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Mikrobiologie: Die Verwandlung

Ein Atemzug nur trennt Blastomycetes dermatitdis von seiner unheilvollen zweiten Natur: Im Boden ein unscheinbarer Schimmelpilz, entwickelt er sich in der Lunge von Säugern und Menschen zu einem pathologischen Stamm, der schwere Erkrankungen auslösen kann. Der Grund der Metamorphose liegt indes im Dunkeln.
Für die meisten Lebewesen sind Temperaturschwankungen der sichere Tod. Weder andauernde Kälte noch ungebührlich warme Umgebungstemperaturen erfreuen sich in unserem Erdenreich umfassender Begeisterung, zahlreiche Organismen sind ausgestorben, weil sie sich den Veränderungen ihrer Umwelt nicht anpassen konnten.

Eine kleine Gruppe von Bodenbewohnern – sie zählt zu den Schlauchpilzen – hat hingegen einen ganz besonderen Mechanismus entwickelt, um sich gegen solches Schicksal abzusichern: den temperaturabhängigen Dimorphismus.

Befinden sich die Schlauchpilze in ihrer normalen Umgebung, dem Erdboden, verhalten sie sich wie Schimmelpilze. Sie bilden Luftmycelien und Konidien und pflanzen sich über Sporenbildung fort. Gelangt eine solche Spore jedoch in eine wärmere Umgebung, weil sie etwa eingeatmet wurde, verwandelt sich der Mikroorganismus plötzlich in einen hefeartigen Pilz, der sich mit Sprosszellen in der Lunge festsetzt und so gefährliche Krankheiten auslösen kann.

Allein in den USA verursachen die dimorphen Pilze mehr als eine Millionen Infektionen pro Jahr. Häufig verbleiben sie auch lange nach einem Krankheitsausbruch in latenter Form im Körper und nutzen bei der nächsten Gelegenheit erneut eine Schwäche der Immunabwehr, um sich auf Kosten des Wirtes auszubreiten. Gerade für Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr sind die Pilze daher äußerst gefährlich – der friedliche Dr. Jekyll entwickelt sich bei Körpertemperatur zum infektiösen Mr. Hyde.

Blastomyces dermatitidis in seinen zwei Morphen | Blastomyces dermatitidis in der ungefährlichen Form des bodenbewohnenden Hyphenbildners (links) und in seiner zweiten Erscheinungsweise, dem pathogenen Hefepilzähnlichen Stadium
Lange wurde gerätselt, was genau diese Verwandlung verursacht. Nun hat eine Forschergruppe um den Mediziner und Mikrobiologen Bruce Klein von der Universität von Wisconsin einen der Formwandler genauer unter die Lupe genommen: Blastomyces dermatitidis, den Verursacher der die Lungen und die Haut befallenden Blastomykose.

Unter den sechs bekannten Dimorphen war B. dermatitides für diese Untersuchung besonders geeignet. Denn frühere Experimente hatten bereits ein verdächtiges Gen ermittelt: BAD1, das bei der Umwandlung zur krankmachenden Pilzvariante aktiviert ist und daher für die Pathogenität zumindest mitverantwortlich zu sein scheint.

Das Team kreierte daher mit Hilfe eines Agrobakteriums, das seine eigenen Gene in die DNA von Wirtspflanzen, aber auch von anderen Mikroorganismen einschleusen kann, 15 000 unterschiedliche Mutanten des Schlauchpilzes mit jeweils unterschiedlichem Gendefekt. Durch die eingeschleuste fremde Erbsubstanz, so hofften sie, sollten einige Pilzvarianten entstehen, die bei Körpertemperatur keine Neigung zeigten, sich zu einem Hefepilz zu entwickeln.

Und tatsächlich: Einer der Mutanten, dessen BAD1-Genaktivität durch die Manipulation verringert war, wandelte sich bei einer Erhöhung der Umgebungstemperatur nicht zur typischen pathogenen Pizvariante, sondern entwickelte Pseudopilzfäden: Die Verwandlung war blockiert. Zudem litt der Mutant unter mehreren sein Überleben negativ beeinflussenden Veränderungen – die Konidosporen des Fruchtkörpers waren zum Beispiel nicht so infektiös wie die des Ursprungsstamm des Pilzes.

Klein und sein Team untersuchten nun die genaue Stelle, an der die eingeschobene Sequenz des Agrobakteriums die Mutanten-DNA verändert hatte: Die betroffene Sequenz codiert das Protein Histidin-Kinase. Dieses schon sehr alte Enzym reagiert auf Umweltveränderungen wie etwa Temperaturschwankungen und existiert in unterschiedlichsten Lebensformen. Ist es aktiviert, schließen Klein und seine Kollegen, dient es den Formwandlern als Sensor, der den richtigen Zeitpunkt für die jeweilige Veränderung der Lebensweise angibt.

Um ihre Hypothese zu bestätigen, kreierten die Wissenschaftler eine Variante von B. dermatitides, die keine Histidin-Kinase herstellen kann, weil das dazugehörige Gen DRK1 ausgeschaltet ist. Einer Temperatur von 37 Grad Celsius ausgesetzt, blieb dieser Mutant in seiner typisch Boden besiedelnden Form gefangen und zeigte ebenfalls alle Veränderungen einer verringerten BAD1-Aktivität.

Der Wandlungsfähigkeit beraubt ist B. dermatitides ein wesentlich freundlicherer Geselle: Infektionen der Lunge, getestet an Mäusemodellen, verliefen deutlich harmloser als bei Wildstämmen des Pilzes. Die Forscher hoffen nun, dank der Entdeckung der Sensorfunktion der Histidin-Kinase Medikamente entwickeln zu können, die Infektionen mit der gefährlichen Hefe-Form abmildern oder verhindern können. Damit den Infizierten die dauerhafte Gesellschaft des Mr. Hyde in Zukunft erspart bleibt.

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