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Klimawandel: Ein langer Blick zurück

Haben wir nun oder haben wir nicht? Nehmen wir Einfluss auf das globale Wettergeschehen, oder ist das alles vielleicht doch nur eine üble Laune der Natur? Forschungsreisen in die Vergangenheit können da wertvolle Aufklärung leisten. Und sie verkünden unangenehme Wahrheiten zur Rolle des Menschen.
Eisbohrkern
Der Oktober 2005 war nach Angaben der Nordamerikanischen Wetterbehörde NOAA der wärmste jemals gemessene seit Beginn der Aufzeichnungen 1850, und der gesamte Sommer dieses Jahres liegt unter den Top 3 der Tabelle. In der Tundra bleibt immer öfter der Schnee aus, und seine Gesamtlagen werden dünner, melden Rentierzüchter aus Lappland und schwedische Meteorologen. Und während das eigentlich feuchte Amazonasbecken über Monate unter der schlimmsten Dürre seit Menschengedenken litt, rauschten niemals zuvor mehr Wirbelstürme durch die Karibik sowie die schriftlich fixierte Wettergeschichte der Vereinigten Staaten als 2005.

"Die Gehalte wichtiger Treibhausgase sind seit Beginn der Industriellen Revolution dramatisch gestiegen. Es gibt keinen Zweifel, dass dies vom Menschen verursacht wurde"
(Edward Brook)
Das Klima scheint offenkundig im Aufruhr, und weltweit warnen zunehmend mehr Klimatologen, Politiker und natürlich auch Umweltschützer vor der fatalen Rolle, welche die industrialisierte Menschheit scheinbar darin spielt. Doch hängt das wirklich mit dem unmäßigen Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan zusammen? Oder liegt dem nicht zu leugnenden Anstieg der globalen wie regionalen Durchschnittstemperaturen und der schmelzenden Gletscher nicht vielleicht doch so etwas wie eine natürliche Schwankung zugrunde?

Um der Frage nach den Gaskonzentrationen in der Atmosphäre im Laufe der Jahrmillennien nachzugehen, werfen Geologen und Klimatologen bevorzugt einen Blick in Eisbohrkerne aus grönländischen oder antarktischen Gletschern. Bei der druckgesteuerten Bildung ihrer Eisschichten aus Schnee schließen sie auch darin enthaltene Luftbläschen ein, deren Gasgemisch so über die Jahrtausende exakt erhalten bleibt. Je tiefer die Wissenschaftler dabei bohren, desto tiefer stoßen sie in die klimatische Vergangenheit des Planeten vor.

Eisbohrkern | Der Schnitt durch einen Eisbohrkern zeigt die eingeschlossenen Luftblasen.
Ein besonders langer Blick zurück in die Atmosphärengeschichte gelang nun einer Forschergruppe um Urs Siegenthaler von der Universität Bern [1]. Im Rahmen des Europäischen Projekts für Eiskernbohrungen in der Antarktis (EPICA) konnten sie die bislang weltweit ältesten Daten aus dem mächtigen und vor allem stabilen Eisschild – genannte Dome C – im Osten des Südkontinents bergen: 650 000 Jahre in Luftblasen umfasst nun ihre ununterbrochene Zeitskala – 210 000 Jahre mehr als bislang.

Daraus entwickelten sie eine Klimachronik des Pleistozäns, die mindesten die vier letzten globalen Eiszeiten umfasst. In diesem gesamten Zeitraum überstiegen jedoch die Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre niemals die gegenwärtigen aus der Ära der wirtschaftenden Menschen – im Gegenteil: Jetzt schon liegt die Konzentration von etwa 380 ppm (parts per million) pro Volumeneinheit um 27 Prozent über dem höchsten Stand aus den Jahrhunderttausenden zuvor, und sie steigt rapide weiter. Ähnliches gilt für Methan und Stickoxide, deren Gehalte in der Luft ebenfalls seit Beginn der industriellen Revolution drastisch nach oben gegangen sind. Niedrige Methan- oder Kohlendioxidwerte waren außerdem immer konstant mit niedrigeren Temperaturen verbunden.

In Kombination mit anderen Daten – etwa Meeressedimenten oder Pollendiagrammen – lassen sich mit den Luftbläschen Klimawechsel aus der Vergangenheit besser einordnen und so womöglich zukünftige Ereignisse prognostizieren. Und diese "Wettervorhersagen" sind durchaus unerfreulich für die Menschen. Denn mit raschen Veränderungen der Kohlendioxid- oder Methangaskonzentrationen waren in der Vergangenheit auch immer gravierende, abrupte Klimaumwälzungen verbunden – etwa Temperatursprünge um 15 Grad Celsius innerhalb weniger Dekaden.

Im Gefolge dieser Aufheizung schmolz soviel Gletschereis ab, dass der nördliche Ast des Golfstroms abriss und Europa in kurzer Zeit ein Klima wie weiten Teilen Kanadas bescherte. Der plötzliche Süßwassereintrag ließ die so genannte thermohaline Zirkulation abreißen, die das "Ansaugen" warmen Meerwassers aus den Tropen ins Polarmeer bewirkt. Und das alles geschah wohlgemerkt bereits auf niedrigerem Treibhausgasniveau als heute, so die Forscher.

"Der beschleunigte Meeresspiegelanstieg ist eindeutig ein junges Phänomen"
(Kenneth Miller)
Weniger dramatisch, aber dennoch offenkundig zeigt sich gegenwärtig schon der Anstieg des Meeresspiegels, der sich nach Aussagen von Wissenschaftlern um Kenneth Miller von der Rutgers-Universität mittlerweile doppelt so schnell vollzieht wie noch vor 150 Jahren [2]. Die Geologen widmeten sich ebenfalls Bohrkernen, allerdings jenen aus den Meeressedimenten vor der amerikanischen Ostküste. Sie analysierten in den 500 Meter tief reichenden Proben die enthaltenen Gesteinsmaterialien, Fossilien sowie Isotopenverhältnisse, die insgesamt 100 Millionen Jahre Erdgeschichte umfassen.

Über den gesamten Zeitraum hinweg kam es natürlich immer wieder zu – teils beträchtlichen – Meeresspiegelschwankungen: Während der Eiszeiten zog sich das Wasser zurück, in den Warmzeiten breitete es sich wieder aus. Diese Wechsel gingen mitunter geologisch rapide innerhalb weniger tausend Jahre vonstatten. Auch gegenwärtig befinden wir uns wieder in einer Warmphase, und entsprechend steigen die Meere. Was aber während der letzten 5000 Jahre bis etwa 1850 konstant im Ein-Millimeter-Bereich pro Jahr lag, hat sich nach Beginn der Industrialisierung verdoppelt: Heute beträgt der Zuwachs durchschnittlich zwei Millimeter jährlich – punktgenau vermessen durch scharfe Satellitenaugen.

Das erscheint auf dem ersten Blick wenig, doch verbergen sich dahinter enorme Mengen Wasser. Und es handelt sich um einen globalen Querschnitt: In einigen Gebieten nimmt die Meereshöhe stärker zu als in anderen. Überall bedeutet dies jedoch eine wachsende Belastung für die Deiche und höheren Wellengang.

Doch trotz der weiter wachsenden Anzeichen für den globalen Klimawandel hat zumindest die Studie von Miller etwas Tröstliches: Meeresspiegelschwankungen um 50 bis 100 Meter wie während der späten Kreidezeit stehen uns gegenwärtig nicht bevor. Sie wurden jedoch auch nicht vom Klima verursacht. Auslösen konnten so etwas nur gewaltige tektonische Veränderungen wie eine geringere Produktion von Ozeanboden entlang der Mittelozeanischen Rücken-– für die es auf absehbare Zeit keine Anzeichen gibt.

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