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Forstwirtschaft: Eine Menge Holz

Bis zum Jahr 2020 soll in Deutschlands Wäldern deutlich mehr Holz geschlagen werden. Ob das ökologisch sinnvoll und überhaupt möglich ist, bleibt umstritten.
lichter sommerlicher Buchenwald

Es gilt als Dreh- und Angelpunkt der Energiewende: Holz hat einen hohen Brennwert und eignet sich, daraus Wärme und Strom gleichermaßen zu gewinnen. Es wächst immer wieder nach und bindet einen Großteil des Kohlendioxids, das bei der Verbrennung frei wird: Es ist also praktisch klimaneutral. Und naturnah angebaut, kann es dabei helfen, die Artenvielfalt zu erhalten.

Doch die Nachfrage ist mittlerweile wieder so groß, dass der Rohstoff knapp wird: Holz deckt schon heute über 60 Prozent der regenerativ gewonnenen Primärenergie. Deutschlandweit laufen über elf Millionen Kaminöfen, Scheitholzkessel und Pelletheizungen. Sie verbrauchten 2009 rund 28 Millionen Kubikmeter Holz, überwiegend noch aus Quellen, die für die klassische Holzindustrie sowieso nicht geeignet gewesen sind. Denn viele Verarbeiter von Bau- oder Möbelholz fordern höhere Qualität.

In den kommenden Jahren wird es jedoch enger auf dem Holzmarkt. Der Energiekonzern Vattenfall etwa will bis 2019 zwei große Biomassekraftwerke betreiben, um damit ein konventionelles Braunkohlekraftwerk zum Teil zu ersetzen. Allein dafür benötigt der Konzern jedes Jahr dann 1,3 Millionen Tonnen Holzhackschnitzel.

Holzpellets | Mehr und mehr Neubauten werden mittlerweile mit Holzpelletheizungen statt herkömmlicher Heizöl- oder Gasbrenner ausgestattet. Sogar einzelne Kraftwerke arbeiten bereits in größerem Maßstab mit dem ewig jungen Rohstoff Holz.

Im September 2011 stellte die Bundesregierung deshalb eine neue Waldstrategie vor, die vorsieht, deutlich mehr Holz zu schlagen. Demnach sollen die Waldbesitzer zwar nach den Regeln der Nachhaltigkeit nicht mehr ernten, als jedes Jahr nachwächst. Das theoretische Potenzial jedoch sollen sie möglichst voll ausschöpfen. Das bedeutet, dass die Holzernte in den kommenden neun Jahren um 40 Prozent zulegen müsste.

Mehr Wachstum, mehr Holzeinschlag

Zumindest bisher konnte der Holzeinschlag in den meisten Forsten problemlos ansteigen. Verantwortlich dafür ist die derzeit sehr günstige Altersstruktur der Wälder: Nach dem Kahlschlag während des letzten Kriegs und für Reparationen danach wurde massiv aufgeforstet, wodurch heute die Mehrzahl der Bäume ihre besten Jahre erreichen: Der Durchschnittsbaum – eine 50 Jahre alte Fichte – steht in der produktivsten Phase ihres Lebens. Doch schon bald wird sie in ihre zweite Lebenshälfte übertreten, wo sie deutlich langsamer emporstrebt. Danach sinkt allmählich auch die Zahl der Erntefestmeter, die aus den Wäldern entnommen werden kann.

Deshalb warnen nicht nur Umweltschützer, sondern auch Forstwirte davor, den Einschlag wesentlich zu erhöhen. Denn die Wachstumszyklen der Wälder dauern Jahrzehnte, und nur sie bestimmen, wie viel Holz ihnen nachhaltig entnommen werden kann. "Man hat in der Vergangenheit weniger genutzt, als nachgewachsen ist", sagt Hermann Spellmann, der die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen leitet. "Wegen des günstigen Altersaufbaus der Bestände lässt sich der Holzeinschlag in den kommenden Jahren zwar weiter erhöhen, müsste danach aber wieder zurückgefahren werden."

Noch mehr Biomasse aus den Wäldern

Zumindest denkbar wäre es also, dass Forstwirte ihren Ertrag zukünftig maximieren – ein Ansatz, der lange Zeit in Mode war, immerhin pflanzten sie noch vor wenigen Jahrzehnten fast ausschließlich Kiefern und Fichten. Diese Nadelbäume produzieren mehr Holz als viele Laubbäume und lassen sich schneller ernten. Dafür sind die Monokulturen jedoch anfälliger gegenüber schweren Stürmen und Schädlingen.

Deutlich schneller ließe sich das Ertragsziel erreichen, wenn man ab sofort nicht nur die Stämme, sondern auch die Kronen der Bäume vollständig nutzen würde. Denn Reisig, Rinde, Nadeln und Blätter enthalten über ein Fünftel der gesamten Biomasse eines Baumes, aus der sich etwa Holzhackschnitzel herstellen ließe. Doch anders als im Stammholz stecken in der Krone auch deutlich mehr Nährstoffe, die der Baum während seines Lebens dem Boden entzogen hat. Wenn die zurückgelassenen Kronen nun nicht mehr auf dem Waldboden verrotten, werden dem Ökosystem dauerhaft Stickstoff, Phosphor oder Kalium entzogen, die dann ebenso anderen Arten fehlen dürften.

Der Göttinger Forstwissenschaftler Hermann Spellmann sieht trotzdem ein begrenztes Potenzial für die Vollbaumnutzung, deren Auswirkungen erst seit wenigen Jahren intensiver erforscht werden. Sein Institut schließt derzeit eine Studie ab, die einen kleinen Teil deutscher Waldböden als geeignet kennzeichnen dürfte. Dazu gehören Gegenden um alte Vulkanregionen wie dem hessischen Vogelsberg, die von sich aus genügend Nährstoffe bereitstellen. Besonders sandige Böden wie in weiten Teilen Brandenburgs kommen dagegen kaum in Frage.

Wälder im Wandel

Es ist längst nicht abzusehen, wie viele Forstwirte durch die neue Bundeswaldstrategie versuchen werden, nun alles aus den Wäldern herauszuholen. Denn nur gut die Hälfte des deutschen Forstes gehört dem Staat oder großen Körperschaften, bei denen sich die Bewirtschaftungsweise schnell umstellen ließe. Die andere Hälfte ist dagegen im Besitz von Privatpersonen, die einzeln davon überzeugt werden müssten, ihren Wäldern mehr Holz abzuringen. "Eigentlich versuchen wir gerade, von dieser Massenproduktion wegzukommen", sagt Michael Mätzold, der als Forstingenieur die Waldbesitzer dabei berät, ihre Wälder möglichst naturnah zu bewirtschaften. Er setzt wie die meisten seiner Kollegen in Deutschland wieder stärker auf den Mischwald. "Man ist sich in Fachkreisen auch gar nicht sicher, ob man durch diese angelegten Monokulturen mit engen Pflanzverbänden wirklich den Ertrag steigert."

Dieser Sinneswandel der Forstwirte ist auch ein Erfolg von Umweltverbänden, die wiederum auf die Vorteile für die Waldbesitzer verweisen. Denn naturnah bewirtschaftete Mischwälder gelten als besonders widerstandsfähig, weil sie weniger stark von Schädlingen, Sturmschäden und dem Klimawandel betroffen sind. Gleichzeitig siedeln sich in ihnen deutlich mehr Tier- und Pflanzenarten an als in reinen Monokulturen aus Fichten. Eine besonders artenreiche Flora und Fauna bildet sich aber erst, wenn viel Altholz liegen gelassen wird und am Waldboden verrottet – und wenn die Bäume ein hohes Alter erreichen dürfen, bevor sie gefällt werden. Die Rinde der Rotbuche etwa wird erst in einem Alter von 200 Jahren von diversen Moos- und Flechtenarten besiedelt, weil sie dann immer runzeliger wird. Doch in diesem Alter hat sich ihr Wachstum schon so stark verlangsamt, dass es sich für den Forstwirt kaum lohnt, sie so lange stehen zu lassen.

Naturschutzverbände fordern deshalb, einen kleinen Teil der deutschen Wälder völlig unbewirtschaftet zu lassen, so dass auch mehr ältere Bäume erhalten bleiben. Zumindest für fünf Prozent aller Waldflächen und zehn Prozent der Wälder in Staatsbesitz soll das sogar offiziell ab 2020 gelten, wenn die von der Bundesregierung unterzeichnete Konvention über die Biologische Vielfalt in Kraft tritt. Dies passt allerdings kaum zusammen mit dem Ziel, den Wäldern mehr Holz abzuringen. Die Waldstrategie benennt zwar ein Spannungsfeld zwischen intensiver Forstwirtschaft und biologischer Vielfalt, das "entschärft und aufgelöst werden" soll. Doch überzeugende Ideen dafür liefert sie nicht: "In dem Moment, wo wir stärker und massiver Holz einschlagen, sehen wir, dass parallel diese alten Waldflächen unter Druck geraten und verschwinden", fürchtet deshalb auch Jörg-Andreas Krüger vom Naturschutzbund Deutschland.

Mehr Rohstoff aus Holz

Einen Teil des Mehrbedarfs könnten vielleicht Holzplantagen schultern. Statt Getreide pflanzen Landwirte dafür speziell gezüchtete Pappeln und Weiden auf ihre Äcker, die schon nach wenigen Jahre erntereif sind. Dagegen brauchen schnell wachsende Fichten aus Nutzwäldern Jahrzehnte, bis sie gefällt werden können. Auch weil solche Kurzumtriebsplantagen mit der Nahrungsproduktion konkurrieren, spielen sie heute in der Holzstatistik noch keine Rolle. Dabei gibt es Ideen, wie der Konflikt mit dem Teller gelöst werden könnte. Denn es existiert viel ungenutztes Weideland in Deutschland, weil Schafe und Kühe heute immer mehr Kraftfutter konsumieren.

Dieses Grünland könnte teilweise zu Holzplantagen umgewidmet werden, schlagen deshalb die Befürworter wie der Forstwissenschaftler Albrecht Bemmann von der Technischen Universität Dresden vor. Eigentlich lieferten die Wiesen zwar wichtige ökologische Nischen, prägten vielerorts das Landschaftsbild und speicherten außerdem Kohlenstoff. Doch ein kleiner Teil mit eher geringem ökologischem Nutzen ließe sich zu Plantagen umwidmen. "Unser Ansatz ist es, die gleichen ökologischen Leistungen mit Plantagen zu bringen", sagt Bemmann. Denn auch in ihnen könnten sich viele Arten zurückziehen – anders als auf Weiden sogar im Winter. Es werde der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen, und verglichen mit Ackerland müssten viel geringere Düngermengen ausgebracht werden.

Am Ende jedoch dürften selbst massiv ausgebaute Holzplantagen den zu erwartenden Engpass nur abmildern können. Zu groß ist der Bedarf nach immer mehr Energieholz: Denn neben Heizwärme und Strom dürfte es in wenigen Jahren möglich sein, auch Kraftstoffe wie Ethanol verstärkt aus Holz herzustellen. Deshalb sagt das Deutsche Biomasse-Forschungszentrum voraus, dass im Jahr 2020 rund 35 Millionen Kubikmeter Holz auf dem deutschen Markt fehlen werden. Das entspricht beinahe der Holzmenge, die zu Beginn des Energieholzbooms im Jahr 2001 insgesamt geschlagen wurde.

Die Wälder sind also in einen handfesten Interessenkonflikt geraten, der nur schwer zu lösen sein wird. Auf der einen Seite machen es naturnahe Wirtschaftsformen möglich, die Artenvielfalt in den Wäldern zu erhöhen. Andererseits wird der Bedarf an Energieholz schon in wenigen Jahren den der traditionellen Holzindustrie übersteigen. Dabei sind es gerade Möbel oder das Gebälk von Gebäuden, die der Atmosphäre deutlich länger Kohlenstoff entziehen und so den Treibhauseffekt abmildern könnten. Den wertvollen Rohstoff zuerst stofflich zu verwerten, wäre also deutlich sinnvoller, als ihn immer häufiger direkt zu verfeuern.

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