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Krebsforschung: Dreimal ist nicht immer schlecht

Seit einem halben Jahrhundert herrscht Uneinigkeit unter den Downsyndrom-Forscher. Knackpunkt ist das überzählige Chromosom 21 und seine vermeintliche Wirkung gegen das Entarten von Zellen: Kann der Chromosomenüberschuss auch positive Folgen haben?
Gentechnisch veränderte Maus
Aus korrelierenden Daten kann man viel Hilfreiches herausrechnen – und ziemlich Blödsinniges, wenn man es darauf anlegt. Immer noch das bekannteste Beispiel ist die Storchanzahl-Geburtenraten-Zusammenhang: Auch wo beides nachweislich parallel ansteigt, bringt nicht zwangsläufig der Klapperstorch die Babys. Gerade die Daten von aufwändigen epidemiologischen Großstudien werden dennoch wiederholt danach durchforstet, ob sich zwischen den verschiedenen korrelierenden Größen nicht doch Zusammenhänge ergeben. Eine Veröffentlichung kann das dann allemal wert sein; die zugrunde liegenden Ursachen – also die Kausalität hinter der Korrelation – bleiben derweil ärgerlich unklar.

Sie sind allerdings der spannende Teil des Gesamtbilds. Und manchmal sehr langwierig herauszufinden, wie der Forschungsgegenstand beweist, an dem sich Roger Reeves von der Johns-Hopkins-Universität und seine Kollegen abgemüht haben: Schon 1955 war die Korrelation öffentlich gemacht worden, deren Kausalität sie nun enthüllt zu haben glauben. Menschen mit Down-Syndrom – sie besitzen drei statt der üblichen zwei Kopien des Chromosoms 21 in ihren Zellen – leiden zwar unter den gesundheitlichen Folgen der Chromosomenfehlverteilung, zudem aber auch deutlich seltener an Krebs, hatten Wissenschaftler damals erstaunt festgestellt. Mangels geeigneter Methoden mussten sie darauf verzichten, Näheres über die Ursachen des Zusammenhangs herauszufinden.

Auch Reeves und Kollegen konnten sich dem Problem nun nur auf Umwegen nähern. Statt Trisomie-21-Patienten untersuchten sie einen Versuchsstamm von Mäusen. Die Nager besitzen drei statt zwei Kopien von Chromosom 16, auf dem sehr viele Gene liegen, die bei Menschen analog auf Chromosom 21 vorhanden sind. Bei den Tieren zeitigt das Zuviel der Chromosomenzahl auch ganz ähnliche Folgen wie bei betroffenen Menschen.

Den Versuchsstamm kreuzten die Forscher nun mit einer für Dickdarm- Krebs anfälligen Maus-Zuchtlinie. Die daraufhin geborenen Nachkommen mit ihren drei Chromosom-16-Kopien per Zelle konnten, so die Forscher, tatsächlich offenbar die genetische Krebsanfälligkeit ihres zweiten Elternteils kompensieren: In der Tochtergeneration entstanden deutlich weniger Tumoren, die zudem meist viel kleiner ausfielen. Der Zusammenhang war nach den Daten aus den 1950er Jahren ja erwartet worden, nach der Ursache konnten die Wissenschaftler nun aber in ihrem Mausmodell gezielt suchen.

Gentechnisch veränderte Maus
Reeves' Team hatte schon zuvor genau 33 Gene ermittelt, die für die Down-Syndrom-Symptome bei Mäusen hauptsächlich verantwortlich sind. Die Forscher arbeiteten nun mit zwei weiteren Mausmodellen weiter, in denen exakt diese Genkopien dreimal (Stamm "TS1Rhr") beziehungsweise nur einmal ("Ms1Rhr") auf Chromosomen vorkamen. Beide Mauslinien kreuzten sie wieder mit den Dickdarmkrebsmäusen – mit aufschlussreichen Ergebnissen.

Denn die Ms1Rhr-Tochtertiere mit nur einem Satz der Gene entwickelten sehr häufig, die mit zweien durchschnittlich oft sowie jene mit dreien – wie gehabt – eher seltener Tumoren. Offenbar also ist der Schutzmechanismus abhängig von der in den Zellen enthaltenen Dosis der Gene. Dies ist bei Tumorsuppressoren im Allgemeinen sehr unüblich: Ihre Ab- und Anwesenheit bestimmt im Normalfall das Schicksal der Zelle, nicht aber ihre Konzentration.

Mit diesen Informationen gelang es den Wissenschaftlern nun in einem weiteren Versuch zu ermitteln, welche der zunächst 33 Gene für den dosisabhängigen Schutzeffekt verantwortlich ist: Alleine der Erbgutabschnitt Ets2 bewahrte die Mäuse in zunehmender Konzentration zunehmend vor Dickdarmkrebs – und sein menschliches Analogon vielleicht Down-Syndrom-Betroffene vor einem ähnliche Schicksal.

Dieser Fund überrascht nun endgültig, denn Ets2 ist durchaus ein alter Bekannter – allerdings als Krebsverursacher. Sein Genprodukt reguliert die Expression einer Reihe weiterer Gene, die im Rahmen der Bildung der extrazellulären Matrix von Zellen entscheidend sind – die wiederum auch für das Wachstum verschiedener Tumore wichtig zu sein scheinen. So entwickelt sich etwa ein bestimmte Form von Brustkrebs bei Mäusen nur dann nicht, wenn Ets2 fehlt. Offenbar also ist die Wirkung des Gens janusköpfig: Es kann gleichzeitig Darmkrebs stoppen und Brustkrebs fördern.

Somit wird zu einfachen Lösungen einer möglichen Krebsbekämpfung der Zukunft wieder einmal ein Riegel vorgeschoben: Einfach ausschalten oder, im Gegenteil, hochregulieren des Ets2-Gens wird gleichzeitig positive und negative Folgen haben. Welche genau könnte man übrigens auch an Menschen mit Trisomie-21 erkennen, vielleicht sogar durch die penible Auswertung alter epidemiologischen Daten. Möglicherweise, so spekuliert etwa David Threadgill von der Universität von North Carolina in Chapel Hill, entwickeln Down-Betroffenen zwar seltener feste, ortstreue Tumoren – leiden aber vielleicht häufiger an metastasierenden Krebsformen wie dem Brustkrebs.

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