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News: Einwanderer

Die unglaubliche Vielfalt der Buntbarsche im Victoria-See beschäftigt Forscher verschiedenster Disziplinen seit langem. Wie konnte sich in - geologisch gesehen - so kurzer Zeit und auf so engem Raum ein solcher Formenreichtum entwickeln? Oder war alles doch ganz anders?
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Ihre schillernden Farben machten sie unter Aquarianern beliebt – und ihre nahezu unübersichtliche Vielfalt weckte das Interesse von Geographen, Zoologen und Genetikern gleichermaßen. Wie konnte es sein, dass sich hunderte von Buntbarsch-Arten in ein und demselben See tummeln, der zumal vor knapp 15 000 Jahren womöglich vollständig trocken gefallen war? Zwar bedeckt der Victoria-See im Westen Kenias eine Fläche von 70 000 Quadratkilometern und ist damit etwa so groß wie Bayern, und seine Ufer sind so geschwungen, dass sich zahlreiche beinahe abgeschlossene Lagunen bilden – aber eine derart rasante und umfangreiche Artbildung wäre schon sehr außergewöhnlich für Mutter Natur.

Zunächst gingen Forscher davon aus, dass sich die mehr als 500 Arten der Gattung Haplochromis in den letzten 750 000 Jahren entwickelt haben – seit dem Bestehen des Beckens also. Molekularbiologische Studien schraubten diese Zahl allerdings auf höchstens 200 000 Jahre herunter und betonten außerdem, dass sich die gesamte Vielfalt allein im Victoria-See selbst, ohne Austausch mit den benachbarten Gewässern entwickelt habe. Die letzte Schätzung – etwa 15 000 Jahre für die Artenexplosion – klang dann derart unwahrscheinlich, dass Wissenschaftler mit alternativen Szenarien reagierten, die ein Überleben einzelner Gruppen in noch bestehenden Wasserpfützen oder Flüssen der Region voraussetzten.

Forscher um Axel Meyer von der Universität Konstanz nahmen sich nun das Erbgut von Haplochromis-Vertretern noch einmal genauer vor – und zwar nicht nur von Bewohnern des Victoria-Sees, sondern auch von den nahe gelegenen Seen Kivu, Edward, George, Albert, mehreren kleineren Seen in Uganda und Burundi sowie einigen ostafrikanischen Flüssen.

Die Ergebnisse bestätigten zunächst, dass die Vertreter der fünf großen Seen tatsächlich zu einer großen, engen Verwandtschaft gehören. Im Kivu-See stießen die Forscher zudem auf eine Art, die offenbar die Schwesterart zu diesem Artenpulk von Haplochromis-Vertretern bildet. Und – die genetische Vielfalt der Kivu-Seebewohner ist viel größer als die ihrer Verwandten im Victoria-See: Sie sind also älter als ihre Verwandten im Victoria-See. Damit kommt dem Kivu-See eine ganz entscheidende Bedeutung für die Ausbreitung der Haplochromis-Arten zu.

Die neue Besiedlungsgeschichte liest sich nun wie folgt: Ausgehend vom Kivu-See eroberten die Buntbarsche über den Edward- und den George- letzendlich den Albert-See, und zwar schrittweise mindestens viermal. Ebenfalls vom Kivu-See aus starteten auch die ersten Haplochromis-Auswanderer zum Victoria-See, gefolgt von mindestens einer weiteren Gruppe von Übersiedlern. Somit geht die Vielfalt an Buntbarschen im Victoria-See nicht auf eine einzige Gruppe von Vorfahren zurück.

Das Erbgut der Tiere zeigt auch, dass sich die Artenfülle nicht getrennt voneinander entwickelt hat, sondern bis vor mindestens 30 000 Jahren noch ein Austausch zwischen den verschiedenen Seen stattfand. Den Flaschenhals vor 15 000 Jahren hat eine der alten Linien mit einem Teil ihrer damals bereits bestehenden Artenvielfalt offenbar überstanden, denn ursprüngliche Vertreter, die vor etwa 100 000 Jahren entstanden, sind heute noch in der Fauna vertreten. Aus den alten Linien entstanden aber nach dem letzten Trockenfallen weiter Teile des Sees tatsächlich auch rasant neue Spezies.

Also liegt der Ursprung für die schillernde Vielfalt der Buntbarsche nicht im Victoria-See selbst, sondern im kleineren Kivu-See begründet: Er versorgte den größeren Nachbarn mit einer wahrscheinlich bereits diversen Zusammenstellung an Einwanderern. Warum allerdings die genetisch eintönigere Fauna im Victoria-See dann eine solche schillernde morphologische Vielfalt und Artenexplosion erlebte, während der umfangreichere Genpool im Kivu-See nur 15 Arten hervorbrachte, bleibt rätselhaft. Vielleicht bildeten die geschwungenen Ufer mit den zahlreichen Lagunen einfach doch das geeignetere Umfeld, um die Geschwindigkeit der Artbildung voranzutreiben.

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