Direkt zum Inhalt

Kosmologie: Die Uhr läuft ab

Immer wieder ist sie ins Wackeln geraten, nun sieht es aus, als würde sie endgültig stürzen - die Theorie vom Urknall, nach welcher der gesamte Kosmos vor Milliarden Jahren in einem Punkt begann und sich seitdem unaufhörlich ausdehnt, scheitert an einer bislang kaum beachteten Veränderung: der beschleunigten Zeit.
Galaxien im frühen Universum
Ausgerechnet die Weisheit eines alten Menschen, der im Grunde überhaupt nichts von den Modellen der Astrophysik versteht, leitet eine Revolution ein, deren Folgen momentan nicht einmal die viel zitierten Experten abschätzen können. Galt gestern noch als beinahe sicher, dass unser Universum vor rund 13,7 Milliarden Jahren in einem einzigartigen Akt mit Namen Urknall seinen Anfang hatte, sich als Gemisch aus Raum und Zeit ausbreitet und aller Wahrscheinlichkeit nach auf ewig immer größer und dünner werden wird – so sehen wir uns nun mit dem Gegenteil konfrontiert: Der Kosmos war schon immer da, hatte stets eine konstante Größe, die er auch beibehalten wird bis zum Ende, an dem er auf noch völlig rätselhafte Weise "verpuffen" wird.

Den Stein der Umwälzung brachte die Großmutter des theoretischen Astrophysikers Jonathan Oke von der angesehenen Universität Middlesix in Ohio ins Rollen. Im Laufe einer gemütlichen Abendplauderei auf ihrer Veranda bemerkte die alte Dame, dass die Tage früher viel länger gewesen seien und mit dem Alter immer kürzer würden.

Ein harmloser Satz, wie ihn wohl jeder bereits mehrfach gehört oder selbst geäußert hat. Der Gedanke wäre sicherlich auch dieses Mal ohne Folgen geblieben, wenn nicht Okes Forschungsgebiet zufällig die mysteriöse Dunkle Energie und ihr Einfluss auf die kosmologische Evolution wäre. "Ihre Bemerkung traf mich mit voller Wucht", erinnert er sich. "Ich konnte mich minutenlang nicht rühren. Meine Frau dachte schon, ich hätte einen Schlaganfall erlitten."

Was Oke wirklich getroffen hatte, war eine Erkenntnis, die im wörtlichen Sinne universelle Bedeutung hatte. Eine Erleuchtung, die wissenschaftliche Hilfskonstrukte überflüssig macht. Den Urknall, der ein Universum aus dem Nichts erschafft, die Dunkle Energie, die als eine Art Antigravitation Galaxien auseinandertreibt, – beide unter Kosmologen höchst ungeliebte, doch scheinbar notwendige Annahmen – lösen sich in Nichts auf, wenn man eine Grundannahme zulässt: Die Zeit verläuft tatsächlich immer schneller.

Natürlich wirkt sich die kosmologische Beschleunigung, wie Oke den Effekt nennt, nicht innerhalb eines Menschenlebens aus. Sie läuft so langsam ab, dass ein moderner Tag im Rahmen der Messgenauigkeit exakt so lange dauert wie zu Beginn unserer Zivilisation. Über Milliarden Jahre gerechnet akkumuliert sich jedoch die Veränderung: In die Vergangenheit zurück gesehen, wird die Zeit immer langsamer, in der Zukunft immer schneller.

"Ein deutliches Indiz dafür ist ausgerechnet die Rotverschiebung weit entfernter Lichtquellen, die Edwin Hubble einst als Anzeichen für eine Expansion des Universums gedeutet hat", erklärt Oke. Hubble zufolge erscheint das Licht ferner Galaxien farblich in Richtung Rot versetzt, weil die aussendenden Sterne sich mit hoher Geschwindigkeit von uns entfernen. Oke hält dagegen, ihr Licht sei in einer Epoche abgestrahlt worden, in welcher die Zeit langsamer verlief und damals "blaue" Frequenzen im heutigen Maßstab einfach "rot" aussehen würden.

Auch der vermeintliche "Anfang" des Weltalls vor 13,7 Milliarden Jahren ergibt sich demnach aus unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Zeit. "Etwa in dieser Epoche verlief nach meinen Berechnungen die Zeit so langsam, dass es aus heutiger Sicht wie ein Stillstand wirkt", so Oke. "Alles war so gemächlich, als wenn es kein 'vor' dieser Epoche gegeben hätte. Dabei war der gesamte Kosmos vorhanden."

Für die Zukunft malt das Modell der kosmologischen Beschleunigung allerdings ein düsteres Bild. Wenn der Takt des Universums immer schneller schlägt, wird er in einigen Billionen Jahren kürzer sein als die Planck-Zeit. "Was dann geschieht, können wir noch nicht sagen", gesteht Oke. "Meine Vermutung ist, dass der Kosmos von einem Moment zum anderen aufhören wird zu existieren. Beinahe so, als würde man den Fernseher ausschalten."

Bis dahin bleibt aber noch genügend Zeit, die Theorie vom Urknall und expandierenden Universum aus den Schulbüchern zu verbannen und durch eine Darstellung der kosmologischen Beschleunigung zu ersetzen. Vorausgesetzt, die neue Hypothese findet in der Fachwelt Anerkennung.

Bei J.Okes Großmutter ist sie jedenfalls durchgefallen. "Der erzählt häufiger so einen Unfug", sagte sie im Interview. "Dem glauben Sie besser heute kein einziges Wort. Wissen Sie, er hat schon als kleines Kind..."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
Journal of Prehistoric Astronomy and Paleocosmology (im Druck)

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.