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Polarforschung: Eisige Lady

Als die Dinosaurier noch die Erde bevölkerten, waren fast alle damals auf die Südhalbkugel konzentrierten Kontinente tropische Paradiese, und auch in der Antarktis gab es Leben satt. Warum aus ihr dann eine karge Eiswüste wurde, beschäftigt Klimatologen und Geologen seit Jahrzehnten. Jetzt brachte eine neue Untersuchung frischen Wind in diese Diskussion.
Fischzahn
Als unser Planet vom Erdmittelalter in seine Neuzeit wechselte, ging dies nur unter großen Umwälzungen vonstatten: Mit dem Ende der tropisch-heißen Kreidezeit kühlte sich das Klima deutlich ab. Die Lebewelt sah mit dem Beginn der Erdneuzeit, dem so genannten Tertiär, auch plötzlich anders aus. Und die Kontinente, die sich eben noch zum riesigen Südkontinent Gondwana zusammengeballt hatten, brachen auseinander und drifteten – bis auf das, was wir heute als Antarktis kennen – nordwärts.

Aber welcher dieser Prozesse machte vor etwa 34 Millionen Jahren aus der damals noch bewaldeten Antarktis einen lebensfeindlichen Eiskeller? Darüber gibt es in der Wissenschaft bisher keine einheitliche Meinung. Zunächst glaubte man, dass die Lage am Südpol für den Temperatursturz gesorgt hatte. Mittlerweile sind sich die Geologen jedoch einig, dass die Antarktis schon vor etwa 120 Millionen Jahren den Südpol erreicht hatte – und dennoch ließen es sich die Dinosaurier dort noch lange gut gehen. Die geographische Lage allein erklärt die spätere Kältewelle also nicht.

Mittlerweile konkurrieren zwei weitere Theorien miteinander um die beste Erklärung der südlichen Vereisung. So gab der Klimatologe Peter Barker vom British Antarctic Survey vor knapp drei Jahren auf einer Konferenz zur Geologie der Antarktis dem Verschwinden von Kohlendioxid aus der Atmosphäre die Schuld. In der Kreidezeit vorher war der Gehalt atmosphärischen Kohlendioxids unter anderem durch verstärkten Vulkanismus deutlich angestiegen und hatte damit der Erde beträchtlich eingeheizt. Im Tertiär fielen die Werte jetzt wieder zurück auf einen niedrigeren Stand. Aus Barkers Sicht führte dieser Rückgang dazu, dass in der Antarktis der Schnee nicht mehr schmolz und sich nach und nach zu einer mächtigen Eisdecke verdichtete.

Daneben buhlt die Kontinentalverschiebung als Erklärungsversuch für die antarktische Eisdecke um wissenschaftliche Anerkennung. Als nämlich Australien im Tertiär von der Antarktis abbrach gen Norden driftete und dabei den Seeweg des heutigen Südozeans freigab, habe der Westwind im Bereich des Südpols die Oberhand gewonnen und kaltes Wasser rund um den zur Halbinsel gewordenen Teilkontinent getrieben, so die Anhänger dieser Theorie. Die noch verbliebene Landbrücke zwischen der Antarktis und Südamerika habe den Ringstrom allerdings merklich abgebremst. Erst als aus diesem überspülten flachen Schelf die heutige tiefe Drake-Passage geworden wäre, hätte der neue Antarktische Zirkumpolarstrom ungehindert seine ganze Kraft entwickeln können.

Diese Seestraße hätte aber nur dann die Vereisung auslösen können, wenn sie schon vor deren Beginn tief genug war, den Inselkontinent von der Warmwasserzufuhr aus den Tropen abzuschneiden. Schätzungen ergaben für den Seeweg ein Alter irgendwo zwischen 15 und knapp fünfzig Millionen Jahren. Barker war von knapp dreißig Millionen ausgegangen – zu spät, um die antarktische Vereisung verursacht haben zu können. Ursache dafür war laut Barker daher eher die abnehmende Konzentration von Treibhausgasen.

Mit Hilfe fossiler Fischzähne jedoch gingen Howard Scher von der New Yorker Rochester-Universität und Ellen Martin von der Universität von Florida auf eine neue Jagd nach dem Datum, zu dem die Drake-Passage die nötige Tiefe erreicht hatte, um Atlantik und Pazifik miteinander zu verbinden. Denn wenn Fische sterben, bleibt von ihnen nur der langlebige Apatit ihrer Beißerchen übrig, die dann auf dem Meeresboden herumkullern. Dort nehmen sie Spuren des extrem seltenen Elementes Neodym auf, welches durch Verwitterung an Land freigesetzt und in den Ozean gespült wird. Dort sammelt es sich in Tonen, anderen Mineralien und eben auch im Apatit der Zähne. Da sich das Isotopenverhältnis von Neodym aus dem Atlantik von dem aus dem Pazifik unterscheidet, verraten die Fischzähne letztlich, woher das Neodym in ihnen kam.

Per Thermionen-Massenspektrometrie, einem Analyseverfahren zur Bestimmung chemischer Elemente oder Verbindungen in Feststoffen, untersuchten die Wissenschaftler sandkornwinzige Zähne aus etwa 40 Millionen Jahre alten Meeresablagerungen des Südatlantiks. Deren chemische Signatur stimmte mit der des Neodyms aus dem Pazifik überein. Die beiden Ozeane müssen also schon lange vor Beginn der Antarktisvereisung miteinander verbunden gewesen sein. Zudem fällt dieses Datum mit einem kürzeren Kälteeinbruch am Südpol zusammen – ein Vorgeschmack auf das Eishaus, zu dem die Antarktis etwa 5 Millionen Jahre später werden sollte.

Das neue Datum für die Öffnung der Drake Passage wirft ein ganz neues Licht auf das Szenario: nicht die Drake-Passage, sondern der Südozean zwischen der Antarktis, Australien und Tasmanien war das Zünglein an der Waage. Er war es, die den Zirkumpolarstrom zunächst an der vollständigen Umrundung der Antarktis hinderte, denn sie vertiefte sich erst vor etwa 34 Millionen Jahren so weit, dass der Zirkumpolarstrom ungehindert durch sie hindurch fließen konnte – genau zu dieser Zeit begann die Vereisung. Die Drake-Passage ließ in der Antarktis also kühler werden, aber erst der Südozean brachte das Eis. Abgesehen von der veränderten Reihenfolge der Geschehnisse, bestätigen Scher und Martin jedoch die Kontinentaldrift als Schuldige an der Unterkühlung am Südpol.

Vermutlich begünstigete der voll ausgebildete antarktische Ringstrom das saisonale Aufsteigen nährstoffreichen, kalten Tiefenwassers. Das könnte zu enormen Algenblüten und zur Bildung höheren Lebens im Wasser geführt haben, dessen Fotosynthese zur Abnahme von Kohlendioxid in der Luft beitrug. Hier käme auch die von Barker propagierte Abnahme von Kohlendioxid als Kältekatalysator wieder ins Spiel. Denn letztlich war es wohl das Zusammenspiel von beidem, Kontinentalverschiebung und Atmosphärenzusammensetzung, das die Antarktis zur eisigen Lady machte.

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