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News: Ein Opfer für die Wissenschaft

Gentherapie - von einigen Wissenschaftler wird sie als Allheilmittel für viele Krankheiten gefeiert, manche Betroffene legen in sie ihre letzte Hoffnung. Doch gleichzeitig werden auch Warnungen laut vor unvorhersehbaren Folgen. Traurige Unterstützung erhalten diese Stimmen nun durch den überraschenden Tod eines Patienten, der freiwillig an einer klinischen Studie teilgenommen hatte. Er ist das erste Opfer, das definitiv nicht an den Folgen der Krankheit, sondern an der Therapie starb.
Der junge Mann litt an einer genetisch bedingten Störung der Leberfunktion, bei der das Enzym Ornithin-Transcarbamylase (OTC) in nicht ausreichender Menge hergestellt wird. Die Folge ist eine Störung des Aminosäurestoffwechsels, so daß im Laufe des Proteinabbaus unter anderem Ammoniak nicht zu Harnstoff umgebaut wird und sich stattdessen im Blut anreichert (Hyperammonämie), was zu schweren Gehirnschädigungen und Tod bereits im Kindesalter führen kann. Die Behandlung der Betroffenen erfordert eine eiweißfreie Diät und Medikamente, die allerdings schwere Nebenwirkungen aufweisen.

In der Studie am Institute for Human Gene Therapy der Universität of Pennsylvania wurden 18 Patienten mit einer experimentellen Gentherapie behandelt. Sie alle erhielten unterschiedliche Konzentrationen eines genetisch manipulierten Adenovirus, mit dem das Gen für OTC in die Zellen eingeschleust werden sollte. Der 18jährige Jesse Gelsinger bekam die höchste Dosis verabreicht. Am Tag nach der Infusion setzte zunächst die Leber aus, innerhalb weniger Stunden folgten alle anderen Organe – auch das Gehirn. Am vierten Tag wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt, da keine Hoffnung mehr auf eine Genesung bestand. Alle anderen 17 Patienten zeigten dagegen keine bemerkenswerten Probleme, bei einigen verbesserte sich sogar der Zustand.

Bisher sind die Wissenschaftler noch ratlos, was den Tod von Gelsinger verursacht hat. Manche Forscher vermuten, daß eventuell sein Immunsystem zu heftig auf die Viren reagiert haben könnte, denn Gelsinger unterschied sich in einem – vielleicht wesentlichen – Punkt von den anderen Probanden: Seine Krankheit beruhte auf einem Defekt, der erst nach der Befruchtung während der ersten Zellteilungsstadien auftrat. Damit waren nicht alle seine Leberzellen geschädigt. Normalerweise wird das defekte Gen von der Mutter an den Embryo weitergegeben, womit allen Leberzellen das fehlerhafte Gen besitzen. Alle weiteren klinischen Versuche wurden nun vorerst gestoppt und sollen erst fortgesetzt werden, wenn die Todesursache geklärt ist. Mit einem Ergebnis rechnen die Wissenschaftler aber erst in mehreren Wochen.

Das tragische Ereignis hat in der Presse in den USA eine Diskussion ausgelöst. Zum einen kritisieren manche Forscher, daß bei diesem Experiment den Versuchspersonen die genetisch manipulierten Adenoviren direkt in die Blutversorgung der Leber gespritzt wurden. Es ist bekannt, daß diese Viren eine heftige Reaktion des Immunsystems auslösen können. Außerdem fragen sich viele, warum an dieser Studie Menschen teilgenommen haben, die selbst relativ geringe Beschwerden haben. Meist wird Gentherapie erst eingesetzt, wenn alle anderen konventionellen Methoden versagen. Auch die Adenoviren als Transportmittel werden in Frage gestellt. Schon 1993 war eine Studie zu gentherapeutischen Maßnahmen bei Mukoviszidose abgebrochen worden, weil einige der Versuchsteilnehmer eine Lungenentzündung bekamen.

Für Ron Crystal vom Cornell Medical Center in New York macht es keinen Unterschied, ob an Adenoviren oder an anderen Medikamenten geforscht wird. "Es gibt immer tragische Lektionen, aber es ist der einzige Weg, um vorwärts zu kommen", meint er. Auch er arbeitet mit Adenoviren, und hat bei Dosierungen, die nur ein Hunderstel von dem betragen, was Gelsinger verabreicht wurde, noch nie Probleme gehabt.

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