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Planetologie: Enormer Eindruck

Warum der Marsnorden tief und glatt, der Süden aber hoch und gezackt ist, bleibt eines der großen Rätsel im Sonnensystem. Drei Forschergruppen glauben es nun mit genauen Messungen und einiger Rechnerei gelöst und eine dramatische planetare Kollision aufgespürt zu haben.
Wenn Geologen die Erde satt haben und mal etwas wirklich Irres diskutieren wollen, dann werfen sie gerne einen Blick auf den Mars – einen, denn einer genügt. Selbst dem ungeschulten Auge fällt beim Betrachten der Oberfläche des Roten Planeten auf, dass sie im Norden und Süden völlig unterschiedlich aussieht. Und je intensiver man diese "Marshemisphären-Dichotomie" untersucht, desto rätselhafter wird sie.

So ist die gesamte Nordhalbkugel glatt und oberflächlich nahezu unbekratert, der Süden dagegen von wilden Gebirgszügen und vielen Einschlagsspuren durchsetzt. Der flache Norden liegt – in toto! – zudem gleich vier Kilometer tiefer als der bergige Süden. Unter der Oberfläche sind die Unterschiede noch dramatischer: Die Marskruste des Nordens ist dünn, die des Südens fast 25 Kilometer dicker – irgendwie aus offenbar weniger dichtem Gestein zusammengesetzt, schwimmt sie mitsamt dem krönenden Bergland auf dem tiefen Marsmantel wie Kork auf Rotwein, ein Grund für die Hochlage des planetaren Südens.

Die Hemisphären-Dichotomie des Mars in Farbe | Auf der Marskarte wird die typisch zweigeteilte Topografie in tiefes nördliches Flachland (blau) und südliches Hochland des Planeten deutlich. Forscher erkannten mit dem Tiefenradar der Mars-Express-Sonde der Esa verschiedene verborgenen Kraterspuren unter der Oberfläche.
Was aber ist die Ursache dieser scharfen Nord-Süd-Trennung? Irgendetwas hat wohl vor rund vier Milliarden Jahren die nördliche Hälfte des jugendlichen Planeten gründlich umgemodelt. Forscher präsentierten auch schon früh zwei konkurrierende Vorschläge für dieses "Irgendetwas": Entweder hat der gigantische Einschlag eines Riesen-Brockens den Planeten gerade so schräg erwischt, dass nur seine nördliche Hälfte sich grundlegend umgrub – oder die beiden Hemisphären entwickelten sich durch stark unterschiedlich dynamische tektonische Prozesse auseinander, die per konvektivem Materialaustausch im Mantel die Oberflächenstruktur ebenso hemisphärenselektiv wie dramatisch umformten.

Für beide Hypothesen gibt es gute Gründe – gleich drei Arbeitsgruppen glauben nun aber daran, den Streitfall entschieden zu haben. Jeffrey Andrews-Hanna vom Massachusetts Institute of Technology, Margarita Marinova vom California Institute of Technology in Pasadena, Francis Nimmo von der University of California in Santa Cruz und eine Reihe von Kollegen sind sich einig: Den Mars formte ein gigantischer Einschlag. Er hinterließ dabei einen elliptischen, etwa 10 000 Kilometer langen Krater – den größten des Sonnensystems.

Seine Spuren sehen indes anders aus, als man sich einen ordentlichen runden Krater vorstellt und sind zudem im Laufe der Jahrmilliarden teilweise verdeckt worden, weswegen sie den ersten irdischen Marserkundern verborgen blieben. So wälzte sich etwa die geologisch noch junge Tharsis-Vulkankette über fast ein Drittel der Grenze zwischen Hoch- und Tiefland. Andrews-Hannas Team kombinierte nun aber Gravitationsmessungen und weitere Daten verschiedener Instrumente der Marssonden Mars Reconnaissance Orbiter und Mars Global Surveyor und errechnete daraus, wie die Oberfläche wohl vor dem produktiven Tharsis-Vulkanismus ausgesehen hatte [1].

Die resultierende Rekonstruktion überzeugt: Sie offenbart, dass die Grenzlinie zwischen Hoch- und Tiefland unter der ehemaligen Magma genauso so verläuft, dass sie die einfacher sichtbaren vermeintlichen Einschlagränder zu einer schönen Ellipse vervollständigt. Es entsteht also das Bild eines Kraters, wie ihn ein Treffer eines gigantischen planetaren Irrläufers hervorrufen würde.

Der erste Gedanke von Andrews-Hanna war dann übrigens so etwa wie "Mist – darf doch nicht wahr sein". Schließlich war der Forscher zuvor ein Anhänger der Konkurrenzhypothese zur Hemisphärendichotomie-Entstehung gewesen und wollte einen Einschlagkrater eigentlich gerade nicht finden. Hilft alles nichts, meinte die Arbeitsgruppenchefin Maria Zuber – man muss eindeutigen Ergebnissen auch erlauben, seine Meinung einmal zu ändern. Zumal die Einschlagskrater-Rekonstruktion ziemlich gut zu theoretischen Modellrechnungen passt, die Marinova, Nimmo und deren jeweilige Teams nun beisteuern.

Nach dem Einschlag: Kruste abgesprengt, Schockwellen im Zentrum | Ein Schema der Ereignisse fünf Minuten, nachdem der junge Mars von einem Asteroiden mit 40facher Schallgeschwindigkeit getroffen wurde. Der Impakt schleudert die alte Planetenkruste (orange) in den planetennahen Raum, während die Schockwelle des Einschlags (gelb) sich bis in den flüssigen Kern des Planeten ausbreitet.
Marinova berechnete, ob und wann ein Krater nach einem Einschlag überhaupt derart elliptisch werden kann, wie es der Nordhemisphärenkrater des Mars ist [2]. Denn: Ist ein ordentlicher Krater nicht rund? Dies, so das Ergebnis, gelte eben nicht für die Überdimensionen eines Zusammenstoßes zwischen jungen Planeten und riesigen Objekten auf Kollisionskurs – Letztere treffen eben nicht auf eine flache, sondern auf eine sphärische Oberfläche des runden Großkörpers. Planetardimensionale Crashs mit einem Aufprallwinkel zwischen 30 und 60 Grad produzieren daher eben jene elliptische Einschlagsignatur, die nun von Andrews-Hanna und Co auf dem Mars aufgespürt wurde.

Der metallische oder aus Gestein bestehende Impaktor muss, so Marinovas mathematisches Modell, übrigens ein Asteroid zwischen 1600 und 2700 Kilometer Durchmesser gewesen sein, der wohl mit rund 6 bis 10 Kilometer pro Sekunde auf dem Jungmars eingeschlagen ist. Zum Vergleich: Der Durchmesser des Mars beträgt heute 6780 Kilometer, der frühe Treffer dürfte ihn demnach ganz gehörig durchgerüttelt haben.

Was nach dem Einschlag wohl geschah, haben schließlich Nimmo und seine Kollegen etwas genauer durchgerechnet [3]. Sie kommen zu dem Schluss, dass beim Aufprall die gesamte ehemalige Kruste abgehoben wurde und dann im Krater – also der gesamten Nordhälfte des Planeten – Teile des oberen Marsmantel schockartig zu einer neuen, nun dünneren Kruste verschmolzen, die heute für das Nordtiefland charakteristisch ist.

Schön, kommentiert der Planetologe Walter Kiefer vom Lunar and Planetary Institute in Houston: Damit muss ja die Kruste von nördlichem Marstief- und südlichem Hochland unterschiedlich zusammengesetzt sein, und dass könne man mit neuen Sonden oder rollenden Bodenerkundern, die vergleichend Proben des Grundgesteins analysieren, in Zukunft bestimmt überprüfen [4]. Davor sei zwar nun eine Theorie zur Hemisphärendichotomie in Führung gegangen, bewiesen sei indes noch nichts.

Nur eines ist klar: Wenn vor knapp vier Milliarden Jahren wirklich der Mars getroffen wurde, dann war es einer der heftigsten Zusammenstöße aller Zeiten im Sonnensystem, die heute noch sichtbare Einschlagspuren hinterließen. Wobei das natürlich eine Definitionsfrage ist: Auch unser Erdmond ist ja sichtbares Zeichen eines noch gigantischeren Crashs. Er wurde nach gängiger Meinung geboren, als ein marsgroßer Körper die Protoerde traf – etwa zur selben Zeit, als auch der Marsnorden seinen Treffer abbekam. Offensichtlich aufregende Zeiten damals, im frühen Sonnensystem.

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  • Quellen
[1] Andrews-Hanna, J. C. et al.: The Borealis basin and the origin of the martian crustal dichotomy. In: Nature 453, S. 1212–1216, 2008.
[2] Marinova, M. et al.: Mega-impact formation of the Mars hemispheric dichotomy. In: Nature 453, S. 1216–1219, 2008.
[3] Nimmo, F. et al.: Implications of an impact origin for the martian hemispheric dichotomy. In: Nature 453, S. 1220–1224, 2008.
[4] Kiefer, W.: Forming the martian great divide. In: Nature 453, S. 1191–1192, 2008.

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