Direkt zum Inhalt

Mikrobiologie: Eine Frage der Kosten

Manche Bakterien nutzen ihre Nahrung so schlecht, dass von ihrem "Stoffwechselmüll" noch andere Mikroben gut leben können. Warum diese Ineffizienz? Wäre es nicht besser, auch das letzte Quäntchen Energie aus der Nahrung zu pressen? Die Antwort könnte schlicht lauten: Zu teuer!
Wenn der Kamin nicht richtig zieht, bleibt jede Menge Asche und angekohltes Holz zurück. Ähnlich ineffizient gehen manche Bakterien mit ihrem Brennstoff um – beispielsweise die so genannten Nitrifizierer: Sie "verbrennen" Ammoniak zu Nitrit. Das enthält aber immerhin noch soviel Energie, dass es einer zweiten Nitrifizierer-Gruppe als Nahrung dient: Diese setzt es zum Endprodukt Nitrat um.

Bislang wurde noch kein Mikroorganismus entdeckt, der Ammoniak direkt zu Nitrat umsetzt. Der russische Mikrobiologe Sergej Nikolajewitsch Winogradsky hatte das schon 1890 erkannt – eine gute Erklärung dafür steht jedoch immer noch aus.

Eine solche meint nun Jan-Ulrich Kreft von der Universität Bonn zusammen mit Engràcia Costa und Julio Pérez von der Autonomen Universität Barcelona gefunden zu haben. Denn kurze Stoffwechselwege können einen evolutiven Vorteil darstellen, wie Kreft erläutert: "Zunächst einmal wird jeder Stoffwechselschritt in Organismen durch ein spezifisches Zelleiweiß katalysiert, ein Enzym. Die Zellmaschinerie kann aber nur eine bestimmte Enzymmenge pro Zeiteinheit synthetisieren. Für eine Reaktionskette von fünf Schritten muss das Bakterium fünf Enzyme herstellen, bei zehn Schritten entsprechend zehn. Dazu benötigt die Zelle natürlich länger: Sie produziert in derselben Zeit von jedem Enzym weniger Kopien." Folge: Der Durchsatz durch die Stoffwechselkette sinkt.

Dazu kommt das Problem mit den Zwischenprodukten – je mehr Glieder die Stoffwechselkette hat, desto mehr Schwund: Zwischenprodukte können mit anderen Substanzen in der Zelle reagieren oder sonstwie verloren gehen.
"Zwischenprodukte verursachen Kosten"
(Jan-Ulrich Kreft)
Mitunter stören sie die geregelten Abläufe in der Zelle und wirken giftig. "Zwischenprodukte verursachen Kosten", betont Kreft. "Ein Bakterium wird daher versuchen, ihre Gesamt-Konzentration möglichst niedrig zu halten – je länger die Kette, desto niedriger die Konzentration der einzelnen Zwischenprodukte."

Das bremst den Durchsatz zusätzlich aus. Krefts Fazit: "Ein zusätzlicher Schritt lohnt nur, wenn dabei viel zusätzliche Energie herausspringt. Die Umsetzung von Nitrit zu Nitrat bringt für den Aufwand einfach nicht genug ein." Nitrifizierer, die sich die Arbeit teilen, wachsen daher schneller als "Komplett-Verwerter" und setzen sich normalerweise durch – und das, obwohl sie so schlechte Futterverwerter sind.

Wenn Nahrung ein knappes Gut ist, können sich Bakterien diesen Luxus aber nicht leisten. Das ist beispielsweise in Biofilmen der Fall – Bakterienbeläge, wie sie auf Steinen in Flüssen oder Kläranlagen vorkommen. Die Mikroben in derartigen Schichten sind relativ unbeweglich; zudem hält sich das Nahrungsangebot gerade in tieferen Bereichen in Grenzen. Wenn nun ein Bakterium die Nahrung unvollständig nutzt, um dadurch schneller wachsen zu können, setzt es mehr Nahrung weniger effizient um, weshalb in seiner Umgebung die Nährstoffkonzentration stärker abnimmt: Seinen Nachbarn – die ja durch Teilung aus ihm hervorgegangen sind – und ihm selbst droht die Hungersnot.

"Spar-Bakterien", die durch längere Stoffwechselwege langsamer wachsen, dafür aber effizienter mit den Ressourcen umgehen, lassen für ihre Nachbarn dagegen mehr übrig. In Biofilmen sollten Komplettverwerter daher einen Selektionsvorteil haben, weil sie noch das letzte Quentchen Energie aus ihrer Nahrung herauskitzeln. "Um Bakterien zu finden, die den kompletten Weg vom Ammoniak zum Nitrat katalysieren, muss man wahrscheinlich in Biofilmen suchen", meint Kreft.

Die Mikrobe Holophaga foetida zeigt, dass die Wissenschaftler Recht haben könnten. Der "stinkende Komplettverwerter" – so die deutsche Bezeichnung – verwertet ringförmige Kohlenstoff-Verbindungen und nutzt dazu einen relativ langen Stoffwechselweg. Holophaga wächst langsam und kommt vor allem in Sedimenten vor, wo er wahrscheinlich in Biofilmen lebt. Er hat zwei Konkurrenten, die denselben Prozess arbeitsteilig in zwei Schritten durchführen. Diese vermehren sich schneller als Holophaga, sind aber dennoch seltener – eventuell wegen der schlechteren Futterverwertung.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.