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Bioenergie: Mit Algensprit ans Ziel

Aus Mikroalgen lassen sich schon heute Biodiesel, Bioethanol und Biogas gewinnen. Doch können sie fossile Brennstoffe mittelfristig ersetzen?
Zapfsäulen

Im November 2011 flog eine Maschine der United Airlines von Houston nach Chicago. Das Besondere daran: In ihrem Tank befand sich eine Mixtur, die nur zu 60 Prozent aus herkömmlichem Treibstoff bestand. Die anderen 40 Prozent steuerte Algensprit bei. In Hamburg steht seit 2013 das so genannte Algenhaus. In den durchsichtigen Biomodulen, welche die Fassade des Gebäudes bilden, vermehren sich Mikroalgen, die die Energie für die Bewohner produzieren sollen. Algenhäuser und Algensprit sind nur zwei Beispiele dafür, wie Forscher und Konzerne bereits heute auf winzige Wasserorganismen setzten, um die Erzeugung von umweltfreundlicher Energie anzukurbeln. Experten sind davon überzeugt: Das Potenzial des "grünen Goldes" ist enorm.

"Die Idee, Energie aus Algen zu gewinnen, ist bestechend", sagt Olaf Kruse, Leiter der Abteilung Algentechnologie und Bioenergie der Universität Bielefeld. Statt die endlichen Kohle- und Erdölreserven zu verheizen und damit klimaschädigendes CO2 freizusetzen, verheißen einzellige Grünalgen nachwachsende, saubere Energie. Und auch Cyanobakterien, die Biologen früher als Blaualgen ebenfalls zu den Algen zählten, können – nicht zuletzt dank ihrer Fähigkeit zur Fotosynthese – ihren Beitrag zum umweltbewussten Leben leisten.

Einzellige Grünalgen verheißen nachwachsende, saubere Energie

Ganz neu ist der Gedanke freilich nicht – mit Raps, Soja und Mais wollte man so schon einmal die Energiewende einläuten. Doch der Anbau dieser Pflanzen zur Kraftstoffgewinnung ist weltweit umstritten: Denn Äcker, die Treibstoff produzieren, produzieren keine Nahrung. Mikroalgen wären ein Ausweg aus diesem Teller-Tank-Dilemma. Sie benötigen im Gegensatz zu Landpflanzen kein wertvolles Ackerland, um zu wachsen, vermehren sich sehr viel schneller und produzieren entsprechend deutlich mehr Biomasse pro Fläche: Bis zu 100 Tonnen Trockenmasse pro Hektar und Jahr verglichen mit 17 Tonnen bei Zuckerrohr oder 3,5 Tonnen bei Weizen. Auch an Wasser haben sie keine hohen Ansprüche und geben sich mit Salz-, Brack- oder Abwasser zufrieden.

Die Weichen für Algenenergie sind gestellt

Investiert wird sowohl von Mineralölkonzernen als auch von der Luftfahrt- und Autoindustrie. Auch politisch wurden die Weichen bereits gestellt: Laut EU-Vorschriften müssen bis 2020 mindestens zehn Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr durch erneuerbare Energien gedeckt sein. Eine aktuell verabschiedete Reform hat den Anteil der Biotreibstoffe der ersten Generation auf sieben Prozent eingefroren. Die restlichen drei Prozent müssen Biotreibstoffe der zweiten Generation beisteuern: Klärschlamm, Stroh oder Algen.

Grundsätzlich braucht es wenig, um Algen zu züchten. Licht, Wasser, Wärme und CO2 reichen zu ihrer Vermehrung weit gehend aus. Will man allerdings die maximal mögliche Ausbeute erhalten und das in großem Maßstab, wird es komplizierter. Faktoren wie Temperatur, Lichtintensität, Nährstoff- und CO2-Konzentration müssen fein abgestimmt sein und hängen auch von der Art der Alge und dem Standort der Anlage ab. Noch immer herrscht wenig Einigkeit darüber, wie man das grüne Gold am effektivsten produziert und wie man es energetisch am besten nutzt.

Winzige Energiefabriken | Volvox aureus ist eine Grünalge aus der Klasse der Chlorophyceae, bei der sich hunderte bis tausende Einzelzellen zu kugelförmigen Kolonien zusammenschließen.

Die einen züchten Algen in offenen Tümpeln, die anderen in Fotobioreaktoren, also geschlossenen Systemen, die meist aus durchsichtigen Kunststoffröhren- oder platten bestehen. Letztere haben den Vorteil, dass man sie standortunabhängig aufbauen kann und die Algen unter kontrollierten Bedingungen wachsen. Doch Fotobioreaktoren sind in der Regel hoch technisiert und damit teuer in der Anschaffung und Wartung.

Auch die Ernte ist mit Kosten verbunden: Um an das wertvolle Öl oder Ethanol in den Algen zu gelangen, muss man die flüssige Algensuspension in ihre festen und flüssigen Bestandteile trennen, danach trocknen und die Wertstoffe extrahieren. "Das Trocknen verschlingt allerdings eine Menge Energie", sagt Michael Kröger vom Deutschen Biomassenforschungszentrum in Leipzig.

Aus Algen wird Methan

Einige Arbeitsgruppen wandeln die Biomasse deshalb in nasser Form direkt zu Gas um. Wissenschaftler am Paul Scherrer Institut (PSI) in der Schweiz zerlegen die Biomasse in so genanntem überkritischem Wasser, also bei hohen Temperaturen und unter viel Druck, in ihre Einzelbestandteile. Am Ende entsteht Methan, ein Gas, das sich leicht in das Erdgasnetz einspeisen ließe. Die Energiebilanz ist gut: "Wir schaffen eine nahezu vollständige Umsetzung der Biomasse und gewinnen 65 bis 75 Prozent der in der Biomasse enthaltenen Energie als Brennstoff. Heutige biotechnologische Verfahren sind um einen Faktor zwei bis drei schlechter", sagt Christian Ludwig, Projektleiter beim PSI. Die wahre Schönheit des Systems, so Ludwig, sei aber der Versuch, den Nährstoffkreislauf zu schließen: Er und seine Kollegen gewinnen wertvolle Mineralien und auch das Wasser zurück, in dem die Algen gezüchtet wurden. Beides wird der nächsten Algenpopulation wieder zur Verfügung gestellt. Idealerweise müsste man Algenfarmen in der Nähe von Kohlekraftwerken betreiben: Algen benötigen CO2 zum Wachsen und könnten sich den Nährstoff aus den Abgasen ziehen. Statt in die Atmosphäre zu entweichen, würde das CO2 in der Biomasse fixiert.

Energie aus nachwachsenden Rohstoffen gilt im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen als CO2-neutral: Verbrennt der Biodiesel im Motor, wird die gleiche Menge CO2 freigesetzt, wie zuvor für die Fotosynthese aufgenommen wurde. Mit den Algen lässt sich womöglich aber mehr CO2 aus der Atmosphäre entziehen: Landet der Gärrest als Dünger auf den Feldern, bauen Weizen und Co den darin enthaltenen Kohlenstoff ein. "Für eine komplette CO2-Bilanz ist aber noch mehr zu berücksichtigen. Ob sie am Ende positiv ist, bleibt abzuwarten", sagt die Umweltingenieurin Mandy Gerber von der Ruhr-Universität Bochum, die an der Bilanzierung arbeitet.

"Noch ist die Technik nicht reif, um Algenenergie kosteneffizient zu erzeugen"Olaf Kruse

Die Energie- und CO2-Bilanzen sind zweifellos wichtig, um das Potenzial von Algenenergie zu beurteilen. Die wesentliche Frage aber ist eine andere: Wie viel kostet die Herstellung eines Liters Algensprit? Kostet der Liter mehr, als er am Ende einbringt, geht die Rechnung nicht auf. "Noch ist die Technik nicht reif, um Algenenergie kosteneffizient zu erzeugen", sagt Kruse, "das braucht einfach noch Zeit. Die Forschungsgelder, die bislang geflossen sind, sind marginal im Vergleich zu anderen Forschungsbereichen, der Erwartungsdruck aber ist enorm." Auch Kröger findet klare Worte: "Der Mensch betreibt Ackerbau seit 10 000 Jahren. Es hat Jahrtausende gebraucht, um die Pflanzen zu finden, die es sich anzubauen lohnt, und diese zu optimieren. Mit den Algen ist es nicht anders. Wir können nach vier bis fünf Jahrzehnten Forschung keine vollendete Technik erwarten."

Erschwerend kommt hinzu, dass Energie ein Billigprodukt ist, das fast nichts kosten darf. "Die Technik wird sich aber weiterentwickeln. Und wenn dann noch der Ölpreis ansteigt, was Experten vorhersagen, mischen sich die Karten neu", so Kruse.

Hohe Gewinne in der Nahrungsmittelindustrie

Hohe Gewinne erbringen Algen heute schon: in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Sie produzieren hochpreisige Rohstoffe wie Pigmente und Proteine. Etwa den roten Farbstoff Astaxanthin, der den Zuchtlachs auf dem Teller so schön rosa schimmern lässt. "Der Weltmarktpreis für einen Liter liegt bei über 1000 Euro. Hochreines Omega-3-Öl bringt rund 120 Euro den Liter ein", sagt Johann Mörwald, Geschäftsführer von Ecoduna, einem österreichischen Unternehmen, das Omega-3-Fettsäuren aus Algen herstellt. Von den kostbaren Rohstoffen könnten auch die Bioenergieproduzenten profitieren: "Wir wollen die Energieproduktion mit der lukrativen Wertstoffgewinnung kombinieren. Die Kollegen beim Frauenhofer Institut UMSICHT in Oberhausen extrahieren die Omega-3-Fettsäurenm, und wir vergären die restliche Algenbiomasse zu Biogas", erklärt Gerber von der Ruhr-Universität Bochum das Gemeinschaftsprojekt.

Auf ein völlig anderes Konzept setzt das amerikanische Unternehmen Algenol. Die Firma verwertet keine Biomasse, sondern die Algen produzieren das gewünschte Produkt direkt: Bioethanol. "Unsere Algen enthalten Gene, die dafür sorgen, dass sie keinen Zucker mehr für ihr Wachstum produzieren können. Stattdessen produzieren sie Ethanol", sagt Dirk Radzinski, Geschäftsführer der Algenol-Niederlassungen Deutschland und Schweiz. Teure Fotobioreaktoren sucht man vergeblich bei Algenol: Plastiksäcke tun es auch. 30 Tage lang geben die Algen darin Ethanol ab. Danach fangen Mitarbeiter die Mixtur auf, reinigen das Ethanol auf und verarbeiten die restliche Biomasse zu Benzin, Diesel und Kerosin. Auf ihrer Website wirbt Algenol, dass sie eine Gallone Treibstoff – egal ob Benzin oder Diesel – für weniger als einen Euro produzieren können.

"Die Idee ist brillant. Algenol nutzt die Sonnenenergie ohne Umwege und stellt flüssigen Treibstoff her. Ob sie den versprochenen Preis allerdings halten können? "Ich habe da meine Zweifel", sagt Forscher Kruse. "Im ganz großen Maßstab ist eine solche Anlage rentabel", hält Radzinski dagegen. Die Energiebilanz sei positiv: "Wir verbrauchen zur Produktion des Ethanols rund 20 Prozent der Energie, die wir gewinnen." 75 000 Liter Ethanol produziert die 7000 Quadratmeter große Pilotanlage in Florida pro Hektar und Jahr. Zum Vergleich: Raps schafft 6000, Zuckerrohr 8000 Liter. Ende 2016 plant Algenol ein kommerzielles Werk.

Ökologische Bedenken wegen der gentechnisch veränderten Algen müsse niemand haben. "Unsere Algen sind in freier Natur gar nicht überlebensfähig. Sie wachsen und vermehren sich nicht", sagt Radzinski. Für Deutschland kommt das Verfahren ohnehin nicht in Frage: Land ist hier zu teuer, und auch das Klima stimmt nicht.

Selbst wenn Firmen wie Algenol Erfolg haben und Algensprit mittelfristig bezahlbar wird, werden Algen fossile Brennstoffe nicht ersetzen. Sicherlich aber ergänzen. Wie groß ihr Beitrag sein wird, kann niemand vorhersehen. "Sicher ist nur eines", sagt Radzinski: "Wir werden in Zukunft jeden einzelnen Ansatz zur Energieerzeugung nutzen müssen."

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