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Selbstorganisierende Systeme: Die völlig übersehene Schattenstrategie der Sonnenblume

Sonnenblumen drehen ihre Blüten bekanntlich stets in Richtung Sonne - haben aber noch weitere, bislang übersehene Tricks auf Lager, um möglichst nie im Schatten zu stehen. Man muss allerdings genau hinsehen.
Sonnenblumen

Sonnenblumen meiden Schatten, wo immer es geht – auch und besonders, wenn sie auf einem Feld selbst dicht gedrängt in der Sonne stehen. Dann schlägt ein wohl im Erbgut codiertes Programm zu: Die Pflanzen neigen sich nach rechts und links und optimieren so den Lichteinfall, was im Feld zu einer selbst organisiert symmetrischen Zickzackanordnung führt. Die kann man allerdings nur bei genauem Hinsehen entdecken, berichten Forscher aus Argentinien in »PNAS«.

Denn im Normalfall fällt das wohlgeordnete Muster von abwechselnd links- und rechtsgeneigten Pflanzen im Sonnenblumenfeld gar nicht auf – vor allem, weil das dichte Blattwerk die Neigungswinkel der Stängel verschleiert, berichten Antonio Hall und seine Kollegen. Ihren Beobachtungen kam ein kurzes Zeitfenster zugute, in dem die Pflanzen noch stehen, aber schon viele Blätter eingebüßt haben: Nun erkennt man, wie regelmäßig die Sonnenblumen sich jeweils nach rechts oder links aus dem Schatten der Vorderpflanze neigen.

Experimente der neugierig gewordenen Forscher auf eigens angelegten Versuchsflächen zeigten nun, dass die Sonnenblumen tatsächlich sehr regelmäßig ausweichen und so selbstorganisierte Muster bilden – allerdings nur, wenn die Dichte im Feld sehr hoch ist. Der Prozess beginnt in der frühen Wachstumsphase der noch jungen Pflanzen ausgehend von einem ganz vorne zur Sonne platzierten Exemplar. Die direkt dahinterstehende Sonnenblume neigt sich nun um rund zehn Grad in eine Richtung aus dem Schatten. Dies führt dazu, dass die hinter diesem Vorreiter stehende Pflanze ihrerseits in die Gegenrichtung ausweicht. So resultiert am Ende ein wellenartig nach hinten durchgereichtes, symmetrisches Muster – und ein direkter Erfolg beim Sammeln der Sonnenstrahlen: Der Ertrag auf den selbstorganisiert gezickzackten Versuchsfeldern war um 25 bis 50 Prozent höher als auf zum Vergleich untersuchten Feldern, bei denen die Pflanzenstängel in einer vertikalen Position festgezurrt wurden.

Kommerzielle Sonnenblumenfelder werden im Normalfall deutlich weniger dicht bepflanzt als in ihrem Experiment, so dass der Effekt in der Kulturlandschaft wohl keine Rolle spielt, merken Hall und Co an. Denn je enger die Pflanzen stehen, desto schwieriger wird zum Beispiel die Bekämpfung von Schädlingen, die sich von Pflanze zu Pflanze ausbreiten. Unterschiedliche Sonnenblumenvarianten zeigen übrigens auch unterschiedlich ausgeprägte Neigungswinkel, so die Forscher: Womöglich ist das Verhalten demnach in irgendeiner Form genetisch fixiert. Vielleicht, so spekulieren sie, könnte man dieses genetische Programm einmal auch bei vielen anderen Pflanzen nachweisen, wo es bislang unentdeckt schlummert. Schließlich wäre es seltsam, wenn nur Sonnenblumen das Schattenvermeidungsprogramm erfunden hätten.

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