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Gen-Tests: Jeder Fünfte mit unentdeckter Krankheit?

Groß angelegte genetische Untersuchungen könnten auf unentdeckte Krankheiten hinweisen. Doch womöglich schaffen sie mehr medizinische Verwirrung als Klarheit.
Genetische Untersuchung

Was würde passieren, wenn große Teile der Bevölkerung ohne konkreten medizinischen Anlass ein Gen-Screening auf Risiko- und Krankheitsgene erhalten würde? Bekommen dadurch mehr Patienten die Chance auf Vorbeugung? Oder verursachen die oft schwer zu interpretierenden Gen-Daten nicht viel eher eine belastende Ungewissheit bei den Untersuchten?

Diese Diskussion soll nun eine Pilotstudie voranbringen, für die ein Gen-Screening an 50 eigentlich gesunden Freiwilligen simuliert wurde. Der Versuch soll zeigen, mit welchen Ergebnissen zu rechnen wäre und wie die Getesteten mit der Information umgehen.

Dazu hat ein Forscherteam um Jason Vassy von der US-amerikanischen Veteranenbehörde 100 Probanden rekrutiert und sie in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt eine klassische Risikoeinschätzung auf Grund familiärer Vorbelastung, die andere zusätzlich eine komplette Sequenzierung ihres Genoms inklusive Auswertung von rund fünf Millionen Punktmutationen. Untersuchungen dieser Art sind derzeit bereits kommerziell erhältlich, die meisten Anbieter beschränken sich jedoch auf einen kleinen Satz von Risikogenen, die besonders stark mit dem Ausbruch der assoziierten Krankheit verknüpft sind, so das Wissenschaftsmagazin "Science" in einem ausführlichen Bericht von der Studie.

Bei 11 der 50 Probanden fanden die Forscher auffällige Punktmutationen, die stark mit einer seltenen Krankheit in Verbindung stehen. Allerdings zeigten nur zwei dieser Patienten bei gezielten Nachuntersuchungen die entsprechenden Symptome, schreiben die Forscher im Fachmagazin "Annals of Internal Medicine". Ob bei den übrigen die Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt noch auftreten wird oder ob die Verbindung zwischen Gen und Krankheit doch nicht so stark ist wie angenommen, bleibt zwangsläufig offen.

Alle 50 Freiwilligen trugen darüber hinaus mindestens eine krankheitsbezogene, rezessiv vererbte Mutation. Sie kann sich bemerkbar machen, wenn der oder die Betroffene mit einer Person Nachwuchs zeugt, die ebenfalls diese genetische Veränderung aufweist. In diesem Fall steigt das Risiko einer Erkrankung stark an.

Die Daten der Untersuchung führten dazu, dass mit 34 Prozent der Getesteten mehr als doppelt so viele Teilnehmer zu Nachfolgeuntersuchungen gingen als in der Gruppe, die lediglich auf Basis ihrer familiären Vorbelastung medizinisch beraten wurde. Sie gaben außerdem im Schnitt auch 350 US-Dollar mehr für ihre Gesundheit aus als die Personen der Kontrollgruppe. Die Sorge um eine übergroße psychische Belastung auf Grund der DNA-Ergebnisse hat sich allerdings als unbegründet erwiesen, zumindest in der aktuellen Untersuchung: Sechs Monate nachdem die Probanden die Ergebnisse des Gentests von ihrem Hausarzt erfahren hatten, ließen sich keine Veränderungen in ihrem psychischen Wohlbefinden dingfest machen. Über 40 Prozent von ihnen waren jedoch medizinischen Ratschlägen gefolgt und hatten ihr Verhalten geändert, gegenüber 30 Prozent in der Kontrollgruppe.

Eine eindeutige Handlungsempfehlung will das Forscherteam seiner Pilotstudie nicht entnehmen. Der klinische Nutzen der Gentests sei nach wie vor ungewiss, Gleiches gelte für die dadurch angestoßenen Nachfolgeuntersuchungen, schreiben die Wissenschaftler. Im Magazin "Science" hingegen kommentiert Christa Martin vom Krankenversicherer Geisinger Health System, die Autoren würden ihr Ergebnis "unterverkaufen". So würden die Ergebnisse ja zeigen, dass sich die Probanden von ihren Befunden zu positiven Veränderungen im Lebensstil veranlassen ließen.

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