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Medizintechnik: Druckreife Gefäße

Es erscheint wie eine Sciencefiction-Geschichte: Ein Tintenstrahldrucker erzeugt biologisches Gewebe. Doch die Technik ist schon erstaunlich weit fortgeschritten.
Blutgefäße
Der Bedarf an Transplantaten ist groß. In Deutschland warten rund 8000 Menschen auf eine neue Niere, in den USA sollen über 80 000 Patienten auf der Warteliste für ein Organ stehen, von denen 17 täglich sterben.

"Tissue Engineering", die künstliche Herstellung von Geweben, soll in Zukunft den Mangel an Spenderorganen ausgleichen. Besonders viel versprechen sich Mediziner von einer Methode, die zunächst ziemlich fantastisch klingt: Gewebe per Drucker. Ausgedruckte Zellen sollen sich anschließend von selbst zu ganzen Organen zusammenschließen.

Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Gabor Forgacs. Dem Biophysiker und seinen Kollegen von der University of Misssouri in Columbia gelang es, dreidimensionale Gebilde zu produzieren – Blutgefäße und Herzgewebe. Bereits nach 70 Stunden schlossen sich die Zellen zu einem festen Gewebe zusammen, das nach 90 Stunden wie ein reguläres Herz im Takt zu schlagen begann. Wie ist das möglich?

Fester Halt

Beim Tissue Engineering werden Zellen außerhalb des Körpers gezüchtet und vermehrt, die anschließend auf den Patienten übertragen werden. Idealerweise sollten die Zellen vom Patienten selbst stammen, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.

Die Zellen benötigen jedoch bei ihrer Reifung einen festen Halt – sie können sich also nur auf einem Trägermaterial vermehren. In einem Organismus übernimmt diese Rolle die extrazelluläre Matrix, ein von den Zellen selbst produziertes Netzwerk verschiedener Biomoleküle. Außerhalb des Körpers behelfen sich die Mediziner mit künstlichen Gerüsten – auch Scaffolds genannt. Sie bestehen aus synthetischen oder auch natürlichen Substanzen wie etwa einem Hydrogel und geben ihre starre Struktur den heranwachsenden Zellen vor.

Gabor Forgacs' Arbeitsgruppe verzichtet dagegen auf ein fertiges Gerüst. Die heranwachsenden Zellen werden nur kurzfristig von einem Hydrogel zusammengehalten. Dauerhafte Stabilität schafft hier die natürliche Fähigkeit von Zellen und Geweben, sich selbst zu organisieren und eine eigene Matrix zu bilden.

Biotinte auf Biopapier

Damit dies gelingt, müssen die Zellen zunächst möglichst nah nebeneinander positioniert werden. Und genau diese Aufgabe erledigt – ein computergesteuerter Tintenstrahldrucker. Aus seinen Düsen spritzt "Biotinte", natürliche Zellen, die vorher zu kleinen, kugelförmigen "Biotintentropfen" zusammengepresst wurden. Derartige Sphäroide üben eine besonders große Anziehungskraft aufeinander aus, so dass sie sich leicht zusammenschließen.

Gewebe aus dem Drucker | Wie aus einem Drucker ein Blutgefäß entsteht: Der Tintenstrahldrucker erzeugt ein Gel als Biopapier (oben links, grün) sowie Gefäßzellen, die zu kugelförmigen Biotintentropfen (rot) zusammengepresst sind. Die Tropfen werden kreisförmig auf dem Biopapier positioniert (oben rechts). Schichtweise werden hierauf mehrere Lagen Biopapier mit kreisförmig angeordneten Biotintentropfen angelagert, bis die gewünschte Länge des Blutgefäßes erreicht ist (unten links). Das Biopapier wird anschließend entfernt, und die Zellen wachsen im Bioreaktor zum Blutgefäß zusammen (unten rechts).
Der Drucker besitzt drei Köpfe, deren Bewegungen jeweils ein Computer genauestens steuert. Zwei der Köpfe drucken die natürlichen Zellen aus, und aus dem dritten kommt das "Biopapier" – ein Gel, das die Lücken zwischen den Biotintentropfen so lange ausfüllt, bis sie sich fest zusammengeschlossen haben.

So erzeugt der Drucker für ein Blutgefäß zunächst eine Schicht Hydrogel als Biopapier und positioniert hier haargenau kreisförmig angeordnete Biotintentropfen. Als Nächstes folgt wieder eine Schicht Biopapier. Diese beiden Schritte wiederholen die Wissenschaftler so lange, bis die gewünschte Länge des Blutgefäßes erreicht ist. Bereits während des Druckens verschmelzen die Tropfen miteinander, und am Schluss entfernen die Forscher das Biopapier mit Hilfe von Enzymen und durch einen Temperaturwechsel.

Das Wichtigste zum Schluss

Der fertige Ausdruck kommt dann in einen Bioreaktor. Hier wird der Vorgang, von den Forschern künstlich in Gang gesetzt, von den natürlichen Zellen selbst zu Ende gebracht. So wachsen beispielsweise aus Blutgefäßzellen kleine Kapillaren heran – wie beim natürlichen Prozess der Embryonalentwicklung, der komplexe Gewebe entstehen lässt. "Es wird uns niemals gelingen, ein Organ in allen Einzelheiten zu drucken", meint Forgacs. "Aber das ist auch gar nicht notwendig. Das erledigt die Natur für uns."

Natürliche Zellen sind allerdings äußerst sensibel, in dem Bioreaktor muss daher alles stimmen.
"Zumeist probieren wir einfach aus – nach Versuch und Irrtum"
(Gabor Forgacs)
Nur unter idealen Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck und pH-Wert setzen die ausgedruckten Zellen Wachstumsfaktoren frei, vermehren sich und bilden eine natürliche extrazelluläre Matrix. "Dies ist ein sehr komplizierter Prozess", erklärt Forgacs. "Jedes Gewebe – etwa das von Blutgefäßen, Knochen, Herz, Leber oder Niere – braucht andere ideale Umgebungsbedingungen."

Blutgefäße | Blutgefäße, wie hier von der rechten Herzkammer eines menschlichen Herzens, lassen sich inzwischen künstlich per Tintenstrahldrucker produzieren.
Die Forscher setzen daher verschiedene Bioreaktoren ein. Bisher existiert noch keine Methode, die genau vorhersagen kann, welche Umwelt für ein bestimmtes Gewebe die beste ist. "Zumeist probieren wir einfach aus – nach Versuch und Irrtum", sagt Forgacs. "Computersimulationen unterstützen uns. Je größer unsere Erfahrung ist, desto besser können wir die Simulationen nutzen."

Bislang arbeitete die Gruppe von Forgacs mit embryonalen Herz- und Gefäßzellen, wobei sie letztere aus dem menschlichen Blut einer Nabelschnurvene gewonnen haben, während die Herzzellen aus Hühnereiern stammten. Tatsächlich entwickelte sich aus der Mischung der beiden Zellarten funktionsfähiges Herzgewebe.

Forgacs möchte jedoch in den nächsten Jahren auch Lebergewebe züchten.
"Es wird nicht nur aussehen wie eine Niere – es wird auch genauso funktionieren"
(Gabor Forgacs)
Dieses Gewebe ist auch für Pharmazeuten besonders interessant – ließe es sich doch für toxikologische Tests nutzen, um vorauszusagen, ob ein neu entwickeltes Medikament der Leber schadet. Dann könnte man auf die entsprechenden Tierversuche verzichten.

Aber Forgacs will noch mehr: vollständige implantierbare Organe. "Wir züchten die Zellen, drucken sie aus und formen die Struktur", sagt Forgacs. "Ein Gewebe wird nicht nur aussehen wie eine Niere – es wird auch genauso funktionieren."

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