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Ökologie: Eine Nase für den Artenschutz

Von Schildkröten in Südafrika zu Schwertwalen vor der Küste Kanadas - für den Artenschutz ausgebildete Spürhunde leisten ihren Beitrag zur Erhaltung bedrohter Tierarten.
Artenschutzspürhund im Einsatz

Es ist ein regnerischer Tag in der südafrikanischen Provinz Westkap. Die Schildkröten der Region verziehen sich bei solch einem Wetter lieber in ihre Panzer. Dank ihrer Tarnmuster ist die ohnehin nur 13 Zentimeter lange Geometrische Landschildkröte dann für das menschliche Auge praktisch gar nicht mehr zu erkennen. Brin interessiert das aber wenig. Die vierjährige Hündin, ein Belgischer Schäferhund, ein Malinois, verlässt sich ganz auf ihre Nase. Brin ist eine Spürhündin, und ihre Spezialität sind Landschildkröten.

Aufgeregt durchstöbert sie die niedrigen Büsche im Naturschutzgebiet des Elandsbergs. Der dortige Vegetationstyp wird als Renosterveld bezeichnet und stellt das einzige Umfeld dar, in dem sich die Geometrische Landschildkröte wohl fühlt. Diese Vorliebe wird dem Reptil zunehmend zum Verhängnis. Am fruchtbaren Boden, auf dem das Renosterveld gedeiht, sind auch die Wein- und Getreidebauern des Kaps interessiert. So haben Farmen bereits 90 Prozent dieser Vegetation verdrängt. Die nur im Westkap heimische Geometrische Landschildkröte machte das zu einer der am stärksten gefährdeten Reptilienarten der Welt. Es wird geschätzt, dass nur noch weniger als 1000 Exemplare existieren.

Brins Verhalten verändert sich plötzlich. Ihr Schwanz steht kerzengerade in der Luft, und sie rennt zu einem Busch. "Das sind die Zeichen, auf die wir als Hundeführer achten müssen", sagt Vicki Hudson, Koordinatorin für Ökologie bei der Naturschutzorganisation CapeNature. Sie war es, die Brin in monatelanger Arbeit als ersten Artenschutz-Spürhund Südafrikas ausgebildet hat.

Gut gemacht! | Vicki Hudson belohnt die Hündin Brin, die eine kleine Geometrische Landschildkröte aufgespürt hat, mit einem pinkfarbenen Ball. Vor allem die Aussicht auf ein Spielzeug motiviert die Hunde.

Und tatsächlich, wie im Training erlernt, legt sich die Hündin vor eine kaum erkennbare Geometrische Landschildkröte. "Schlaues Mädchen!", ruft Hudson, und ein pinkfarbener Gummiball kommt zum Vorschein, denn mit Ballspiel werden diese Spürhunde für ihre Entdeckungen belohnt. Die Biologin fotografiert die Schildkröte und notiert die GPS-Koordinaten des Funds. So entsteht eine Datenbank, in der die Reptilien dank ihrer individuellen Panzermuster genau identifiziert werden können.

Wettlauf gegen die Bulldozer

"Solche Informationen über Populationsgrößen und Vorkommen in einem geeigneten Habitat sind sehr wichtig", erläutert Hudson. Aber ohne die Hilfe der Hunde würde das Sammeln der Daten zur Mammutaufgabe. "Gerade wenn es um Arten geht, bei denen jedes einzelne Individuum zählt, darf keine Zeit mit ineffektiven Aufspürmethoden verschwendet werden."

So wie bei einer Rettungsaktion von 2013: "Damals suchten wir nach diesen Schildkröten in einem sechs Hektar großen Neubaugebiet, bevor die Bulldozer anrückten." 40 Helfer hätten viereinhalb Stunden gesucht und 28 Schildkröten gefunden, erzählt die Ökologin. Das bedeutet einen Gesamtaufwand von 180 Personenstunden – oder 6,4 Stunden pro Exemplar. Danach habe sich ein Hundeführer mit seinem Hund ans Werk gemacht. Er entdeckte zwölf Schildkröten in nur zwölf Stunden. "Wir haben die Kosten der beiden Aktionen verglichen. Das Hundeteam führt zu einer Ersparnis von 75 Prozent", sagt Hudson.

Als Artenschutz-Spürhunde bezeichnet man alle Hunde, die eigens darauf trainiert wurden, Pflanzen oder Tiere in ihrem natürlichen Umfeld zu finden oder zu identifizieren. Ihr erster dokumentierter Einsatz fand gegen Ende des 19. Jahrhunderts statt, als Neuseeländer Hunde dazu verwendeten, Kiwis und Kakapos ausfindig zu machen. Die Vögel sollten auf andere Inseln umgesiedelt werden, um sie vor den eingeschleppten Tieren auf den Hauptinseln zu retten. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam es dann zur Wiederentdeckung der Hundenase für den Artenschutz. Die Vierbeiner halfen, invasive Pflanzenarten, tote Fledermäuse in Windturbinen, Grizzlybären, Füchse, Schlafmaus-Nester und vieles mehr aufzuspüren.

Wenn es um die Eignung bestimmter Rassen für diese Aufgaben geht, verweisen die meisten Hundeführer voller Überzeugung auf die gute, alte Promenadenmischung. Am besten geeignet seien Tiere, "die mit ihrer Energie jeden normalen Besitzer in den Wahnsinn treiben", sagt Hudson. Bei der Auswahl "geht es nicht um Rassen, sondern um Bewegungsdrang und die Leidenschaft fürs Ballspielen".

Alles für den Ball

Auch Samuel Wasser weiß, wie wichtig ein Ball in der Ausbildung dieser Hunde ist. Der Direktor des Zentrums für Artenschutzbiologie (Center for Conservation Biology – CCB) an der University of Washington in Seattle gilt als Pionier in der wissenschaftlichen Arbeit mit Spürhunden. "Diese Hunde sind überdurchschnittlich aktiv, sie wollen unbedingt ihren Ball. Dafür lernen sie schnell, was von ihnen verlangt wird, und sie arbeiten unermüdlich", sagt der Biologe.

Allerdings hat Wasser eine andere wissenschaftliche Methode zur Erforschung bedrohter Arten entwickelt. Denn seine Hunde verfolgen nicht die Tiere selbst, sondern erschnüffeln deren Kot. "Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie sowohl nichtinvasiv als auch weniger anfällig für die Befangenheit des Forschers ist", erläutert er. Invasive Datenerfassung bedeutet normalerweise, dass Exemplare gefangen werden müssen. Oft sind Blut- und Gewebeproben nötig, oder Tiere werden mit Peilsendern ausgestattet. "Diese Eingriffe können dann schon für sich genommen das weitere Verhalten des Tieres beeinflussen. Sie könnten zum Beispiel die Gegend meiden, in der sie in die Falle gingen", erklärt Wasser. "Das ist alles nicht dazu geeignet, eine wissenschaftlich tragfähige, repräsentative Stichprobe zu erreichen."

Hund und wilder Vetter | In der kanadischen Wildnis suchten die Artenschutz-Spürhunde nach Wölfen und deren Hinterlassenschaften: hier der Pfotenabdruck eines Wolfs.

Seit den 1980er Jahren arbeitet Sam Wasser daher an Methoden, um wissenschaftliche Daten wie DNA-Sequenzen oder Hormonspiegel anhand von Fäkalien zu gewinnen. Es begann mit Paviankot in Tansania, in dem der Amerikaner nach Schilddrüsenhormonen fahndete. Mittlerweile kann Wassers CCB-Team sogar die Stresshormone im Kot von Eulen identifizieren, wenn in der Nähe ihrer Nester Bäume gefällt wurden.

Anfangs war sich Wasser nicht sicher, wie repräsentativ seine Proben wirklich waren. "Es ist für das menschliche Auge einfach, Paviankot zu finden, aber bei scheuen Arten ist das schwieriger. Außerdem benutzen dominante Männchen, zum Beispiel bei den Bären oder Geparden, Kot, um ihr Gebiet zu markieren, während stillende Weibchen dies nicht tun. Wir Menschen suchen immer nur dort, wo es einfach genug ist, und klettern nicht im tiefsten Buschwerk herum."

Hinterlassenschaften auf der Spur

1997 kam Wasser schließlich auf den Hund: "Ich war auf einer Konferenz im Staat Washington, auf der die Folgen eines neuen gesetzlichen Verbots diskutiert wurden. Demnach durften Schweißhunde nicht mehr zur Bären- oder Pumajagd eingesetzt werden. Ich dachte, das sind die Nasen, die ich für meine Fäkalienforschung brauche."

Doch da lag Wasser erst einmal falsch. "Ein Hundeführer sagte mir: Du brauchst keine Schweißhunde, du brauchst Drogenspürhunde", berichtet er. Der Grund: Die Nase der Vierbeiner muss in der Luft und nicht am Boden sein. "Egal ob Drogen oder Kot, der Hund muss das Ziel aus der Ferne, durch die Luft erfassen."

Im selben Jahr gründete Wasser die Abteilung "Conservation Canines" des CCB, kurz CK-9. "Wir fingen damit an, uns bei der Polizei Methoden für die Arbeit mit Drogenspürhunden abzuschauen, und sammelten Bärenkot im kanadischen Alberta", berichtet Wasser.

Seitdem hat der Biologe die DNA von Dutzenden Tieren gefährdeter Arten anhand von Fäkalienproben gesammelt, von Jaguaren im brasilianischen Hochland über Grizzlys in den kanadischen Rocky Mountains bis hin zu Kitfüchsen in der kalifornischen Mojave-Wüste. Das CK-9-Team hat über 40 Hunde, überwiegend schwierige Fälle aus Tierheimen, darin ausgebildet, den Kot von 40 verschiedenen Tierarten aufzuspüren, darunter Marder, Löwen, Wildhunde, Tapire, Iguanas, Eulen, Karibus, Tiger, Wölfe und viele andere. Ein einzelner Hund kann dabei bis zu 18 Arten unterscheiden.

Aus den so gewonnenen Kotproben lässt sich ableiten, mit welchen Problemen die jeweiligen Populationen der bedrohten Tierart zu kämpfen haben. Die Forscher können das Ausmaß der Giftstoffbelastung bestimmen, Krankheiten nachweisen und die Zusammensetzung der Nahrungsquellen. Sogar Hochrechnungen zur Populationsgröße und Erkenntnisse darüber, wie lokale Faktoren und die Ausbreitung des Menschen diese beeinflussen, sind möglich.

"Als ich Sam Wasser zum ersten Mal traf, war ich wirklich beeindruckt, wie viel er aus dem Kot ablesen konnte, ohne jemals in direktem Kontakt mit dem jeweiligen Tier gewesen zu sein", erinnert sich Heath Smith an seine erste Begegnung mit dem Forscher. "Jetzt, 16 Jahre später, bin ich derjenige, der neuen Hundeführern und Forschern erklärt, wie aufschlussreich seine Methoden sind."

Spürhunde auf dem Wasser

Smith ist der Cheftrainer der CK-9-Gruppe. Jeder der derzeit 21 Hunde und alle zehn Hundeführer, die weltweit im Einsatz sind, wurden von ihm ausgebildet. "Eine wichtige Strategie in unserer Ausbildung ist, dass wir als ein Ganzes operieren. Alle Hundeführer lernen, mit allen Hunden zu arbeiten – und umgekehrt", erläutert Smith.

Auch Tucker wurde von Heath Smith trainiert. Wie so viele andere seiner tierischen Mitstreiter stammt der schwarzhaarige Labrador-Mischling aus einem Tierheim. 2006 wurde er von CK-9 in Seattle entdeckt, sein erster Einsatz führte ihn 2008 in die Eiseskälte der kanadischen Provinz Alberta. Dort sollte er Wolfskot erschnüffeln. Ziel der Forscher war es herauszufinden, ob das Raubtier für das Schrumpfen der Karibubestände verantwortlich war. Tuckers Einsatz half zu beweisen: Nicht der Wolf, sondern der Mensch mit seiner Ölsandförderung ist schuld am Populationsrückgang.

Der inzwischen zwölfjährige Veteran kommt noch immer zum Einsatz, hat aber sein Element gewechselt. Wie ein Kapitän steht Tucker am Bug des kleinen Motorboots, das die Gewässer der Haro-Straße, einer Meerenge an der kanadischen Westküste südlich von Vancouver, abfährt. Aufgeregt starrt er in die Wellen, dann macht der Hund einen Satz vorwärts und stemmt sich mit seinen Pfoten in das Deck. Dies erinnert an Brin in Südafrika – verändertes Verhalten verrät, wo das Ziel ist. Und das Ziel ist in diesem Fall der Kot eines Orcas.

Tucker und die Orcas | Tucker und seine Betreuer müssen im Team arbeiten, wenn sie auf die Jagd nach den Ausscheidungen der Orcas gehen.

Doch auf dem Wasser gestaltet sich alles etwas schwieriger. "Tucker kann nicht einfach auf den Kot zurennen und sich davor hinsetzen oder -legen, wie das seine Kollegen auf dem Land tun", erläutert seine Führerin Elizabeth Seely. Das Duo kennt sich bereits von der Wolfforschung in Alberta und ist ein eingespieltes Team. "Die Art und Weise, wie wir auf dem Boot miteinander kommunizieren, ist fast so etwas wie ein Tanz. Tucker kommuniziert mit mir. Ich kommuniziere mit dem Kapitän. Und gemeinsam manövrieren wir das Boot zum Kot", erklärt Seely. Nach dem kleinen Satz des Labrador-Mischlings am Bug wirft der Kapitän das Ruder herum. Tucker hat die Witterung aufgenommen, und nun ist Eile geboten, denn das Geschäft eines Orcas sinkt nach rund 30 Minuten zum Meeresboden. "Die Zeichen, die Tucker mir gibt, sind sehr verschieden – manchmal ändert sich etwas in seinen Augen, sein Schwanz wedelt, die Position der Ohren wird niedriger oder höher, seine Nase zuckt, oder seine gesamte Körperhaltung auf dem Bug verändert sich", erläutert Seely.

Kilometerweite Orca-Überwachung

Auf diese Art haben die beiden in mehr als fünf Jahren rund 600 Kotproben auf dem Meer entdeckt. Tuckers Geruchssinn kann die Ziele aus fast zwei Kilometer Entfernung aufnehmen. Wenn das Boot erst einmal näher an den Kot gelangt, wird es einfacher – denn die Ausscheidung der Orcas, die sich von den gleichen Ruderfußkrebsen ernähren, die auch den Lachs ins Rötliche färben, ist oft orange. Seely fischt dann mit einer selbst gebauten Vorrichtung nach den Fäkalien, die sie "Bierglas-am-Stock" nennt. Am Horizont verschwindet währenddessen der Wal, doch das interessiert Tucker nicht mehr. Er will nun seinen Ball.

Orcas verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Zeit unter der Oberfläche, erklärt Sam Wasser. Blut- oder Gewebeproben zu nehmen, wäre darum schwer oder fast unmöglich. Mit Hunden wie Tucker lässt sich hingegen ein über 180 Kilometer langer Abschnitt der nordamerikanischen Westküste überwachen. Jährlich werden so rund 150 Kotproben verschiedener Meeressäuger zu Forschungszwecken gesammelt, die den Biologen helfen, genetische Identität, Geschlecht, Nahrung, Hormonspiegel und Giftstoffe im Körper der Tiere zu bestimmen. "Die Orcas sind vom Aussterben bedroht, wegen des Rückgangs der Königslachse, wegen Ölverschmutzung, zunehmendem Schiffsverkehr und Giften im Wasser. Alle Daten aus dem Kot stehen in direktem Zusammenhang mit diesen Problemen", sagt Elizabeth Seely.

"Die Hunde helfen uns, zu lernen und zu verstehen", sagt Cheftrainer Smith. Wer die Komplexität der Ökosysteme ignoriere, spiele ein gefährliches Spiel. "So aber retten wir Hunde aus Tierheimen, die von der Gesellschaft aufgegeben wurden, um mit ihnen Tierarten zu retten, welche die Gesellschaft zu schützen versucht."

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