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News: Ein Gen - zwei Funktionen

Wie Gene die Entwicklung eines Säugetier-Embryos lenken, ist schwierig zu verstehen. Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat herausgefunden, daß dasselbe Gen, welches zunächst für die Entstehung der Blutzellen des Körpers verantwortlich ist, später in anderen Zellen des Embryos aktiviert wird, um den Urogenitaltrakt zu bilden. Das war bisher nicht bekannt, da eine eine Fehlfunktion der Gene schon im ersten Stadium zu einem Abort geführt hat.
Nach Meinung von Forschern der Northwestern University, der Harvard Medical School und der University of Tsukuba in Japan deuten ihre Ergebnisse auf einen Fehler bei der experimentellen Technik hin, mit der Wissenschaftler seit einem Jahrzehnt die Genetik der fötalen Entwicklung bei Mäusen – beispielhaft für andere Säugetiere – untersuchen: Besitzt ein einziges Gen mehr als eine lebenswichtige Funktion, dann führt der erste tödliche Defekt zu einer Fehlgeburt des Embryos, bevor sich der zweite Defekt manifestiert.

"Der Mausembryo könnte früh in der Schwangerschaft verloren gehen, bevor der zweite Defekt entdeckt werden kann", erklärt der Leiter der Forschungsarbeit, J. Douglas Engel von der Northwestern University. Engel und seine Mitarbeiter untersuchten GATA-2, ein Gen, welches die embryonalen Prozesse anstößt, durch welche sich die verschiedenen Formen von Blutzellen in einer neugeborenen Maus entwickeln. Unter Verwendung des Gen-Targeting schufen sie Mäuse, denen eine ihrer beiden Kopien des Gens GATA-2 fehlte. Als zwei dieser Mäuse zur weiteren Zucht verwendet wurden, fehlten einem Viertel der daraus hervorgegangenen Embryonen beide Kopien des GATA-2-Gens. Die Forscher konstruierten ein künstliches Chromosomen, welches das GATA-2-Gen inklusive langer Abschnitte der DNA enthielt, die es auch in dem normalen Chromosomen umgeben. Als das künstliche Chromosomen in die Mäuseembryonen injiziert wurde, denen das GATA-2 fehlte, konnte eine normale Blutzellenbildung ablaufen, und lebende Mäuse wurden geboren. Damit war ein Weg gefunden, wie man eine frühe Fehlgeburt aufgrund einer fehlenden Funktion des lebenswichtigen Gens umgehen kann.

Überraschenderweise starben alle Mäuse kurz nach der Geburt – trotz eines normalen Blutbildungssystems. Eine Autopsie ergab, daß sie Mißbildungen der Nieren und Blase und anderer urogenitaler Strukturen aufwiesen. "Als wir uns daraufhin normale Mäuse näher untersuchten, entdeckten wir, daß GATA-2 in vielen Organen des sich entwickelnden Urogenitalsystems aktiv ist", sagte Engel. Bisher hatte man geglaubt, daß GATA-2 nur für die Bildung der Blutzellen wichtig wäre. "Die eigentliche Überraschung ist jedoch," fuhr er fort, "daß in den Knock-out-Mutanten das künstliche Chromosomen mit GATA-2 und dieser enormen Länge der angrenzenden DNA nicht ausreichend war, um das Urogenitalsystem zu retten."

Die Forscher vermuten, daß die GATA-2-Expression in dem sich entwickelnden Urogenitalgewebe durch eine regulierende DNA-Sequenz in großer Entfernung von dem GATA-2-Gen gesteuert wird (The EMBO Journal, Zeitschrift der European Molecular Biology Organization, Ausgabe vom 16. November, Abstract). Nach Aussage von Engels könnte es sich damit um die am weitesten vom zu aktivierenden Gen entfernten regulierenden Elemente handeln, die bisher in einem Strukturgen gefunden wurden.

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