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Turkanasee: Ein Welterbe wird trockengelegt

Ein äthiopischer Staudamm gräbt dem Turkanasee in Kenia das Wasser ab. Das gefährdet nicht nur das Welterbe: Es drohen auch Konflikte zwischen Nomaden und Bauern.
Endzeitstimmung am Turkana-See

Dieser See in Ostafrika besitzt viele Namen: Rudolfsee, zu Ehren eines österreichischen Kronprinzen; nach dem Ende der Kolonialzeit Turkanasee, benannt nach der zahlenstärksten Volksgruppe an seinen Ufern. Die Turkana wiederum nennen ihn Anam Ka'alakol, den See der vielen Fische.

Die Menschen im Grenzgebiet zwischen Kenia und Äthiopien haben wenig, von dem sie leben können. Der See und seine Zuflüsse sind fast alles, was sie besitzen – ein relatives Paradies in einer der ärmsten Regionen Ostafrikas, das 1997 zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Schon damals galt der Turkanasee als gefährdet: Der Wildbestand in den drei geschützten Nationalparks rund um seine Ufer nimmt seit Jahrzehnten ab. Auch die ertragreichen Fischgründe im See schwinden mittlerweile.

Ein Staudamm am Omo

Und nun wächst am Omo eine weitere Gefahr heran: Der Fluss ist der wichtigste Zustrom des Turkanasees, der selbst gar keinen Abfluss besitzt. Schon heute verdunstet hier mehr Wasser als zuströmt und ziehen sich die Ufer zurück, weil zum Beispiel Bewässerungsfeldbau dem See lebensnotwendiges Nass entzieht. Doch selbst der verbliebene Zustrom könnte schon bald verrinnen: Rund 200 Kilometer weiter nördlich des Binnengewässers wächst unaufhaltsam eine 240 Meter hohe Staumauer in das Omotal hinein.

Endzeitstimmung am Turkanasee? | Die Lebensbedingungen im Norden Kenias sind harsch: Dürren suchen die Region an der Grenze zu Äthiopien immer wieder heim. Noch ist der Turkanasee eine zuverlässige Wasserquelle, doch sie versalzt zunehmend.

Der Gilgel Gibe III ist ein Mammutprojekt. Als zweitgrößter Damm Afrikas würde er Äthiopiens Stromproduktion vervielfachen und böte damit enorme Entwicklungschancen für die Region, rechtfertigt sich Äthiopiens Regierung. Befürchtungen am überwiegend kenianischen Turkanasee seien dagegen unbegründet. Der Damm werde endlich den unberechenbaren Fluten ein Ende bereiten: Jedes Jahr zur Regenzeit brechen die Wassermassen über das Flusstal herein. Der Damm sei zudem ein reines Stromprojekt – Äthiopien plane lediglich das Wasser gut reguliert weiterzuleiten, ohne es zu anderen Zwecken abzuzweigen. Außerdem schätzt die Regierung die Risiken der sauberen Wasserkraft als gering ein: Eine Studie über die Umweltverträglichkeit des äthiopischen Energieunternehmens EEPCO erklärte den Damm für "in sozialer und ökologischer Hinsicht nachhaltig".

Hier widersprechen internationale Fachleute allerdings vehement, allen voran der kroatische Nationalparksexperte Goran Gugic, der im März für die UNESCO in Sachen Turkana nach Kenia reiste. "Der Omo ist für die wüstenhafte Klimazone ein typischer Fluss", sagt er. Er liefere nur während der Regenzeit wirklich viel Wasser, worauf sich nicht nur das gesamte Ökosystem am Unterlauf eingestellt habe, sondern auch die ortsansässigen Hirtenstämme. Insgesamt 16 Volksgruppen leben entlang des Omotals und am Turkanasee. Für einen Großteil dieser halben Million Anwohner sind die Fluten kein Grauen, sondern ein Segen. Geht das Wasser zurück, hinterlässt es für einige Zeit fruchtbares Schwemmland. Jede Familie einer Dorfgemeinschaft hält jeweils an die örtlichen Bedingungen angepasste Samen von Hirse oder Mais vorrätig, die dann in verschieden feuchten Böden gedeihen können. Weiter stromabwärts treiben Stämme ihr Vieh in die kurz erblühende Wüste.

Dieses Leben dürfte mit Gilgel Gibe III schlagartig enden. Zwar verspricht Äthiopiens Stromunternehmen, weiterhin in der gewohnten Jahreszeit mehr Wasser durch seine Turbinen zu jagen. Diese künstliche Flut sei sogar besser, weil die Wassermassen nun völlig berechenbar kommen und gehen würden. Doch ein Blick auf vergleichbare Ankündigungen in Afrika verheißt wenig Gutes: Beim nigerianischen Staudamm Bakolori etwa war nach dem Bau 1978 die Stromproduktion wichtiger als ebenfalls angekündigten Flutungen. Für die schwer berechenbare Trockenzeit muss das Staubecken ausreichend gefüllt bleiben, damit die Turbinen weiterhin Strom produzieren können.

Ein See stirbt

Längst hat das entstehende, 150 Kilometer lange Staubecken im trockenen Nordosten Afrikas weitere Begehrlichkeiten geweckt. Entgegen der äthiopischen Zusicherung soll nämlich sehr wohl Wasser daraus abgezapft werden. Aus einer Studie der "äthiopischen Behörde zum Schutz der Wildtiere" geht hervor, dass auf beiden Seiten des Omos 250 Kilometer lange Bewässerungsgräben geplant sind, um dadurch 150 000 Hektar Naturlandschaft in Zuckerrohrplantagen umzuwandeln. Die dafür notwendige Wassermenge würde ein Viertel des vorhandenen Omowassers entziehen – was den Spiegel des Turkanasees um bis zu 20 Meter absenken könnte.

Doch selbst wenn sich diese Pläne nicht umsetzen lassen: Der Stausee am Gilgel Gibe III wird auf einer Länge von 150 Kilometern das ehemalige Flusstal auffüllen. Auf einer so gewaltigen Fläche verdunstet zwangsläufig viel Wasser, das sonst zum Turkanasee geflossen wäre. Die UNESCO-Experten sorgen sich aber vor allem um das Weltnaturerbe selbst. Denn die Studie über mögliche Umweltschäden endete kurzerhand an der Grenzen Äthiopiens. Angefertigt von der italienischen Baufirma Salini Costruttori konzentrierten sich die Überlegungen nur auf das dünn besiedelte Umfeld des Staubeckens.

Der Turkanasee wurde dagegen gar nicht betrachtet: Hier können sich die Stämme der Turkana, Gabbra oder Daasanach seit Jahrhunderten mit Fisch versorgen; trotzdem hat der See bis heute seine einmalige Fauna behalten. Sieben von 47 Fischarten gibt es nur hier: Darunter mehrere farbenfrohe Riffbarsche, Strahlenflosser oder afrikanische Salmler. Im flachen Wasser räkeln sich Nilkrokodile in einer der größten Kolonien der Welt. Im Omomündungsdelta an der Nordseite des Sees lassen sich jedes Jahr zehntausende Zugvögel nieder: Es gilt als eines ihrer wichtigsten Rastplätze in Kenia auf dem Weg in die südliche Hemisphäre.

Turkanasee aus der Luft | Seit Längerem schrumpft der Turkanasee – unter anderem, weil weniger Wasser durch den Fluss Omo aus Äthiopiens Bergen hineinströmt. Ein großes Staudammprojekt droht nun diese Mengen weiter zu verringern.

Diese Landschaft ist bereits ohne den Damm am Omo gefährdet: Das Gewässer ist in den vergangenen Jahrzehnten wegen der Verdunstung immer salziger geworden. Aber offenbar konnte das Ökosystem diesen Effekt bislang abmildern, weil es im Rahmen daran angepasst ist. Für die am See lebenden Stämme wird das Leben aber schon heute immer schwieriger, denn sein Wasser ist zwar noch trinkbar, aber mittlerweile kaum noch zu genießen.

Durch die zunehmend schlechteren Fischfänge und das verwüstende Weideland nimmt die Armut und somit der Druck auf die geschützten Nationalparks der Region zu: Giraffen und Grevyzebras sterben langsam aus. "Im Sibiloi-Nationalpark am Ufer des Turkanasees hat der Weidedruck durch die Viehherden der ziehenden Hirtenstaemme bereits stark zugenommen", beschreibt Goran Gugic die aktuelle Lage. Der absehbare Wassermangel durch den Staudamm werde schließlich noch mehr Hirten der vielfach nomadisch lebenden Stämme am Omo in die kenianischen Schutzgebiete am See treiben. Zudem drohen Konflikte zwischen Nomaden und ansässigen Bauern.

Naturerbe retten

Eine letzte Hoffnung liegt nun auf dem Welterbekomitee und der UNESCO, die Druck auf Äthiopien ausüben sollen. Das könnte die Geldgeber des Gilgel Gibe III zum Einlenken zwingen, deren Reihen sich bereits stark gelichtet haben. Ursprünglich hatten die Afrikanische Entwicklungsbank, die Weltbank und die Europäische Investitionsbank Kredite für den 1,5 Milliarden Euro teuren Damm zugesagt. Mittlerweile sind nur noch zwei chinesische Investoren geblieben. Äthiopiens Ministerpräsident ist sich sicher, den Damm mit den verbliebenen Geldgebern fertig stellen zu können: Sein Land dürfe das allemal, da der Staat seiner schnell wachsenden Bevölkerung kaum sein Recht auf Entwicklung verwehren könne.

Dabei gibt es klare Anzeichen dafür, dass der Staudamm nicht ausschließlich im Interesse des äthiopischen Volks beschlossen wurde. Eine Ausschreibung für das lukrative Projekt hat es nie gegeben. Die Baufirma Salini Costruttori hatte schon einen Teil der Arbeiten abgeschlossen, bevor überhaupt Studien über soziale und ökologische Auswirkungen veröffentlicht wurden – einer der Gründe, warum die meisten Banken ihr Engagement einstellten.

Auch die Chancen für eine Entwicklung der Region seien viel zu einseitig betrachtet worden: "Es wurde bisher nur auf die Energiegewinnung geschaut", beschreibt Goran Gugic das Problem. Er fordert, zunächst alle Interessenträger in der Region zwischen Äthiopien, Kenia und dem Südsudan zusammenzubringen. Bei möglichen Entwicklungschancen sollte die Rolle von Natur und Wasser eine größere Rolle spielen.

Selbst beim Bau umweltfreundlicher Kraftwerke gäbe es alternative Konzepte: Denn Äthiopien bietet wie Kenia gute Chancen für Energie aus Geothermie. Gleichzeitig könnten entlang von Flüssen kleinere Laufwasserturbinen installiert werden, die deutlich weniger in den Wasserhaushalt eingreifen. Ihr theoretisches Potenzial liegt allein in Äthiopien gut 30-mal höher als seine aktuelle Stromproduktion – und sie könnte dabei helfen, die Lebensgrundlage in einer wasserarmen und schon heute instabilen Region zu bewahren.

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