Direkt zum Inhalt

News: Ein Gen macht schlau

Kinder lernen leichter, heißt es - je älter man wird, desto schwieriger ist es, sich an bestimmte Dinge zu erinnern und neues Wissen zu behalten. Und es ist bisher immer noch nicht endgültig geklärt, was beim Lernen im Gehirn eigentlich passiert. Bei Mäusen sind Forscher nun ein Stück vorwärts gekommen: Sie konnten durch Hinzufügen eines einzelnen bestimmten Gens die Lernfähigkeit und die Gedächtnisleistung der Tiere deutlich erhöhen.
Das Gen namens NR2B trägt die Information für ein Protein, das auf der Oberfläche von Nervenzellen als Erkennungsstelle für bestimmte chemische Signale dient. NMDA, wie der Rezeptor genannt wird, ist wie eine Tür mit zwei Schlössern: Man braucht für jedes einen Schlüssel, um sie zu öffnen. Eine optimale Methode, um zwei gleichzeitig gemachte Erfahrungen im Gehirn miteinander zu verknüpfen – nichts anderes als das ist Lernen.

Bei jungen Tieren reagiert der Rezeptor sogar, wenn die Erfahrungen zeitlich etwas auseinander liegen, was Lernen sehr erleichtert. Im Erwachsenenalter dagegen ist der Rezeptor weniger leicht anzusprechen – "was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" zieht sich durch die gesamte Evolution und gilt von den Singvögeln bis zu den Primaten.

Joe Tsien von der Princeton University hat eine Methode gefunden, mit der auch Hans noch lernen kann – zumindest wenn er eine Maus ist. In früheren Versuchen hatten von ihm gezüchtete Mäuse, denen das NR2B-Gen fehlte, deutliche Mängel in der Lern- und Gedächtnisleistung gezeigt. Jetzt fügte er normalen Versuchstieren eine zusätzliche Kopie des Gens ein, um zu sehen, ob auch der Umkehrschluß korrekt ist und die Tiere dann verbesserte Gehirnleistungen zeigten (Nature vom 2. September 1999). Außerdem gestaltete er diese weiteren Gensequenzen so, daß sie mit zunehmendem Alter der Mäuse höhere Aktivität entwickelten – und damit dem natürlichen Rückgang der Genaktivität im Alter entgegenwirkten. Das Gehirn der erwachsenen Tiere zeigte so noch Merkmale, die von Jungtieren bekannt sind, insbesondere konnte es immer noch langanhaltende Verbindungen zwischen Nervenzellen erzeugen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) maß Tsien dann direkt an den Synapsen, den Orten der Signalübertragung, die Anzahl und die Wirkung der NMDA-Rezeptoren.

Anschließend ließen sie die Mäuse einige Tests durchlaufen, in denen sie ihre verbesserte Lernfähigkeit und ihr Gedächtnis beweisen sollten. Die erste Aufgabe bestand darin, bestimmte Gegenstände nach einer gewissen Zeit wiederzuerkennen. Die Tiere bekamen zwei Gegenstände, die sie gründlich erforschen konnten, bevor sie wieder entfernt wurden. Nach mehreren Tagen präsentierten ihnen die Forscher einen der Gegenstände erneut und tauschten den zweiten gegen einen neuen um, der den Mäusen unbekannt war. Während die Tiere der Kontrollgruppe beide Objekte – auch das schon vorgeführte – mit Ausdauer wieder genau untersuchten, beschränkten sich die transgenen Mäuse auf den für sie neuen Gegenstand, den alten hatten sie offensichtlich wiedererkannt. Diese Erinnerung behielten sie vier- bis fünfmal länger im Gedächtnis als ihre normalen Artgenossen.

Die nächste Probe absolvierten die Mäuse im gefühlsbezogenen Erinnerungsvermögen. Die Forscher setzten sie in eine Kammer, in der die Mäuse leichte Elektroschocks an den Füßen bekamen. Die transgenen Tiere reagierten auch noch nach Tagen verschreckt auf denselben Raum, also erinnerten sie sich offensichtlich an die Schmerzen. Die Kontrollgruppe vergaß die Unannehmlichkeiten sehr viel schneller, auch bei einem vergleichbaren Test, bei dem die Tiere mit Tönen konditioniert wurden. Interessanterweise lernten die veränderten Mäuse auch schneller, wenn nach der Schockbehandlung die Stöße ausblieben.

Der letzte Test betraf das räumliche Lernvermögen. Beliebte Aufgabe hierfür ist das Wiederfinden einer Plattform in einem Wasserbecken, dessen Position den Tieren vorher beigebracht wurde. Auch hier waren die genetisch veränderten Mäuse die fixeren Schüler: Sie benötigten nur drei im Gegensatz zu sechs Versuchen in der Kontrollgruppe, um sich die Position der Plattform zu merken.

Tsiens Ergebnisse werfen die Frage auf, inwieweit seine Arbeit auch für den Menschen verwertbar ist. Dabei geht es weniger darum, "intelligente" Menschen zu züchten, als vielmehr um die Behandlung von krankheitsbedingten Störungen des Lern- und Erinnerungsvermögens. Ein dem NR2B entsprechendes Gen ist zwar auch beim Menschen vorhanden, ob es ebenfalls diese Leistungssteigerung des Gehirns bewirken kann, ist aber bisher nicht bekannt. Konkrete Behandlungsmethoden sind daher noch nicht in Sicht. Und bevor die Erkenntnisse womöglich in der Medizin eingesetzt werden, müssen in Diskussionen entsprechende ethische Fragen und Bedenken erörtert werden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.