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Restaurationsökologie: Die Wiederbewalder

Vor 20 Jahren begann in Costa Rica ein bizarres Experiment - das bald in Vergessenheit geriet. Heute zeigt sich: Es war ein Turbo für die Wiederherstellung eines Ökosystems. Ein Lehrstück?
Ein einsamer Baum steht in Guanacaste, Costa Rica

Seit dem Aufkommen der Landwirtschaft vor 9000 Jahren hat die Welt durch Ackerbau, Viehzucht und Siedlungen fast die Hälfte ihrer Wälder verloren. In der Folge sind riesige Flächen unfruchtbar geworden. Trotzdem gibt es nach Einschätzung des in Washington D. C. ansässigen World Resources Institute einen Hoffnungsschimmer: Demnach eignen sich über zwei Milliarden Hektar degradierter Landfläche zur Renaturierung. Das entspricht der doppelten Fläche Europas. Ein Blick nach Costa Rica lehrt dabei, was möglich ist.

Tapire, Brüllaffen, Pumas und Ameisenbären streifen durch den tropischen Trockenwald in Guanacaste im Nordwesten Costa Ricas. Und das in einem Gebiet, in dem über 200 Jahre lang ausgedehnte Viehweiden das Landschaftsbild prägten. Nach dem Einbruch der Rindfleischpreise auf dem Weltmarkt um 1980 hatten die Rinderhalter und viele Kleinbauern das Land verlassen. Zurück blieben mit aus Afrika eingeführten Gräsern überwucherte Flächen. Um die letzten Waldreste zu erhalten, wurde damals auf Betreiben der US-amerikanischen Ökologen Daniel Janzen und Winnie Hallwachs die Área de Conservación Guanacaste (ACG) zum Schutzgebiet erklärt und zu einem Freiluftlabor für die natürliche Regeneration des Waldes. Man pflanzte aber kaum Bäume, sondern konzentrierte sich auf den Schutz vor Bränden, die bis dahin regelmäßig gelegt wurden, auf Umweltbildung und die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung.

Orangenschalen als Gründünger? | Ökologen brachten 1998 auf drei Hektar verlassener Viehweiden im ehemaligen tropischen Trockenwald im Nordwesten Costa Ricas 1000 Lkw-Ladungen ausgepresste Orangen aus. Das Bild zeigt einen Teil der Flächen kurz nach Beginn des Experiments.

Auf einem kleinen Teil der Flächen wurden jedoch auch weitere Maßnahmen erprobt. So wurden auf Veranlassung der Ökologen 1998 auf drei Hektar verlassener Viehweide von einem lokalen Saftproduzenten einfach 1000 Lkw-Ladungen Orangenschalen ausgekippt. Man wollte testen, wie sich die Natur auf der sonst ausgelaugten Fläche entwickelt. Gut 16 Jahre später hat der Biologe Timothy Treuer von der Princeton University das Freilandexperiment ausgewertet. Die Forscher fanden auf der Orangenschalenfläche mit 24 Arten eine dreimal so hohe Biodiversität der Bäume, eine fast doppelt so hohe Baumbiomasse und einen deutlich erhöhten Gehalt an verfügbaren Bodennährstoffen verglichen mit einer benachbarten Kontrollfläche. Treuer hofft, dass es bald Nachahmer gibt: »Die Ausbringung von landwirtschaftlichen Abfällen auf gerodeten Waldflächen könnte das Aufwachsen artenreicher tropischer Sekundärwälder massiv beschleunigen.« Immerhin: Wind und Wildtiere haben aber auch auf den nicht mit Orangenschalen gedüngten Flächen die Samen von Bäumen und Büschen verteilt – und dank des Schutzes vor Feuer und Viehfraß ist heute nahezu die Hälfte der 50 000 Hektar großen Fläche wieder bewaldet.

Kooperation von Mensch und Natur

Die Wiederbewaldung in Zusammenarbeit mit der Natur heißt in der Fachsprache Assisted Natural Regeneration oder kurz ANR. Die Assistenz kann ein Beschleuniger wie im Fall der Orangenschalen in Costa Rica sein; meist geht es aber einfach darum, natürliche Setzlinge und wieder austreibende Reste des Waldes vor negativen (menschlichen) Einflüssen wie Beweidung, Holzernte, Grasüberwuchs oder Feuer zu bewahren.

Ohne schützende Bäume wird der fruchtbare Boden weggeschwemmt, der Grundwasserspiegel sinkt, und die Gefahr von Erdrutschen und Überschwemmungen steigt. Sogar die Zahl der kritischen Durchfallerkrankungen steigt durch die Abholzung in Wassereinzugsgebieten. Zurück bleibt degradiertes Land ohne Wert für Land- und Forstwirtschaft. Um dem entgegenzuwirken, haben sich im Jahr 2014 mit der Bonn Challenge zahlreiche Organisationen und Nationen vorgenommen, bis zum Jahr 2030 mindestens 350 Millionen Hektar wiederaufzuforsten – eine Fläche größer als Indien. Der Geograf und Forstwissenschaftler Robert Winterbottom, bis zu seiner Pensionierung 2017 leitender Wissenschaftler beim World Resources Institute, umreißt die Größenordnung der Herausforderung: »Wenn wir das in der Bonn Challenge festgelegte Ziel erreichen wollen, müssen wir jedes Jahr etwa 23 Millionen Hektar schaffen. Mit reinem Bäumepflanzen kommen wir da nicht weiter. Der Schlüssel, um wirklich hunderte Millionen Hektar zu renaturieren, liegt in einfachen und effektiven Methoden und der Beteiligung der lokalen, ländlichen Bevölkerung mit Millionen von Kleinbauern.«

»Wenn man nicht immer mit dem Vorschlaghammer auf die Natur draufhaut, sondern mit ihr arbeitet, erlebt sie ein Comeback«
Tony Rinaudo
Wie das gehen kann, zeigt der australische Missionar und Landwirtschaftsexperte Tony Rinaudo. Er braucht nur ein einfaches Messer und die Kooperation der örtlichen Bauern, um selbst in extrem degradierten und trockenen Gebieten etwa Nigerias oder Äthiopiens wieder Bäume wachsen zu lassen. Dazu werden die unter der ausgedorrten Erde liegenden Wurzeln und Ausläufer gerodeter Bäume vor Viehfraß geschützt und beim Aufwachsen regelmäßig beschnitten. Rinaudo nennt seine Methode Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR) und sagt: »Die Natur ist, obwohl wir sie als zerbrechlich wahrnehmen, sehr belastbar, und wenn man nicht immer mit dem Vorschlaghammer auf die Natur draufhaut, sondern mit der Natur arbeitet, dann erlebt sie ein Comeback.« Kleinbauern wie Aster Tantu aus den äthiopischen Humbo-Bergen profitieren direkt von der Renaturierung. Die Mutter von sechs Kindern sagt: »Durch die Bäume haben wir mehr zu essen, wir können die Kinder zur Schule schicken, und es ist sogar kühler geworden.«

Der Bergrücken von Humbo ist in wenigen Jahren wieder ergrünt, Wildtiere wie Affen, Hyänen, Leoparden und Gazellen sind zurückgekehrt, und inzwischen besuchen auch Touristen die Region. Mit Hilfe von Partnern wie World Vision verbreitet sich die FMNR-Methode inzwischen auch in zahlreichen weiteren Ländern. Die Aufforstung gibt den Menschen neue Perspektiven in ihrer Heimat – weswegen Forstexperte Winterbottom meint: »Das Ergrünen Afrikas kann ein wichtiger Faktor bei der Lösung der europäischen Flüchtlingskrise sein.«

Die Fläche heute | Luftbild der renaturierten Viehweiden in Costa Ricas Guanacaste-Schutzgebiet 16 Jahre nach dem Ausbringen der Orangenschalen. Rechts der Straße: mit Orangendünger, links ohne.

Landschaften statt Parzellen

»Natürliche Regeneration ist kein Allheilmittel, sondern eine Ergänzung. Aber eine, die bislang oft übersehen oder vernachlässigt wurde«, bestätigt Manuel Guariguata, Forstexperte beim Center for International Forestry Research (CIFOR) in Lima, Peru. Dabei sollte man nicht alles über einen Kamm scheren und annehmen, dass man mit einer Methode überall flächendeckend Erfolg haben wird. Wenn das Geld fehlt oder der Boden schon zu ausgelaugt ist, dann ist es oftmals schwer, eine Regeneration der Wälder überhaupt nur zu versuchen. Deswegen plädieren Experten wie Guariguata für einen großflächigen Landschaftsansatz bei der Renaturierung: »Wir können dann verschiedene Methoden wie in einem Mosaik kombinieren und vielen verschiedenen Interessen Rechnung tragen.« Ein solches Landschaftsmosaik enthält Schutzgebiete, Flächen mit natürlicher Regeneration, Agroforst-Systeme, also Bereiche, in denen unter den Bäumen Feldfrüchte wachsen, aber auch klassische Wiederaufforstung und Holzplantagen. »Dabei ist es wichtig, die Flächen mit Potenzial für natürliche Regeneration zu identifizieren, um die Ressourcen für Baumpflanzungen dort einzusetzen, wo sie auch wirklich gebraucht werden«, erläutert Guariguata.

Auf diese Weise können die natürliche Regeneration und das Pflanzen oder Aussäen von Bäumen Hand in Hand gehen. Jeder kleine Baustein zählt, denn selbst wenige verstreut wachsende Bäume auf einer Viehweide sind ein Gewinn für die Artenvielfalt, wie eine neue Studie aus Brasilien belegt. Auch Jürgen Bauhus, Professor für Waldbau an der Universität Freiburg arbeitet in Brasilien. Mit seinen Partnern von der Universität São Paulo erprobt er, ob die Kombination von schnell wachsenden (exotischen) Eukalyptusbäumen mit einheimischen Baumarten die Aufforstung wirtschaftlich interessanter machen kann.

»Natürliche Regeneration ist kein Allheilmittel, sondern eine Ergänzung. Aber eine, die bislang oft übersehen oder vernachlässigt wurde«
Manuel Guariguata

Natürliche Regeneration braucht ökologisches Knowhow, politische Anreize und nicht zuletzt soziale Akzeptanz. Ähnlich wie ein verwilderter Garten oder eine Brachfläche hier zu Lande den Unmut der Nachbarn erregen können, wird ein Bauer in den Tropen schnell schräg angeschaut, wenn er sein Land brach liegen lässt. Sich zurückzunehmen und den Prozess der natürlichen Regeneration geschehen zu lassen, scheint eine der schwierigsten Herausforderungen: »Manchmal entfernen Bauern, die ihre Flächen aufforsten wollen, natürliche Setzlinge, weil sie diese für Unkraut halten. Sie haben keine Ahnung, dass sie da gerade richtig wertvolle Baumarten ausreißen, die sich dort von selbst angesiedelt haben«, erzählt Robin Chazdon, Tropenökologin an der University of Connecticut, von ihren Erfahrungen in Lateinamerika.

Aufforstung und Naturschutz

Die Wiederherstellung von artenreichen Wäldern ist langwierig, kostspielig und komplex und kann überhaupt nur gelingen, wenn noch ausreichend große Restbestände der ursprünglichen Flora und Fauna übrig sind. Das Comeback der Wälder entbindet uns also nicht vom Schutz der letzten Urwaldreste. Immer noch verlieren wir jedes Jahr 18 Millionen Hektar Wald und damit unzählige Arten, die dabei unwiederbringlich aussterben. Darum betont Robin Chazdon: »Unser Ziel muss es sein, Naturschutz und Renaturierung ineinander zu verzahnen. Gerade in den Pufferzonen um Naturschutzgebiete oder zur Schaffung ökologischer Korridore zwischen Waldinseln sind Renaturierungsmaßnahmen sehr sinnvoll einsetzbar

Auch in Costa Rica gibt es noch vieles zu verbessern, aber die kleine zentralamerikanische Nation hat es geschafft, von einer Abholzungsnation zum Aufforstungsland zu werden. Grundstein des Erfolgs waren die richtigen politischen Weichenstellungen. So wurden Schutzgebiete ausgewiesen, Agrarsubventionen für die Umwandlung von Wald in Weideland zurückgefahren, der Wert der Wiederbewaldung anerkannt und Forschungsprojekte unterstützt. Inzwischen sind viele Wälder nachgewachsen, und der Ökotourismus ist eine der wirtschaftlichen Säulen des Landes. Das Comeback der Wälder muss also kein grüner Traum bleiben.

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