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Gravitationstheorie: Eine Wellenvorhersage für LIGO

Der Gravitationswellendetektor LIGO wartet auf den großen Knall. Wenn zwei Schwarze Löcher verschmelzen, könnten Forscher das künftig schon früher wissen.
Gravitationswellen

Momentan läuft Gravitationswellendetektion so: Die beiden Detektoren des LIGO in den USA sammeln ein paar Monate lang Daten, dann werden Störquellen wie Meeresrauschen oder Erdbeben herausgefiltert, die verbliebenen Daten ausgewertet und in der Hoffnung auf Signale wie das von Weihnachten oder Herbst letzten Jahres untersucht. Geben die Forscher, die immer wieder einmal "falsche" Signale einschleusen, um das System zu testen, dann noch grünes Licht, wird ein Paper geschrieben und eine Pressekonferenz anberaumt.

Das Prozedere könnte jedoch ganz anders werden, wenn der Weltraumdetektor eLISA im Jahr 2034 an den Start geht – und der Vorschlag von Alberto Sesana in die Tat umgesetzt wird: eLISA, meint der Forscher von der University of Birmingham, lasse sich zur Gravitationswellenvorhersage einsetzen. Schon lange im Voraus könnte man feststellen, dass ein finaler Zusammenstoß zweier Schwarzer Löcher bevorsteht. Das gäbe den Betreibern irdischer Observatorien genügend Zeit, ihre Instrumente gezielt auf dieses Himmelsereignis anzusetzen.

Hinter der "evolved Laser Interferometer Space Antenna", kurz eLISA, verbirgt sich ein Gravitationswellendetektor der nächsten Generation: vier Satelliten, die untereinander über Laser in Verbindung stehen und zu den drei Achsen eines Koordinatensystems angeordnet sind. Wie irdische Gravitationswellendetektoren registrieren auch sie die Verbiegungen in der Raumzeit anhand winziger Laufzeitunterschiede ihrer Laser.

Gravitationswellen entstehen unter anderem, wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen. Wie bei anderen Himmelskörpern, die einander anziehen, umkreisen sich die beiden Raumzeitabgründe zunächst. Dabei verlieren sie Energie, weil ihr Tanz die Raumzeitkrümmung permanent ändert. Diese Änderungen breiten sich als Gravitationswellen aus. Je enger die Bahnen werden, die die beiden Schwarzen Löcher umeinander ziehen, umso höher wird auch die Frequenz der Gravitationswellen. Der Clou an eLISA ist aber, dass das Instrument von 0,1 bis 100 Millihertz, also auf einer viel niedrigeren Frequenz, nach Gravitationswellen suchen kann als beispielsweise LIGO, das für 20 bis 2000 Hertz empfindlich ist. Das liegt daran, dass eLISA mit ihren langen "Armen" viel kleinere Streckungen und Stauchungen der Raumzeit wahrnehmen kann.

Anders gesagt: Wenn eLISA ein Gravitationswellensignal auffängt, dann stammt es vermutlich von zwei Schwarzen Löchern, die einander noch mit größerem Abstand umkreisen. Aus dem Signal könnten die Forscher dann den Zeitpunkt des Verschmelzens im Voraus berechnen und künftig den Kollegen bei LIGO und anderen geplanten Detektoren Bescheid geben.

"Die Konsequenzen sind viel weitreichender, als man denkt"Karsten Danzmann

Laut Sesana könne man mit Hilfe von eLISA bereits mehrere Wochen vorher auf zehn Sekunden genau vorhersagen, wann zwei Schwarze Löcher verschmelzen werden. Auch das Wo lässt sich sehr präzise eingrenzen: Die Position am Himmel, an der die Verschmelzung stattfinden wird, dürfte sich auf einen Winkelbereich bestimmen lassen, der nur etwa fünfmal so groß ist wie der des Monds, wenn man ihn von der Erde aus betrachtet.

Doch dass etwas im Gange ist, wüsste man noch viel früher: Die beiden Schwarzen Löcher beispielsweise, die das irdische LIGO im letzten Herbst beobachtet hat, sendeten schon fünf Jahre vorher Gravitationswellen im Bereich von etwa 16 Millihertz aus – genau da, wo der Weltraumdetektor eLISA am empfindlichsten sein soll.

Karsten Danzmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Hannover und einer der Hauptverantwortlichen bei eLISA, ist von dem Vorschlag begeistert: "Die Konsequenzen sind viel weitreichender, als man denkt", sagt der Forscher.

Allerdings gar nicht so sehr für die irdischen Gravitationswellenobservatorien selbst. Diese registrieren, sofern sie in Betrieb sind, Gravitationswellen aus jeder beliebigen Richtung. Es genügt also sicherzustellen, dass sie zum angekündigten Zeitpunkt der Verschmelzung aktiv sind – und sich nicht etwa gerade in einer ihrer häufigen Wartungsphasen befinden.

Interessant sei die Wellenvorhersage darum vor allem für Astronomen, die das Weltall mit Hilfe der klassischen elektromagnetischen Wellen absuchen, findet Danzmann. Gebe es keine Vorwarnung, "fängt man die elektromagnetischen Follow-up-Ereignisse sonst gar nicht auf".

Vorwarnung auch für Teleskope nützlich

Die Follow-up-Ereignisse, von denen Danzmann spricht, sind unter anderem ultrahelle Blitze im Bereich der elektromagnetischen Gammastrahlung, deren Entstehung bisher nicht geklärt ist. Im April meldete die NASA, das Weltraumteleskop Fermi hätte beinahe zeitgleich und aus einer ähnlichen Himmelsrichtung, in der auch die beiden Schwarzen Löcher des Ereignisses GW150914 lagen, einen solchen Gammablitz aufgezeichnet. In den Daten anderer Teleskope tauchte er allerdings nicht auf. Gab es einen Zusammenhang? Oder traten die beiden Ereignisse nur zufällig gemeinsam auf? Stammten sie überhaupt aus derselben Ecke des Kosmos?

Solche Fragen könnten Astronomen beantworten, wenn sie genügend Vorwarnzeit hätten. "Das Problem ist, dass die hochauflösenden Teleskope ein sehr kleines Gesichtsfeld haben. Also nimmt man entweder weniger hochauflösende Teleskope wie Fermi oder hat nicht ganz die richtige Richtung und sieht dann nichts", erklärt Danzmann. "Das wäre vielleicht ganz anders gewesen, wenn man mit einem hochauflösenden Röntgenteleskop an der richtigen Stelle hätte messen können."

Seine Kollegin Alessandra Buonanno, auch sie Direktorin des MPI für Gravitationsphysik, ist etwas zurückhaltender: "Sesana schreibt selbst, dass wir nach unserem jetzigen Verständnis keine elektromagnetischen Signale erwarten würden, wenn zwei Schwarze Löcher verschmelzen." Denn vor ihrer Verschmelzung hätten die Abgründe der Raumzeit längst alle Materie in ihrem Umkreis verschluckt. "Im Prinzip können da gar keine Blitze entstehen", erklärt Buonanno. Nach elektromagnetischen Signalen Ausschau zu halten, findet sie trotzdem sinnvoll. So könne man immerhin demonstrieren, dass Schwarze Löcher, die aus Sternen entstehen, solche Signale nicht aussenden. Die Theorie der Physiker hätte einen weiteren Test bestanden.

Mit der Gravitationswellenastronomie stehen sie und die anderen Forscher aber noch am Anfang. Gerade erst wurde das zweite solche Signal überhaupt bekannt gegeben. Es kam als Weihnachtsgeschenk am 26. Dezember 2015. Wenn in den kommenden Monaten Virgo in Italien an den Start gegangen ist und in einigen Jahren LIGO seine volle Genauigkeit erreicht hat und auch die Detektoren KAGRA in Japan und LIGO-Indien ihre Arbeit aufgenommen haben, wird es ein ganzes Netz von Gravitationswellendetektoren geben.

Die Meldungen über solche Gravitationswellenereignisse dürften dann auch bedeutend häufiger eintrudeln, als es derzeit der Fall ist. Sesana hat abgeschätzt, wie oft im weiteren Umkreis um unsere Milchstraße, das heißt in bis zu sechs Milliarden Lichtjahren Entfernung, zwei Schwarze Löcher miteinander kollidieren: Legt man eine zufällige Gleichverteilung Schwarzer Löcher zu Grunde, dürfte eLISA – je nachdem, welcher Aufbau am Ende umgesetzt wird – empfindlich genug sein, um innerhalb von zehn Jahren nach Start der Mission zwischen drei und hundert Zusammenstöße zu entdecken.

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