Ort. Rund um Liman Tepe gab es zudem mehrere Goldminen sowie Kupfer- und Silbervorkommen. Der Ort wurde immer wohlhabender – und er wurde nun tatsächlich zur Stadt. Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. waren alle ihre Straßen gepflastert! Dennoch büßte die Küstensiedlung in den folgenden Jahrhunderten immer mehr an Bedeutung ein. Erst Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. erlebte sie – nun eine ionische Siedlung mit dem Namen Klazomenai – eine zweite Blüte, galt zur Zeit der Perserkriege als eine der reichsten Städte im Westen Kleinasiens.

Wie weit das Handelsnetz zwischen den Welten aber bereits in der frühen Bronzezeit entwickelt war, konnte Erkanal im Lauf der Jahre förmlich am eigenen Leib erfahren. Bald nachdem die Archäologen ihre Arbeit auf eigenes Risiko begonnen hatten, kamen Hinweise aus der Bevölkerung: Mal war man bei Bauarbeiten auf alte Mauern gestoßen, mal entdeckten Fischer Wracks. So entwickelte sich die Ausgrabung bei einem kleinen Küstenstädtchen nach und nach zu einem Izmir Region Excavations and Research Project, das an mehreren Orten im Westen von Izmir Ausgrabungen unterhält. Heute arbeiten mehrere Dutzend Forscher unter der Leitung der Abteilung für maritime Archäologie der Universität Ankara an vier Stätten in einem Umkreis von rund 100 Kilometern. Von seiner Hochschule mag Erkanal inzwischen pensioniert worden sein – die Ausgrabungen in Liman Tepe leitet der 72-jährige weiterhin.

Funde im Meer

Er und sein Team verlieren mittlerweile sogar immer öfter den festen Boden unter den Füßen. Auf einer Luftaufnahme von Liman Tepe erkannten Erkanal und seine Kollegen am Meeresgrund vor der bronzezeitlichen Siedlung Strukturen, welche die Wehrmauern unter Wasser fortzusetzen schienen. Es handelte sich dabei um eine ausgedehnte, frühbronzezeitliche Hafenanlage – ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung des Handelszentrums. Im Jahr 2000 wurden Unterwasserarchäologen der Universität Haifa eingeladen, die den türkischen Kollegen das Arbeiten in Taucherausrüstung beibrachten. Sogar Erkanal, damals immerhin schon über 60 Jahre alt, ließ sich zum Unterwasserforscher ausbilden. Inzwischen haben sein Team und er ihrerseits mehr als ein Dutzend Archäologen in der Kunst des Tauchens unterrichtet, und seither arbeiten die Forscher in beiden Welten: Die Funde ergänzen einander und erweitern das Bild von der reichen, bronzezeitlichen Metropole. Fast nebenbei stoßen die Archäologen immer wieder auf die Schiffswracks vergangener Jahrhunderte; sei es zufällig bei ihren Tauchgängen, sei es durch Hinweise aus der Bevölkerung. Das älteste der havarierten Schiffe stammt bislang aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.

Antikes Hafenbecken | Mitte der 1990er Jahre bemerkten die Archäologen um Hayat Erkanal auf einer Luftfotografie, dass sich unter der Wasseroberfläche vor ihrer Ausgrabungsstätte Liman Tepe Strukturen befanden, die unschwer als Mole zu erkennen waren. Der Hafen war bereits in der Bronzezeit angelegt worden und wurde über Jahrhunderte genutzt. Hier trafen Waren von den Ägäisinsel und vom griechischen Festland ein, während Güter aus dem anatolischen Hochland in den Westen verschifft wurden.

Und nun also das 2000 Jahre jüngere Handelsschiff mit seiner holländischen Ladung: Vorerst konservieren die Wissenschaftler die Funde, so gut es geht, unter Wasser. Doch Erkanal will sie sobald wie möglich bergen. Auch um sie in einem archäologischen Park, an dem seit diesem Sommer gebaut wird, auszustellen. Vor allem aber, um sie zu schützen. "Fischer mit ihren Netzen können die Funde gefährden", sagt der Archäologe und ergänzt: "Aber auch Menschen mit bösen Absichten." Gemeint sind natürlich Schatztaucher.

So einfach ist das Bergen von jahrhunderte- oder gar jahrtausendealten Wracks freilich nicht: Die lange Zeit im Salzwasser setzte den hölzernen Schiffen und ihrer Ladung zu. Doch gemeinsam mit den Arbeiten am Park begann auch die Einrichtung eines neuen Labors, das nächstes Jahr auf dem neuesten Stand der Technik eröffnet werden soll. Dann wollen Erkanal und sein Team auch damit beginnen, die archäologischen Schätze an Land zu holen. Ehe sie ausgestellt werden können, müssen die alten Kähne in einer langwierigen Prozedur entsalzt und, wenn dies erledigt ist, rekonstruiert werden. Sollte alles gut gehen, wäre das bereits das dritte Unternehmen dieser Art in der verhältnismäßig kurzen Geschichte der türkischen Archäologie: nach dem in den 1980er Jahren geborgenen spätbronzezeitlichem Handelskahn von Uluburun und den an der Baustelle des Marmaray-Tunnels in Istanbul entdeckten Schiffen. Erkanal ist jedenfalls zuversichtlich.

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