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Fixerstuben: Erfolgsmodell mit wenig Anklang

Vor 25 Jahren entstand die weltweit erste Fixerstube. Zwar haben die Einrichtungen zahlreiche Leben gerettet, viele Länder wollen trotzdem nicht mitmachen.
Heroin

Es war ein Aufschrei besorgter Bürger, der im Herbst 1986 durch die De-facto-Hauptstadt der Schweiz hallte. In der Münstergasse im Herzen von Bern eröffnete die Drogenberatungsstelle Contact den ersten Drogenkonsumraum der Welt. Doch die Angst vor herumlungernden Junkies und aggressiven Dealern rund ums "Fixerstübli" bewahrheitete sich nicht. Viel mehr markierte das Ereignis einen Wendepunkt in der schweizerischen Drogenpolitik. Der bis dahin gängigen Kriminalisierung Heroinabhängiger setzten Sozialarbeiter eine pragmatische Überlebenshilfe entgegen.

25 Jahre später sind neben Deutschland nur sechs weitere Länder dem Schweizer Beispiel gefolgt. Internationale Abkommen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität verbannen Fixerstuben noch immer in eine rechtliche Grauzone. Trotzdem sind sie ein Erfolgsmodell.

Die Einrichtungen sind zuallererst Plätze, an denen Süchtige saubere Spritzen erhalten, um ihre mitgebrachten Drogen an einem sicheren und hygienischen Ort zu konsumieren. Das soll verhindern, dass sie durch gemeinsam genutzte Nadeln Krankheiten übertragen, allen voran Aids und Hepatitis C.

Drogenabhängige werden erreicht

Gleichzeitig können sich die anwesenden Sozialarbeiter ein Bild vom Gesundheitszustand ihrer Gäste machen und im Notfall für medizinische Hilfe sorgen. "Die Drogenabhängigen nutzen die Kontakt- und Anlaufstelle mit ihrem breiten Angebot als Tagesstruktur, aber auch als Ansprechpartner für Probleme medizinischer und sozialer Art", bestätigt Ines Bürge, die Leiterin des Berner "Fixerstübli", das inzwischen in der Hodlerstraße residiert.

Zwar steht das Ziel der klassischen Drogenpolitik – die Zahl der Süchtigen zu verringern – nicht im Vordergrund der Konsumräume. Bürge betont jedoch: "Dadurch, dass die Drogenabhängigen mit einer Kontakt- und Anlaufstelle überhaupt erreicht werden können, konnte auch eine Brücke zu weiterführenden Behandlungen wie Substitution oder Therapie geschlagen werden."

Für die Konsumenten gelten in den Konsumräumen strenge Regeln. Gegenseitiges Spritzen ist ebenso verboten wie das Teilen von Drogen. Bestimmte Anwendungsformen sind tabu, Alkohol sowieso. Außerdem klären die Sozialarbeiter über Sicherheitsmaßnahmen auf, vom Händewaschen bis zum sicheren Drogengebrauch. Sie selbst wissen, wie im Notfall – beispielsweise bei einer Überdosis – Hilfe zu leisten ist.

Für Deutschland stellte der Psychologe Sebastian Poschadel 2004 in einer Auswertung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums fest, dass die Konsumräume die Zahl der Drogentoten in den betrachteten Städten überzufällig verringerten. In Deutschland, der Schweiz, Spanien und Australien zusammen hat sich bislang nur ein Todesfall in einem Konsumraum ereignet – infolge eines anaphylaktischen Schocks. Dabei gab bei einer Befragung im Jahr 2000 jeder vierte Befragte in schweizerischen Fixerstuben an, in den vergangenen zwei Jahren eine Überdosis überlebt zu haben.

Zielgruppe besonders Hilfsbedürftiger

Inzwischen belegen zahlreiche Studien, dass die Drogenkonsumräume ihre selbst gesetzten Ziele erreichen. So berichtete ebenfalls 2004 eine Studie des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, dass die Fixerstuben vor allem diejenigen Abhängigen erreichen, die unter starkem Persönlichkeitsverfall leiden und einem hohem Risiko ausgesetzt sind, sich Infektionen einzufangen oder eine Überdosis zu spritzen – also genau jene, für die hygienische Konsumräume am dringendsten benötigt werden.

Drogenkonsumräume in Deutschland (Stand 2011)

  • Aachen
  • Berlin (3)
  • Bielefeld
  • Bochum
  • Bonn
  • Dortmund
  • Düsseldorf
  • Essen
  • Frankfurt (4)
  • Hamburg (5)
  • Hannover
  • Köln (2)
  • Münster
  • Saarbrücken
  • Troisdorf
  • Wuppertal

Quelle: AK Konsumraum

Eine Auswertung in Frankfurt am Main – mit vier Fixerstuben nach Hamburg die am besten versorgte Stadt der Welt – ergab zudem, dass der Anteil derjenigen, die nicht mit der Drogenhilfe in Kontakt standen, über die Jahre deutlich gesunken ist: von 25 Prozent im Jahr 2003 auf 10 Prozent 2007.

Für die Schweiz verglichen Frank Zobel und Françoise Dubois-Arber 2004 im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit den Anteil gemeinsamen Spritzengebrauchs in Städten mit Fixerstuben und in Städten mit lediglich anderen niederschwelligen Einrichtungen zwischen 1993 und 2000. Während in Städten mit Drogenkonsumraum die Quote um die zehn Prozent pendelte, erreichte nur eine andere Stadt dieses Niveau. Die meisten Städte hatten doppelt so hohe Raten. Lausanne erreichte 1993 gar 39 Prozent.

Für die HIV-Häufigkeit ergab sich bei demselben Vergleich ein uneinheitliches Bild, das keinen klaren Schluss zuließ. Interessant wäre der Vergleich mit Städten ohne niederschwellige Einrichtungen. Doch dort wurden bislang keine entsprechenden Daten erhoben. Was die Übertragung von Krankheiten angeht, gilt demnach – vor allem auf Grund methodischer Schwierigkeiten – nur eines als gesichert: Das Risikoverhalten der Nutzer von Drogenkonsumräumen in der Schweiz hat sich positiv verändert.

Offene Drogenszenen seltener geworden

Davon profitiert auch die Umgebung: "Der Konsum von Drogen in der Öffentlichkeit hat deutlich abgenommen", berichtet Frank Langer von der Suchthilfe Essen, die den dortigen Drogenkonsumraum betreibt. Die offene Drogenszene am Essener Hauptbahnhof habe dadurch geschlossen werden können. In den zehn Jahren, in denen seine Einrichtung mittlerweile existiert, hätten dort 320 000 "Konsumvorgänge" stattgefunden.

Längst sind die Stuben mehr als nur ein hygienischer Platz zur Drogeneinnahme. Vielerorts gibt es Beratungsangebote, in Bern beispielsweise einen eigenen Frauenabend, an dem Mitarbeiterinnen ein offenes Ohr für frauenspezifische Themen haben: Drogenprostitution, sexuelle Übergriffe, Verhütung und Schwangerschaft. Regelmäßig ist seit 1999 auch eine Gynäkologin zu Besuch, und Mitarbeiter von Entzugskliniken nutzen ebenfalls die Kontakt- und Anlaufstelle, um über die Möglichkeit des Entzugs zu informieren.

Für die Behörden sind die Mitarbeiter der Drogenkonsumräume wertvolle Partner geworden. "Insbesondere die Kooperation mit der Essener Polizeibehörde ist von gegenseitiger Akzeptanz und Anerkennung geprägt", berichtet Langer. "Das direkte Informieren der Kooperationspartner, das unverzügliche Reagieren auf Anfragen, die Benennung von Ansprechpartnern und Verantwortlichkeiten haben zu einer gewachsenen, vertrauensvollen Zusammenarbeit beigetragen."

Drogenkonsumräume weltweit (Stand 2009)
  • Niederlande (ca. 40)
  • Deutschland (27)
  • Schweiz (12)
  • Spanien (6)
  • Luxemburg (1)
  • Schweden (1)
  • Australien (1)
  • Kanada (1)
Quelle: EMCDDA

In Bern sei die Situation ähnlich, erklärt Bürge: "Zwischen den Betreibern und der Kantonspolizei besteht seit etwas mehr als zehn Jahren gar eine schriftliche Abmachung, die die Zusammenarbeit regelt." Sogar Politiker aus dem rechten Lager hätten akzeptiert, dass das "Fixerstübli" die Öffentlichkeit stark entlaste. Seit es für die Abgabe von 100 gebrauchten Spritzen ein kostenloses Abendessen oder frische Kleidung gibt, sind leere Spritzen aus dem Stadtbild, vor allem aus den Sandkästen der Spielplätze, fast ganz gewichen.

Auch Drogenkonsumenten sind in Städten mit Konsumräumen praktisch aus der Öffentlichkeit verschwunden. "Die Bilder der offenen Drogenszene sind in Vergessenheit geraten", sagt Bürge. Das habe leider auch zu weniger Toleranz in der Bevölkerung geführt: "Heute beklagen sich manche schon, wenn sich Drogenabhängige auf dem Weg zur Kontakt- und Anlaufstelle befinden oder davor unterhalten." Dabei reduzieren Drogenkonsumräume Beeinträchtigungen der Öffentlichkeit nachweislich, wie Suchtforscherin Heike Zurhold bereits 2003 am Beispiel Hamburg im "Journal of Drug Issues" berichten konnte.

Problem: Drogenhandel

Nicht verschwunden sind erwartungsgemäß Drogenhandel und Beschaffungskriminalität – schließlich bringt jeder Gast seine eigenen Rauschmittel mit. In Bern allerdings findet im Hof der Kontakt- und Anlaufstelle der so genannte Ameisendeal statt: Toleriert von der Polizei wird dort mit kleinen Mengen gehandelt, die dazu dienen, den eigenen Konsum zu finanzieren. Eigentlich ist auch das in der Schweiz verboten, doch die Polizei könne so die Kleindeals besser überschauen und kontrollieren, berichtet Bürge.

Nicht alles hat sich jedoch seit den Anfangstagen verbessert. "Seit 1998 nimmt der exzessive Konsum von Kokain zu", meint die Leiterin des "Fixerstübli". Dadurch steige auch die Aggressivität bei den Konsumierenden, insbesondere in Kombination mit dem ebenfalls zunehmenden Alkoholkonsum. Von mehreren Substanzen abhängig zu sein, sei heute eher Regel als Ausnahme.

Obendrein hat der Erfolg der Konsumräume seinerseits neue Schwierigkeiten aufgeworfen. Weil sich weniger Abhängige mit lebensbedrohlichen Krankheiten anstecken oder an einer Überdosis sterben, gibt es vermehrt ältere Abhängige. "Viele von ihnen werden jedoch früher pflegebedürftig als die Normalbevölkerung", weiß Bürge, und es sei schwierig, diese Menschen angemessen unterzubringen.

Davon abgesehen ist es ein positives Gesamtbild, das Betreiber wie Klienten der Drogenkonsumräume nach 25 Jahren malen. Auch die mittlerweile zahlreichen Studien und Evaluierungen bestätigen das, wenngleich auf Grund methodischer Probleme nicht jede These untermauert werden kann.

Negative Effekte jedenfalls wurden nirgendwo nachgewiesen. Vielleicht hängt die Bewertung der Drogenkonsumräume aber auch viel stärker von den politischen Überzeugungen ab als von wissenschaftlichen Fakten: In Deutschland gibt es 25 Einrichtungen. Ein ganzes Dutzend davon liegt in NRW. In Baden-Württemberg und Bayern findet sich dagegen nicht ein einziger Konsumraum.

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